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Friedrich Hirschl
Nachthaus

Augenzwinkernde Doppelbödigkeit
Kritik
Nachthaus   Friedrich Hirschl
Nachthaus
Gedichte
Verlag Karl Stutz 2009
94 Seiten, 14,80 Euro


Die meisten Gedichte in Friedrich Hirschls neuem Gedichtband Nachthaus sind bunt und taghell. Das Buch ist thematisch klar in zwei Kapitel geglie­dert: erst Natur, dann Städtisches. Die zumeist ichlosen Texte reiben sich an der Natur und an Natürlichem (Pflanzlichem, Jahreszeitlichem, Land­schaftlichem) samt dessen klassischen Bildern. Die Gedichte sind unauf­dringlich. Die Gedichte sind nett. Die Gedichte sind feinsinnig, witzig und ideenreich. „Ab und zu leise und hintergründig, dann wieder spitzbübisch und keck lädt der Autor ein zum Freiluftkabarett“, wirbt der Klappentext. Hirschls Buch beginnt stark und mit einem Paukenschlag:

Starkes Herz

Es schlägt
sich durch

In bester
Einzelkämpfermanier

Was hier anfangs so stark, so aphoristisch und lapidar daherkommt, ist eigentlich schon fast das Stärkste, besser gesagt, das Lauteste im ganzen Lyrikband. Der Rest hält sich mehr zurück, ist leiser, stiller. Die Gedichte sind sich in ihrer Wortwahl und ihrem Umgang mit Sprache sehr ähnlich, erscheinen auf den ersten Blick fast wie harmlose humorige Miniaturen.

Friedrich Hirschl ist 1956 in Passau geboren und lebt dort. Er studierte Theo­logie und Philosophie und ist Autor mehrerer Lyrikbände. Nachthaus ist sein sechster Gedichtband.

Es sind 80 teils sehr kurze Texte: augenzwinkernd und dezent besitzen sie ihren ganz eigenen Ton: oft ein charmanter Plauderton. Sie entbehren jed­weder Reim- und Strophenform. Die Gedichte beruhen mit ihrem ganz charakte­ris­tischen Sprachwitz häufig auf durchaus originellen Umkehrungen gängiger Rede­wendungen und stellen in außer­gewöhn­licher Form Bilder und Bildwelten gegen­einander. Oft kommt uner­wartet doch so manche Doppel­bödig­keit zum Tragen.

Löwenzahnblüte

Die Sonne
staunt
nicht schlecht
über die
Konkurrenz

Obgleich der Zeilenbruch in der Regel gut platziert ist und somit noch in sich eine überraschende Wendung in petto hat, gibt es daneben auch allerhand Enjambements, die sich wohl einfach so ergeben haben und keinen wirklich sinnhaften Mehrwert mit sich bringen. So bleiben manche der vielen Ein-Wort-Verszeilen als seltsame Solitäre stehen. Diese Eigenart, Verse zu bauen, ist kennzeichnend für fast alle Texte.

Skiberg

Wir fügen
ihm unzählige
Schnitte
zu

Zum Glück
hat er
eine dicke
Haut

Ein gelegentliches lyrisches Wir erschafft nahezu unbemerkt kollektive Sphärenmusik. Die klassischen Themen von Landschaft, Naturgewalt und natürlich-unberührtem Raum sind durchgängiger Topos, werden unge­brochen verhandelt und entwickeln ein Eigenleben. Der Natur wird generell ein (bewusstes) Handeln angedichtet, welches mittels Redewendungen, Sprichwörtlichkeiten oder sonstiger Sprachspiele vermenschlicht wird. So bekommen Vorgänge am Himmel, in Wald und Flur vielfach menschliche Züge und werden häufig in altbekannten Mustern personalisiert. Der „Freund Regen“ redet „unaufhörlich“ und ein „Bergriese // trägt (…) seine Glatze / mit Würde“. „Ein großes Eis / nach dem anderen / schleckt Frau Sonne“, „Kamerad Mond (…) hat genug / vom nächtlichen Theater“, „Die Nebelsuppe / schmeckt wohl / keinem“ und die „Straße / läuft sich / schon mal / warm“. Die Texte im zweiten Kapitel führen zumeist urbanen Raum vor Augen. Im Text Straßenlampen wird nun auch das städtische Inventar durch vermeintlich menschliches Ansinnen und Gebaren animiert. Natürliches und Landschaftliches wird aus menschlicher Optik heraus ergründet: Der „Herr Winter“ als Meister des Schnees, den man mit seinem langen weißen Bart förmlich zwischen den Wolken sitzen sieht.

Etwas Schnee

Vom Himmel
Briefpapier
er wünscht sich
Post
von uns

Friedrich Hirschls Lyrik ist Ausdruck einer teils anmutig kindlichen, teils naiven und vorwiegend sehr braven Bilderwelt, die in punkto Klangfarben, Metaphorik und Sprachkunst ein doch vergleichsweise bescheidenes Reper­toire hat und zudem gezügelt wirkt. In diesem Kontext wirken die paar wenigen Anglizismen im Gedichtband wie Fremdkörper. Gelegentlich kommt der Eindruck auf, als sei da ein und dasselbe Gedicht mit sehr ähnlichen Kunstgriffen vielfach variiert worden: eine zündende (sprachliche) Idee wird zum Träger des Gedichts, das in knappen Worten auf genau eine Pointe zuläuft.

In sich sind die Naturbilder insoweit statisch, als der Himmel immer noch blau, der Schnee weiß, die Sonne gelb und der Winter kalt sind. Von diesen festen Größen (und leider auch Klischees) wird ausgegangen; diese ver­trauten Vorstellungen sind Ursprung für Hirschls spielerische Dichtung. Was hierbei an aparten, passepartouthaften Miniaturen in all ihrer Miniatür­lichkeit entsteht, hat dessen ungeachtet einige poetische Valenz.

Hirschls Lyrik zum Schmunzeln ist rundweg unpolitisch und sicher ein Stück weit gemacht, um den Leser abtauchen zu lassen – in einen weitgehend harmonisierten, fast niedlichen „Puppenstubenkosmos“, wo ihm die Alltags­welt mit ihren gesellschaftlichen Schwierigkeiten und ständigen Katas­trophen tunlichst nicht zuleibe rücken möge. „Es sind die hellen, bewohn­baren Orte darin, die Geborgenheit und Lebensfreude bieten und weit wer­den für Träume“, schreibt Rosa Maria Bächer, auf das Titelgedicht Nacht­haus bezogen.

In einige wenige Gedichte ist gleichwohl die Jetztzeit mit ihrer Problematik immerhin ansatzweise hineingesickert, wie man als Leser mit einigem Aufatmen registriert. Ansonsten ist nicht der Funke einer Kritik an Umwelt­zerstörung o. ä. in den Texten zu finden, was vielen Gedichten gerade auf dem Hintergrund der vielen Naturimpressionen eine verträumte, um nicht zu sagen weltferne Idyllenhaftigkeit verleiht.

Werbepause

Die Litfaßsäule
im weißen Freizeitkleid
erholt sich
vom Werbestress

Hirschls Texte wirken eher zum Meditieren gemacht. Etliche seiner knappen und manchmal lakonischen Poeme, die selten in die Tiefe gehen, könnte man mit beruhigenden Mandalas vergleichen; meistens lesen sie sich sehr angenehm und zergehen wie Bonmots auf der Zunge: beinahe sind es tröstliche Bilder, bei denen man zuschauen, nachdenken und entspannen kann – um auf eine Fernsehsendung der 80er und frühen 90er Jahre anzuspielen. Verstörenwollen ist ganz und gar nicht Hirschls Art.

Aggressiv

Die Sonne
bereitet
dem Strauch
einen heißen
Tanz

Ohne
Schattendeckung
steht er
schon bald
schwer
angeschlagen
kurz vor
dem
K.o.

Indes kann man insgesamt froh sein, dass Hirschls Gedichte sich (wie heute wieder üblich) weder mit Bukolik noch mit der inzwischen recht häufig anzutreffenden Form einer betulich-esoterischen Innerlichkeit auseinander­setzen, mit der Natur heute (als eifrig verklärtes, leider vollends zerstörtes aber dennoch zu rettendes Gut?) vielfach in ätherischen, blumigen und unverfänglichen Versen besungen wird. Zudem sind die Gedichte in Nachthaus auf angenehme Art weit entfernt von dem, was heute an Senryü-, Tanka- und Haiku-Verschnitten auf dem Markt ist. Hier bleiben Hirschls Texte ganz bei sich und haben längst ihren eigenen Stil gefunden.

Dennoch wünscht man sich bei der Lektüre hin und wieder ein Gedicht, das gegen den Strich gebürstet ist, das diesen auf die Dauer ein wenig einlul­lenden Gleichklang der Naturreflexionen sprengt und seine Gegenstände von woanders hernimmt als von da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Die Nähe zum Text-Schmankerl ist nicht zu übersehen. Hier könnte das Wort- und Sprachmaterial weiter, viel weiter aufgebrochen werden. Hier könnten Naturbilder zusätzliche Konnotationen tragen. Hier könnte in bester Jandl-Tradition ein Blick weiter hinter die Worte eröffnet werden: ein wenig mehr Experiment und Mut zur sprachlich delikaten Raffinesse könnte den Gedichten bestimmt nicht schaden. Hier wäre noch vieles möglich.
Armin Steigenberger   11.05.2010   
Armin Steigenberger
Lyrik