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Peter Handke
Ein Jahr aus der Nacht gesprochen
„Und daß ihr nicht wieder lümmelt im Gras ohne Hoffnung!“
Kritik |
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Peter Handke
Ein Jahr aus der Nacht gesprochen
Jung und Jung 2010
216 S. | 20 Euro
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Peter Handkes neues Buch liegt gut in der Hand: es sieht aus wie ein Hardcover, aber ist eine Broschur, soft und biegsam, und auch haptisch angenehm. Man nimmt es gerne her (was ja auch eine Qualität ist …) Und was noch angenehmer ist: Das Buch kommt ohne jedwedes (obligatorische?) Buchdeckelgeschwafel aus. Dies Buch sagt schlicht: ich bin kein wohlmanipuliertes Marketingprodukt, dem man aufgrund irgendeiner aufreizend-anzüglichen Überparfümiertheit von der ersten Klappentextzeile an auf den Leim gehen könnte – kein reißerisches Angeteasertwerden, kein knalliges Getriggere, kein kundenfängerisches Eyecatchertum. Hier reichen ein paar silbrig plinkernde Sterne auf tiefblauem Hintergrund, die – zugegebenermaßen – etwas unkitschiger hätten ausfallen können, aber – nun gut. Das Buch ist, was es ist.
„Heute ist die Schönheit erschienen. Hören wir auf, in Lichtjahren zu rechnen!“
Was bietet das Buch darüber hinaus? Wenig. Und gleichzeitig sehr viel: 365 Sätze in Gänsefüßchen, aus der Nacht gesprochen. Der Autor nimmt nichts vorweg, da wird nichts erklärt, man kriegt ab Seite 5 und bis zum Ende der 216 Seiten ausschließlich O-Ton aus des Autors Traumnächten. So scheint es …
„Und wieder einmal gehst du nur von einer Station zur anderen. Nichts stößt dir zu. Und das soll ein Buch sein?“
Lobenswert und in jedem Fall beachtlich der Versuch, dem Schlaf ein wenig auf die Spur zu kommen. Und so das Potenzial des Traums zu erschließen. Lassen sich derlei Traum-Worte überhaupt schriftlich fixieren, und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Es wird bewusst nichts erklärt.
„Wie sieht dich deine Mutter aus der Ewigkeit?“ – „In der Hocke“
Handke legt ein experimentelles Buch vor. Zumindest präsentiert es sich so. Es ist, aufgrund der überbordenden Kreativität seiner (traumgenerierten?) Blitzeinfälle mit einem teils überkandidelten Humor, ein ungewöhnliches, ein heiteres, ein todernstes, ein gelungenes, ein surreales, ein spannendes Buch. Und: ein sehr intelligentes Buch. Das Thema ist typisch Handke: Wirklichkeit wird bei ihm nach wie vor mittels Sprache erfahren und reflektiert, man denke an Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt von 1969.
„Eingesperrt in einen Teufel aus Glas war ich“
Und so haben wir die vielfältigsten Splitter hübsch nebeneinander – Splitter eines Kaleidoskops, die auch in summa niemals ein komplettes Bild ergeben, die nichts Ganzes vorstellen; man findet sich zwischendurch nicht mehr zurecht und ist dennoch angetan, entdeckt einen roten Faden neben viele anderen roten Fäden, sogar manch Dramaturgie drängt sich auf, viele Dramaturgien werden parallel möglich in diesem so kunterbunten, so aberwitzig durchmischten Splitterhaufen, dessen Sätze geordnet scheinen nach diesem oder jenem Schema und dann wieder doch nicht … und trotzdem ist es mehr als eine journalhafte Aneinanderreihung bloßer Sätze, deren Herkunft vollkommen rätselhaft ist. Das trägt nicht. Und soll es auch gar nicht.
„Eine Wochenkarte nach New York, bitte!“
Was für ein Buch haben wir also vor uns? Es kann – sofern es ein Traum-Buch ist (was nirgends gesagt wird!) – kein belletristisches Buch sein und muss ergo ein authentisches Buch sein, Non-Fiction also; denn der, der hier aus seiner Nacht spricht, ist kein erfundener Ich-Erzähler, auch kein lyrisches Ich, sondern Peter Handke höchstselbst: So zumindest stellt sich das Buch vor.
„Er hat die Hand in den Fluß der Träume gesteckt und sie trocken wieder herausgezogen“
Und nun gibt es ein Problem: Falls hier jemand geträumte Worte aufnotiert hat, so sind diese ja schon nicht mehr der Traum an sich, da in genau dem Moment, wo jemand zum Stift greift und einen Satz hinschreibt, längst die Ratio mitangesprungen ist und mit ihr jener innere Zensor, der tausendmal eingegriffen, ausgemustert und vorsortiert hat (– da muss noch gar nichts bis ins vorderste Bewusstsein vorgedrungen sein), bevor auch nur ein einziger Buchstabe schriftlich festgehalten wurde – jener Zensor, den man durch diese Methode eigentlich austricksen möchte; keinen anderen Zweck hätte so ein Buch. Dies wird also getan, indem man das geborgene Verbalfragment, das man aus den Tiefen und Abgründen der eigenen Träume wie ein Goldkörnchen herausgewaschen hat, noch fest in Hypnos' oder Morpheus' Armen, „spontan“ aufnotiert. Der innere Zensor hat dennoch intuitiv seine Auswahl getroffen; das schriftlich Fixierbare wurde zudem vom „Rest“traum getrennt und prompt arrangiert (sofern „Bild“ und „Tonspur“ eine Traums überhaupt etwas miteinander zu tun haben; es gibt Gründe zur Annahme, dass dies keineswegs so ist, dass also der Traum nichts mit dem zu tun hat, was man während eines Traumes spricht oder hinterher wörtlich im Gedächtnis behalten hat). Und wenn nicht zu diesem Zeitpunkt, so spätestens bei der Kompilation eines Traum-Buches wird sortiert, geordnet, umgestaltet und nolens volens eine Dramaturgie eingezogen. Denn es soll, nein es muss ja schließlich ein Buch werden. Man hat es also zu tun mit etwas, was vielleicht in seinen Ursprüngen einmal ein Traum war; mehr weiß man als Leser nicht. Man weiß nur: Diese Sätze sind von der engen Alltagslogik, mit der man gemeinhin sein Leben meistert, angenehm entkoppelt.
„Es gab einen Lachs, der vor dem Frühling sprang, und der zeigte das Maß der Freude“
Ob hier nun tatsächlich 365 Tage lang pro Nacht 1 Sentenz niedergeschrieben wurde? Es wird nicht erklärt, woher die Sätze stammen. Es spielt auch letztlich keine Rolle; von daher ist das Dilemma – ob die Sätze nun authentisch (also Non-Fiction) sind oder nicht (also Belletristik) – aus dem Weg geräumt. Klappentext und Einführung fehlen – gut so!
„Drei Firmlinge sind ineinander übergegangen.“ – „Bei zweiundvierzig Grad“
Das Buch legt, sofern man es als eine authentische Äußerung nimmt, zugleich einiges offen. Es spiegelt sich in diesem Mosaik höchst seltsam und verschroben unsere Welt wieder, es finden sich neben französischen, englischen und altgriechischen Satzbruchstücken Splitter aus Cineastik an, apart Gereimtes neben völlig ungereimten Dialogfetzen, Fußballwissen benebst frivolem Sprachspiel.
„Husserl hat uns verdorben. Nicht die Phänomene, sondern die Konstruktion! Und nicht ich ernähre mich von der Substanz – die Substanz ernährt sich von mir.“ – „Woher hast du das?“ – „Ich habe heute morgen Edgar Allen Poe gelesen“
Der poeta doctus, der uns – gelehrig über den Brillenrand äugend – an seinen poetischen Träumen teilhaben lässt? Das Buch ist voller Spitzen gegen Handkes Heimat Kärnten, gegen die katholische Kirche, ist sprachkritisch, zugleich bildungsstrotzend, nahezu allwissend, bis zum Anschlag versiert in mehreren Sprachen und in allen möglichen Kontexten zu Hause, gleichzeitig typisch „handkesch“ – augenzwinkernd, böse, sarkastisch, virtuos.
„Was ich mag: Nightclubs, Vorspeisen und Raben.“ – „Lädst du mich ein?“ – „Jetzt müssen wir was trinken, wo wir unsere Namen spüren!“
Andererseits sagen böse Zungen, Handke schriebe immer dasselbe Buch, und auch dieses sei wieder nur der typische Handke: neuer Wein in alten Schläuchen, oder, wem es beliebt, andersherum. Stimmt das? Von Handke gibt es alle möglichen Formate; er bedient alle möglichen Genres. Handke ist kein typischer Romancier, passt also überhaupt nicht in die typische Unterhaltungsschublade für Literaturendverbraucher; er schreibt und schrieb immer unbeschwert bis hin zum Unbequemen, packt Politisches bei den Hörnern, legt sich an, regt auf. Das will er. Der 1942 in Griffen (Kärnten) geborene Autor versucht sich an immer Neuem, ist unkonventionell aus Prinzip – heute nur noch Pose, Sturm im Wasserglas? Wo sein Sprechstück Publikumsbeschimpfung 1966 noch das Theaterpublikum hinter den Öfen vorgeholt hat, winkt der ein oder andere heute gähnend ab und erinnert sich der handkeschen Serbien-Kontroverse während der 90er. Das Enfant terrible Handke lieferte so manchen Aufreger. Er, der zu Lebzeiten seinen Vorlass ans Österreichische Literaturarchiv der Nationalbibliothek für einen hohen Betrag verkaufte und seine Tagebücher dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für eine unbekannte Summe zur Verfügung stellte, ist bis heute umstritten.
„Die kleinen , stillen Fliegen in der Küche: du mußt sie nicht kaufen, du kannst sie auch mieten“
Wer jemals versucht hat, ähnlich wie Handke, Satzfragmente aus Nacht und Traum festzuhalten, stellt fest, wie ähnlich doch solcherlei Sätze formal sind, und gleichzeitig, wie unterschiedlich sie inhaltlich sind. Das beweist, dass jeder Mensch in seiner ganz eigenen Privatsprache zu Hause ist. Dieses Nachtbuch ist die empfehlenswerte Alternative zu den landläufigen Tage-Büchern: es hat in diesem Format schon jetzt ein Alleinstellungsmerkmal.
„Am schönsten ist doch das Ineinanderstecken.“ – „Ja, auf dem Fahrrad.“ – „Wirklich?“
Eines steht fest: wenn diese Sätze authentische, sprich unzensierte Äußerungen aus dem Dämmerzustand des Unterbewussten sind, muss man feststellen, dass sie erstaunlich selten erotisch sind; womit die These endlich widerlegt wäre, dass Männer alle 7 Sekunden 1x an Sex dächten. Dann nämlich sähe dieses Buch „ein wenig“ anders aus.
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Armin Steigenberger
Lyrik
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