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Michael Basse
skype connected – Ein Liebesbrevier

Ich ist ein anderes Du
Kritik
  Michael Basse
skype connected
Ein Liebesbrevier
Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2010


Hier lieben sich zwei. Ein männliches Ich, ein weibliches Du – das ist vermutlich der älteste Topos überhaupt: In Michael Basses Neuerscheinung erfreuen wir uns an 42 Liebesgedichten, in denen es nicht nur um Liebe geht.
  Liebe geht durch den Äther: skype connected ist der fünfte Gedicht­band des Münchner Dichters und Übersetzers. Michael Basse ist 1957 in Bad Salzuflen (NRW) geboren und haupt­sächlich für den Hörfunk tätig.

Der Band beginnt schwärmerisch: „Tagmöndin / und mitternachtssonne / jede auf ihrem meridian / asymmetrie der geschlechter“ – es scheint, als dürfe im wundervollen Bild der „Tagmöndin“ mit dem Gegenüber einer „Mitter­nachts­sonne“ jegliche Restromantik noch einmal förmlich ausglühen. Zwei, die ihren eigenen Rhythmus haben und sich gegenseitig als Sonne und Mond anhimmeln; und zwei, die gleichsam in ihrem eigenen Universum unterwegs sind. Die Metapher vom weiblichen Mond und männ­licher Sonne gewinnt hier neue Inhalte. Gleich­zeitig wird im selben Text davor gewarnt, dass auch eine Menschheit vor­stellbar ist, in der die Menschen in genetischer Hinsicht gleich(-geschaltet) sind: „noch planen sie uns nicht“ – Romantik meets Klon­zeitalter?

Zwei, die sich lieben: das sind zwei, die mit­einander die urbane Wohnung teilen und sich auch mal tageweise an“grrr“ollen; zwei, die sich miteinander Gedanken machen, ihre „Diskus­sions­kultur“ pflegen, im „thinktank“ regel­mä­ßig politisieren, sich über den Fortgang der Welt ihre Sorgen machen und generell ihre zivili­satorische Skepsis hegen; „zwei ergrauende kinder / beim denken“ – ein schönes Bild. Basse zeichnet die reife Liebe zweier Menschen, die sich am Morgen ihre Träume mitteilen, um so nach­zu­träumen, was der andere geträumt hat; zwei, die mitunter alles in Frage stellen, was man überhaupt in Frage stellen kann. Wer meint, Liebe sei etwas zwischen zwei Herzen und ginge allen­falls durch den Magen, der kann studieren, wie sehr Liebe hier auch durch den Geist geht.

Obgleich, wie es der Klappentext ausdrückt, die Liebenden dieser Texte „keine weltabgewandt in einander Versun­kenen“ sind (und sein wollen), mutet es dennoch ungewohnt an, dass selbst im Entrücktsein der Liebe immer noch reflektiert wird: in jenem „Dichterhimmel“ der Zweisamkeit wird „tò phónema“ – die Stimme des unbeleb­ten Himmels – erkannt, anderswo das Schöne, „tò kalón“, in alt­griechischen Lettern besungen. Dabei schimmern hinter Basses Gedichten wie durch Pergament viele andere bekannte Texte hindurch. Häufig fließen Zitate ein; in einigen Texten wird damit ein Spiel getrieben. So klingen beim Thema Schönheit zweimal Rilkes Duineser Elegien an. Wo es um Engel geht, werden Motive aus Rafael Albertis Gedichtzyklus Sobre los ángeles berührt. Bei der Stelle „dein silbernes haar“ könnte man Celans Todesfuge heraus­hören. Bekannte Namen fallen zuhauf – im Text „Sieger­geschichte“ wird das Name­dropping auf die Spitze getrieben: mit „hernandez / neruda alberti eluard / ehrenburg hikmet ritsos & brecht“ fliegen einem die Dichternamen nur so um die Ohren. Dennoch sind die Anspie­lungen und Erwäh­nungen auch stille, würdevolle Hommagen.

Leise klingen sehr bekannte Verse von Rilke mit, wenn im Gedicht „Dieser löwe im zoo“ „total die contenance“ verliert, weich wird und als „Mister Supercool“ vom Herrschaftsthron der Tierwelt einmal herunter steigt, weil sich die rollige Mrs. Supercool (das Weibchen?) begattungsbereit zeigt, „tapp tapp tapp / immer hinter ihr her / (…) ein liebessklave der seinen job tut / watschn vorher nimmt er in kauf / ohne watschn geht halt nix“. Die Texte haben sogar in sich selbst oft ganz unterschiedliche Tonlagen: humorvoll, ironisch, spöttisch, manchmal melancholisch. Oder kämpferisch. Oder zärtlich. Die Gedichte in skype connected bekommen gerade durch die Verschneidung verschiedenster Sprachwelten einen ganz eigenen Reiz. Dennoch kommt das, was gesagt werden will, ohne jedes Mäandermuster in einem sehr eigenen, schlanken und meist zurückhaltendem Tonfall zu Wort.

Basses Dichtungen sind zu weiten Teilen hochrhythmisch, folgen aber keiner bewusst gesetzten Metrik. Sprachlich gesehen glitzert der Gedicht­band in allen möglichen Idiomen und Sprach­ebenen. Belebt von Zitaten in alten und neuen Sprachen kommt immer wieder in ausge­suchten Worten, die stellenweise ein wenig prätentiös wirken, der poeta doctus zu Wort; auf der anderen Seite der Skala finden sich lässige Sentenzen, neben flapsiger Umgangs­sprache auch krachertes Bayerisch und laut­male­rische Ein­schübe. Insgesamt ist die Sprache knapp gehalten, die Texte sind eher kurz, lakonisch. Manches wirkt fast wie eine Reprise von längst Gesagtem: Liebesgedichte stellen wohl das Gros der Dichtung generell, man kann nicht alles noch einmal neu erfinden; und auch Basse will die Poesie nicht neu erfinden, sondern arbeitet in Form von Nach­dichtungen an der zeitgemäßen Fortschreibung des bereits Gesagten.

Auf der einen Seite steht die „grrr“ollend-animalische Seite des Menschen: ein „menschenzoo“ mit Bildern von Löwe, Gorilla und hölderlinschem „jakal“. Auf der anderen Seite steht das vormals Göttliche: nebst Aphrodite, Artemis und Apoll der „katzengott von memphis“, die „Tagmöndin“, die Engel mitsamt ihren „epiphanien“. Dazwischen der Mensch, weder das eine noch das andere: „wir sind dem menschenzoo entkommen“, heißt es in „Abgesang auf eine bohème die es nie gab“. So ist der Text „Du bist kein engel“ eine vorzügliche Beschreibung, warum das weibliche Du des Gedichtes eben doch in übertragenem Sinn ein Engel ist – gerade durch die Negierung.

Das Gegenüber des lyrischen Ich ist klar und traditionell weiblich. Das lyrische Wir – das sich automatisch aus Ich und Du zusammenfügt – ist nicht nur ein klassischer, sondern auch immer schon ein hoch­politischer Topos, weil damit ein inzwischen stark rela­tiviertes gesell­schaftlich verbind­liches Muster über das größte erreichbare Glück zu zweien erneut beglaubigt wird. Heutzutage ist das männlich-weibliche Wir längst nicht mehr all­gemein­verbindlich. Spannend ist hierbei der Widerspruch, dass gerade auf dem Hintergrund des sozial­revolu­tionären Gestus, der in einigen Gedichten leise aber hörbar mitschwingt, ein solch tradi­tionell-partner­schaftlich ange­legtes Wir als Gegen­gewicht umso deutlicher aufscheint. Dieses männlich-weibliche Wir mit jungen und aufge­klärten Akzenten glaubhaft neu zu beleben, gelingt dem Autor sehr gut. Basses Texte gehen dabei über eine bloß schwärmerische, verklärende Anrufung einer Partnerin weit hinaus. „Ich“ und „Du“ und Wir“ wird permanent hinterfragt: immer wird dahinter auch die soziopolitische Relevanz eines solchen Wir sichtbar. „ich ist ein anderes du“: dieses „totem“ und „tabu“, wie es im zweiten Gedicht des Bandes formuliert wird, ist These und Erkennt­nis zugleich, aus der Perspektive des Gegen­übers gesehen. Das Du ist nah und gleich­zeitig fremd:„noch gilt mein erster mein letzter gedanke / dem anderen fremden in dir“.

Einige Texte in skype connected würden wohl separat nicht als Liebes­gedichte durch­gehen, geben aber dieser Samm­lung als „Liebes­brevier“ gerade ihre spezielle Färbung. Die Gedichte spielen mit ihren klassi­schen Sujets, den Engeln, den Göttinnen und Göttern und geben in diesem Bre­vier – einem (Stunden-)Gebetsbuch katholischer Geistlicher – eine pikante, an Foucault geschulte blasphe­mische Note. Basses Liebes­gedichte verharren in ihren Bild­welten nicht im hoch­speziellen weil authentischen Miteinander zweier Liebender, sondern treffen stets einen Ton der Allgemein­gültigkeit. Obwohl sie keine Idylle lobsingen, zeigen sie dennoch ihre Sehn­süchte.

Der Süden ist wiederkehrendes Thema, „nach süden / wohin sonst“ tendiert man, „der nacht entgegen / dem süden / dem meer“: der Süden (mit den Städten Rom und Austin) war auch ein Motiv Rolf Dieter Brinkmanns, dessen Texte die lyrische Stimme in einem Gedicht Basses zum „rdb-brechreiz“ treibt. Der Süden, diffuser Mythos und Klischee zugleich, Synonym für eine bessere (lebenswertere?) Welt, wird nach und nach verortet als „partenope“ (Neapel); im letzten Text des Buches „In cortona“, dem furiosen Finale, wird der toskanische Ort Schauplatz einer neuen Selbstgeburt angesichts der eigenen Vergänglichkeit, wo sich das lyrische Ich neu entdeckt. Da fließt alles in eins: die wiedererwachte Lust, der Schmerz, die Trauer um die eigene Vergänglichkeit; Todesangst wird fast verächtlich belächelt – ein faszinierender Text.

Hier lieben sich zwei: Wenn Liebe überhaupt evident sein kann, dann in Basses skype connected. Liebe, das unbekannte Etwas, das ganz ätherisch auch zwischen den Zeilen schwebt. Zuletzt werden die ineinander Verliebten selbst ätherisch: „in hundert jahren werden wir schweben / schwereloser sternenstaub / tanzende eiskristalle / keiner ist vor uns sicher“.
Armin Steigenberger   02.02.2010   
Armin Steigenberger
Lyrik