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Thomas Steiner
Störung der Bilder
Hochkonzentrierter Sprengstoff
Kritik |
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Thomas Steiner
Störung der Bilder
Gedichte
IL-Verlag Basel, 2010
IL-Verlag |
Thomas Steiner, mein Redaktionskollege bei außer.dem, hat einen neuen Gedichtband veröffentlicht. Seinen ersten. Ein Debüt also. Und ob das geht, dass man über ein Buch seines Redaktionskollegen schreibt? Ich bin jemand, der dahingehend sehr viele – zu viele – Skrupel hat. Jeder weiß es doch: Man liest Autoren anders, die man kennt, und hat solchermaßen die allbekannte (und darum häufig bemäkelte?) Beißhemmung als Kritiker, ist befangen undundund. – Na und? Wer weiß schon von außen zu beurteilen, wie intensiv wir uns bei den Redaktionssitzungen über Texte fetzen? Man hat zu Texten seine Besprechungskultur gefunden, wo es die Meinung des anderen unbedingt zu respektieren gilt und übt sich seit Jahren untereinander gerade darin, seine Meinung unverblümt vorzutragen: das ist bei Redaktionsarbeit absolut verpflichtend. Da gibt es kein Pardon, keine Beschönigung, kein Irgendwie und kein Naja; von Mittelwegen hat niemand etwas, denn das Endprodukt, die Zeitschrift, muss überzeugend und gut – nein, es muss die bestmögliche Textauswahl werden. Und gerade die Texte von Kollegen liest man deshalb besonders kritisch. Denn das muss absolut sitzen, was der Kollege schreibt. Schließlich hängt ja, wenn man so will, das eigene Ansehen dran. Soviel dazu. Also: Und ob das geht!
wir waren im zoo
& versteckten uns vor der welt.
bei den krokodilen waren wir lange
& schauten sie nicht an.
die krokodile aber, die
sahen uns & schmatzen
& träumten vom fliegen
Zunächst las ich Thomas Steiners Gedichtband mit Stirnrunzeln. Oje, dachte ich. Es waren Texte, die sich irgendwie (!) zu großflächig auf dem Papier verteilten, viel – zu viel? – Raum einnahmen für, wie es aussah, dürftigen Gehalt. Was sind denn das für Themen? Worum geht's denn da bitte? Macht es sich der Dichter nicht doch etwas zu einfach? So schien es auf den ersten Blick; zudem wirkte die unabänderliche Kleinschreibung zusammen mit den vielen Einsen („1“ für „ein“, „eine“), Zahlen und Kaufmannsunds („&“ für „und“) – die sich noch dazu anscheinend durchgängig verselbstständigt hatten, vollautomatisiert herumwimmelten und somit jeden Text stereotyp inszenierten – ziemlich austauschbar. Das hat man oft schon gesehen. Lyrik von der Stange? Und dann die Gedichte als solche, die annähernd bildlos, will sagen unmetaphorisch und eher prosaisch daherkamen, sprich so gut wie überhaupt nicht auf die Explosivkraft ihrer Bildlichkeit setzten; die sich auch nicht anderweitig innovativ aus dem Fenster lehnten; die vielmehr auf so eine stille und fast verschrobene Art leisetreterisch daherkamen, – fast möchte ich sagen – hinterfotzige Poesie?
Das ist genau der Moment, wo man ein Buch auf die Seite legt und sagt: Naja, da kommt nichts mehr; das erschöpft sich in diesem verhalten vorgetragenen Tonfall, den man irgendwie (!) schon kennt. Doch für mich stand fest: da ist was. Wenn auch nicht auf den ersten Blick, aber das ist was. Da gibt es was zu holen, zu entdecken. Dahinter steckt etwas, wie ein verborgenes Reservoir, das man (sich) erschließen muss. Etwas höchst Spannendes. Zunächst schwer zu formulieren, was es ist, aber das lohnt sich, an die Oberfläche geholt zu werden. Das ist zudem keine Masche, auch wenn es anfangs so aussieht: das ist weder nichtssagend noch ist es jene solid gebaute stromlinienförmige Retortenlyrik mit all ihren angesagten soliden Themen, wie man sie derzeit in vielfach gehypten Gedichtbänden junger aufstrebender solider Lyriker zuhauf zu lesen bekommt. Das hier – ist etwas anderes. Es sträubt sich beim Lesen. Es will nicht so recht heraus aus seinen Worten. So scheint es. Diese Texte haben nichts Sensationelles, was gleich herausblinkt; sie sind eher trocken, abstrakt; und gerade darin lohnenswert.
Hier blinkt es erst auf den zweiten Blick. Nennen wir es das unausgeschöpfte Potenzial der Worte. Hier schlummert etwas. Hier sind die Worte nicht auf maximale Wirkung hin durchformuliert, wo man quasi per Formel ausrechnen könnte, wie viele Bilder welchen Wirkungsgrad entfalten. Steiners Gedichte sind wesentlich subtiler, tragen ihren Gehalt nicht so offen herum. Sind nicht selbstgefällig. Das gerade nicht. Sie wirken einfach gestrickt, haben einen ernsten, lakonischen Tonfall und leben vom wiederholten Lesen. Ähnlich einem Mantra wirken sie verhalten vorgetragen, fast geflüstert. Das ist genau das Gegenteil von theatralisch-effektösem Spoken-Word-Gehabe mit dem wichtigtuerischen Performanzfaktor; es sind keine Wortgesten, es ist kein postpubertäres Kalauern und kein selbstverliebtes Liesmichweilichsosexybin. Was hier beim ersten Mal Lesen geradezu banal wirkt, wird – je öfter man es anschaut – umso absurder und geradezu aberwitzig.
rot & grün
habe eine paprika gekauft, eine grüne
& legte sie auf mein rotes tischtuch.
da sah sie schön aus:
rot & grün verträgt sich gut.
ich freute mich, sie zu essen
& dann aß ich sie.
schade
dass sie jetzt weg ist.
In 80 % der konventionellen Textseminare hätte man dem Autor geraten, die letzten beiden Verszeilen wegzulassen. Doch genau die machen es hier aus: dieser koboldhafte, aberwitzige Kommentar, nahezu ein Witz, wirkt erst recht durch das Nachgestellte absurd, ja fast lächerlich. Das Gedicht selbst wirkt beinahe wie eine Parodie: denn war es nicht Benn, der die Verwendung in Farben als unzulässig erklärte, weil sie reine „Wortklischees“ produzierten? Steiners Texte wirken geradezu gespickt mit Farbadjektiven. Benn zum Trotz? So kommen in Steiners Texten bunte Mäuse und blutende Ratten vor, gerade als würden Farben und Ratten Richtung Benn ein paar Nasen machen. Doch Seitenhiebe sind eigentlich auch nicht das, woraus die Gedichte ihre schlagkräftige Nachhaltigkeit beziehen. Ist es Lyrik mit zeitverzögerter Langzeitwirkung?
am letzten tag meines lebens
schien die sonne. soviel weiß ich noch.
es war warm & viele menschen & hunde waren
auf der straße. nie hätte ich gedacht, dass dabei
die sonne scheint.
Ganz allmählich entspinnt sich ein feines Gewirk an Texten, denn was da zuerst so unspektakulär wirkt, dass man sich überlegt: „Und warum macht er jetzt aus sowas ein Gedicht“, bekommt dann doch im Nachhinein eine ganz außergewöhnliche Brisanz. Es verbirgt sich etwas. Die Themen sind immer diffizil, immer delikat, haben ihre eigentliche Kraft im Nicht-Sichtbaren: worum es geht, steht – wo auch sonst – zwischen den Zeilen, hat sein eigentliches Thema nicht im Text und schon gar nicht im Titel. Die Gedichte operieren aus der Hinterhand: Sie selbst stehen eigentlich gar nicht auf dem Papier. Es sind Texte, die ganz wenig von sich vorzeigen. Die Oberfläche verschließt ihre Inhalte. Und doch geht es um die ganz großen, die ganz brisanten Themen: um Tod, um den Verlust eigener Kinder, um Verletzlichkeit, Trauer und Schmerz. Thematisiert werden Scham, Angst, Vergänglichkeit sowie Selbstreflexion und das Sich-Verändern über die Zeit. Ein Zyklus, mit dem der Dichter in Irsee einen Preis gewann, heißt die liebe, der tod und die mäuse.
mäuse
in meinem keller wohnen die mäuse
rote & gelbe, blaue & grüne
mit weichem fell
pelzig, samtig, seidig
&aus schwarzem leder.
sie nisten dort unten
& kommen zu mir, manchmal
& zeigen sich
kurz nur
ein buntes huschen im abenddunkel.
Nach und nach kristallisiert sich jemand heraus: Man spürt immer deutlicher die Facetten eines Ich, das sich vor der Welt versteckt, was man im anfänglich vorgestellten Text im Zoo, als Folie hat, was da mitschwingt, eine Scheu vor der Welt: & versteckten uns vor der welt, sagt im eingangs vorgestellten Gedicht jemand zu sich selbst. Es ist ein sich selbst beobachtender imaginärer Kommentator, der sich selbst beim Handeln und Denken zusieht. Auch das hat Vorbilder.
Das Ich darin, das lyrische, ein – könnte man sagen – komödiantischer, sehr empfindsamer und oft schamhafter Antiheld, hat auch zuweilen etwas clownesk-naives. Er ist oft bei sich, separiert von den anderen, reflektiert über sich und sein unüberlegtes Tun. Auch wenn es nicht dasteht: Es schämt sich, für Streiche aus der Kindheit, wo ein Regenwurm, in Spiritus getaucht, sofort tot war. Wo es Gin in einen Schuh schüttet und feststellt, dass dessen Farbe davon dunkelt. Dieses Ich hat ein besonderes Verhältnis zur Gesellschaft. Ab und zu ist leichter Verdruss fühlbar, eine Spur Weltekel, stets überlagert vom Selbstekel, besser gesagt von der Trauer, so (geworden) zu sein, wie es ist. So werden die Mechanismen der Welt, des „draußen“, wo Erfolg, Durchsetzungskraft, Dynamik und Marketingbewusstsein zählen, in kleinen „Nebenworten“ geradezu boshaft eingefangen und karikiert. Diese Poesie, mit ihrem dezenten, minimalistischen Auftritt, kratzt gehörig an der Oberfläche. Sie ist „von innen heraus“ politisch, hat sich im Kleinen Großes vorgenommen (Größeres vielleicht als manch vielbesprochene „große“ Poesie, die im Grunde nur schöne, betuliche Worte (er)finden kann) – was im Zweifelsfall die bessere Strategie ist, als mit einem sensationellen Großauftritt ein kleines Ziel zu haben. Oder gar keines.
kein gedicht über den aufwachraum
ich war dort & schaute zur wand
draußen schien die sonne
die mäuse huschten
& die schafe fraßen das gras
trinker tranken &
es wurde viel gegessen (wir sind 1 gefräßiges
geschlecht) bei geschlossenen augen
kamen halluzinationen.
Das lyrische Ich in den Gedichten Thomas Steiners entwickelt sich beim Lesen zum Typus, dieses lyrische Original wird unverkennbare „Marke“ und findet als lyrisches Unikum in seiner unmittelbaren häuslichen Umgebung genug Explosives, aus dem heraus seine fragile Lyrik sich entfesselt. Dieses lyrische Ich spiegelt sich in animalischen Pendants wie Mäusen, Ratten, Spinnen, Regenwürmern – neben Schafen, Katzen, Hühnern, die für etwas anderes stehen – gewissermaßen ein Bestiarium „niederer“ (nicht so hoch angesehener) Lebensarten. Krokodile nicht zu vergessen, die vom Fliegen träumen. Diese Dichtung besitzt ordentlich Subversivkraft auf engstem Raum, ich möchte sagen: sie ist hochkonzentrierter Sprengstoff.
kleine brandlöcher
unter dem dach
mit kaltem schrecken ent-
deckt, jahre alt, jahrzehnte
vielleicht sogar
von mir.
Alles in allem: Thomas Steiners Gedichte sind nicht sexy, wie z. B. amerikanische Gegenwartslyrik sexy ist. Sie sind nicht angesagt wie das, was in so manchen jüngst aus dem Boden geschossenen Lyrikverlagen momentan publiziert wird. Sie wird keinen neuen Hype begründen. Ich glaube, das genau ist ihr Charme.
Thomas Steiner, 1961 bei Reutte in Tirol geboren, schreibt Gedichte und Kurzgeschichten. Diese wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. beim Feldkircher Lyrikpreis 2007 und beim Irseer Pegasus 2011. Er lebt in Neu-Ulm.
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Armin Steigenberger
Lyrik
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