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Friederike Mayröcker
études
Lektüre von Friederike Mayröckers études
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Friederike Mayröcker
études
196 Seiten
Suhrkamp 2013
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„Es sollte sich das Wahnwitzige zeigen, auf das kommt's mir besonders an. Das war schon in ›Brütt‹ so und in meinen letzten Büchern. Es geht um den Wahnwitz der Sprache, der Leser kann einem jetzt schon leidtun.“ Dies äußerte Friederike Mayröcker 2013 vor Erscheinen ihres Buches études in einem Interview, das mit ihrer Äußerung „Ich bin ja eigentlich gegen den Tod“ übertitelt wurde. Was ist dran, an ihrer ersten Aussage, ist das Buch tatsächlich schwer zu lesen oder, wie ich kürzlich hörte – pikanterweise von einem Deutschlehrer für Oberstufe –, gar „im Grunde unverständlich“? Beispielhaft sei folgende Passage angeführt:
„… erinnerst du dich wer ich war, sage ich, ich habe dir Tanzgedichte geschrieben, nämlich die Gesellschaft der Toten : wir schauen hin aber sie schauen nicht zurück, einfach abgetreten und kommen nie wieder, ach sehr elliptisch : Verse der Büsche im Hinterland, usw., der gedrosselte Frühling, und träufelte heiszen Tee auf mein Knie, so 1 Glücksgefühl dasz ich in deinen Armen liege ……. diese meine ungezügelte Leidenschaft in den Wäldern von Berlin als wir mit Michael Hamburger (dessen Name ich stets deutsch aussprach), circa mit schwankenden Schatten und moosbehangen im aufgeweichten Waldboden versinkend, aussi, und abgelauscht den diversen himmlischen Schönheiten der Wacholderdrossel, zum Beispiel daffodil …“
Sehr unsystematisch seien ein paar Splitter aufgegriffen: „Verse der Büsche“ – nun, warum soll man sich nicht vorstellen können, dass die Natur voll Poesie ist –, so auch Büsche … und warum ihnen nicht, in dieser Art Metaphorik, „Verse“ andichten? Wer weiß schon, was Büsche ausströmen, und in jedem Fall stehen sie im Austausch, in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt, haben in dieser Weise gewissermaßen ihre Sprache. Der „gedrosselte Frühling“ – darin steht das Wort „drosseln“, es kann an die Herabsetzung von Tempo gedacht werden, aber durchaus auch an „Erdrosselung“, auch die „Wachholderdrossel“ wird so bereits vorweggenommen. Freilich sollte dazu gewusst werden, was „Tanzgedichte“ sind oder sein könnten oder dass „daffodil“ die englische Bezeichnung ist für „Narzissen“. Hinzu kommen französische Einsprengsel („aussi“) – Beifügungen dieser Art können an den von Baudelaire ausgehenden „Spleen“ erinnern – oder Mayröckers althochdeutsche Anklänge („sz“ anstelle von „ss“ oder „ß“, z.B. „heiszen“), die vor Zeiten bei ihr bereits stilbildend wurden. Doch näherungsweise im Zentrum stehen klare Aussagen, so: „… nämlich die Gesellschaft der Toten : wir schauen hin aber sie schauen nicht zurück, einfach abgetreten und kommen nie wieder“. Dies wird kontrastiert mit: „so 1 Glücksgefühl dasz ich in deinen Armen liege …….“. Tod und Liebe stehen nebeneinander, gehen ineinander über, und schließlich das aus allem schwankende Subjekt, das in Naturphänomenen aufgeht: „… mit schwankenden Schatten und moosbehangen im aufgeweichten Waldboden versinkend“. Von solcher Art ist der sprachliche Webteppich, der von Friederike Mayröcker weiter- und weitergetrieben wird, so auch in études. Was immer erscheint, ein Wort welcher Herkunft auch, das einen Horizont eröffnen kann (leitmotivisch werdende Wörter wie Cahier, Bricolage, Glacis oder Gastgarten, Winterkralle, Sturzengel), eine Erkenntnis, ein abbrechendes Bild geht über in ein anderes wie im Traum oder „einfach“, wie es sich in Kopf und Körper ereignet. So erweist sich der „Wahnwitz der Sprache“ als etwas, das sehr genau dem Denken und Fühlen nachgebildet, freilich ebenso nach eigenen Gesetzen wie allgemein nachvollziehbar durchkomponiert wurde.
Dem Verständnis für diesen reichhaltigen sprachlichen Webteppich nähert man sich weiter, wenn man die unterstrichene Schlusszeile des Prosagedichts auf S. 126 poetologisch und programmatisch liest: „ fühle mich dem Manierismus verpflichtet“. So erklärt sich – legt man die Ausführungen Gustav René Hockes zum literarischen Manierismus zugrunde – das Üppige, das so vielfach Ausdeutbare, in Verbindung mit „Geheimschrift“, Authentizität und labyrinthischer Dezentriertheit. Freilich handelt es sich um einen Manierismus spezifischer Ausprägung, der „Schwulststil“, der auch mit ihm in Verbindung gebracht wird, wird ersetzt entweder durch Nüchternheit oder eine fortwährende Erregung, die sich nah bei den Tränen sieht. Passiert es doch einmal, hin und wieder, dass sich etwas in den Gedichten dem „Schwulst“ dgl. nähert, wird es noch im Gedicht selbst kenntlich gemacht, so durch die leitmotivische Reflexion „le kitsch“. Dadurch wird erkennbar, dass und in welcher Weise die Dichterin mit den Motiven und Anwandlungen spielt. So ist eine mögliche Bezeichnung für das, was von Friederike Mayröcker zelebriert wird – sofern dies nicht von der Sekundärliteratur, die ich nicht kenne, bereits geleistet wurde –, ein reflektierter Manierismus eigener Ausprägung.
Ich hatte ein eigentümliches Erlebnis, als ich mich mit den Naturmotiven in études befasste. Ich las in dem Buch an einem Sonntagnachmittag im Naturzoo, holte mir einen Milchkaffee, und als ich zurückkam, fand sich auf der Seite, die ich las, ein größerer Fleck aus Vogelkot. Ich befand, dass die Dimension der Natur in den Gedichten um ein unübersehbares Motiv erweitert wurde …, und konnte so feststellen, wie weit sich die Naturmotive von realer Natur eigentlich entfernt haben. Die Welt der Fauna und Flora, die so reichlich zitiert und anverwandelt wird, nicht selten in Diminutiven wie „Schäbelchen“, „knospenden Ästchen“, „Vögelchen“, gehören weit eher einer Autonomen Dichtung – wie sie mit Stéphane Mallarmé verbunden wird – an als Naturphänomenen. So sehe ich diese Motive im Kontext einer Dichtung der Zärtlichkeit. Ihre Ästhetik ist gewissermaßen rein und bildet einen Kosmos und eine Haltung in sich, die sich auf vieles hin entgrenzen lässt, so auch auf Natur, ohne mit den Phänomenen im Weiteren etwas zu tun zu haben. Und an dieser Stelle melden sich auch Kritikpunkte; zuweilen dachte ich beim Lesen, nicht ohne Milde, was wird eigentlich alles „so dahingefaselt“ und ob es nicht besser täte, wenn sich die Dichtung in noch anderer Weise gewissen Realien stellen würde.
In gewisser Weise tut sie es, nämlich anhand einer nicht abbrechenden Verweisstruktur. Man kann sogar sagen, dass diese Dichtung in hohem Maße eine Art Biografie entwirft, nicht nur eine innere, wenn auch alle Bezüge, die so unbestimmt oft angedeutet werden, im Einzelnen nur der Dichterin selbst bekannt sein dürften. Das widerspricht zunächst einer Autonomen Dichtung und darauf zu sagen wäre: sie beinhaltet eben beides, diese Dichtung, Referentialität und losgelöste Autonomie. Sie ist ebenso hermetisch wie offen. Und sehr dichotom angelegt. In christlicher Terminologie ließe sich sagen, „Himmel“ und „Hölle“, im Grunde nichts dazwischen. Den sprachlichen Phänomenen ist entweder etwas „Himmlisches“ eingeschrieben oder sie zeigen etwas vom jähen, mitunter gewaltvollen Ende. So ist die Rede von „zerrissenen Adern“ oder einem Blutfleck, der sich auf dem Boden findet, und auch das wird leitmotivisch. Näher darauf einzugehen, auf die dunkle Seite, scheint nicht die Sache der Mayröcker.
Ein Wort auch zur Dimension der unerfüllten und sich im Medium der Sprache erfüllenden Sinnlichkeit. Es fällt auf, die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Liebe ist groß, das sagen viele Formulierungen, die ich nicht zu zitieren brauche; es gehört quasi zum natürlichen Lebensgefühl der Dichtung und ist zum Ausdruck gebrachtes Menschenrecht. Und nach meinem Geschmack darf die Dichtung in allen Bereichen noch zulegen, noch mutiger werden, da ginge noch einiges …
Zur Verweisstruktur, um darauf noch einmal zurückzukommen, gehören auch viele Erinnerungen, die über den subjektiven Aspekt hinausgehen und en passant zurückliegende gesellschaftliche Zeitschichten markieren (etwa durch Nennung einer nicht mehr gebräuchlichen Automarke). Nicht nur an solchen Stellen, sondern durchgängig, findet sich ein zarter, unaufdringlicher Flor von Melancholie. Dabei wird in jedem Text gezeigt, wozu „Ausdruck von Innenwelt“ in der Lage ist, und man kann sich an jene Äußerung erinnert fühlen „Lyrik als Spitze der Evolution“. Heißt: Bei aller Serialität und immer gleichen Prinzipien, die der Natur und ihren Transformationen inhärent sind, wird demonstriert, wie subjektiv (und doch allgemein verständlich), unterscheidend, einzig ein Wesen, das zu seiner Sprache gelangt, sein kann. Gegen den Tod geschrieben – noch einmal auf den markanten Interviewtitel, die Äußerung Friederike Mayröckers hingedeutet – sind dann solche Zeilen:
„Groszmutters Lotushand, hat mich auf Parkbank gehoben ich war 3, nämlich ans Herz gewachsen ……. ach Herzchen tobte vor Angst circa, tiefschwarze Heidelbeeren wie sie der Wildwuchs des Forstes, oder naschend die Waldschönheit : Einschleppung einer Liebe)“
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Ralf Willms
Lyrik
Gedichte, Gewalt I, II
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