poetenladen    poet    verlag

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Friederike Mayröcker
fleurs

Zu Friederike Mayröckers Band fleurs
  Rezension
  Friederike Mayröcker
fleurs
152 Seiten
Suhrkamp 2016


Auch im Band fleurs, der eine Trilogie abschließt, sucht das Schreiben Friederike Mayröckers dem „unmittelbaren Leben“ so nah wie möglich zu kommen, ohne es sein zu können. Daraus ergibt sich der Sehnsuchtsraum, der „unbehebbar“ ist. Sich schreibend „dem Leben“ zu nähern, hat seine Vorteile: es wird ungleich intensiver, was womöglich flüchtig war; Innehalten und Durchdringung scheinen das Leben momentweise geradezu anzuhalten, es scheint endlich zu bleiben bzw. ist nun, an einem einzigen „Punkt“, vielfach ausdehnbar; der kognitive Prozess des Formulierens resp. Erkennens leistet, wozu „unmittelbares Erleben“ bekanntlich nicht imstande ist. Das Leben im Schreiben wird also bereits an einer einzigen Stelle viele Male nachgelebt und neu gelebt und somit zum Leben selbst.

Die Art und Weise, wie ausgewählt wird (thematisch und motivlich), zeigt, welche Welt der Schreibende bevorzugt. Friederike Mayröcker entwirft eine Kultur der Zärtlichkeit, „kleinste“ Details werden noch erweitert zu einem ebenso selbstständigen wie miteinander verbundenen Kosmos ausgefahren (so „eines Regentropfen's Zöpfchen“), an anderer Stelle wird gar ein „Verlangen nach Welt-Zärtlichkeit“ konstatiert. Eine solche Stelle ist auch ein Politikum, denn – einmal so gesagt – an welcher Stelle der Gesellschaft würde schon Zärtlichkeit angeboten, ist sie, außerhalb des Privaten, möglich?

Friederike Mayröcker geht es so sehr ums Leben, das sie paradoxer- wie verständlicherweise zu fixieren sucht, dass auch dieser Gedichtband von der Klage durchzogen ist, dass nicht alles lebt. Ginge es nach Friederike Mayröcker, würde alles leben, ALLES erschlossen, transformiert werden und aufgehen – nie mehr untergehen – im Kleinen und Einzelnen wie im Großen und Ganzen. So ist die Rede vom „Atmen der Worte“ oder vom „Mund des Gedichts“, gar vom „Fusz des Gedichts“.

Friederike Mayröcker lebt, bei aller Trennung, in einer ungetrennten Welt, was als ein höchster Ausdruck von Liebe gelten kann. So wird selbst ein Fahrrad in der Erinnerung zunächst zum hinderlichen Gegenstand („das Rad war immer zwischen uns es trennte uns“), es scheint in diesem Gedichtband noch mehr als zuvor um Verschmelzung, um Verbundenheit, um solches als Absolutum zu gehen. Mit allen lauteren und „unlauteren“ Mitteln wird zu erreichen versucht – und die Schriftstellerin weiß es –, was Leben nicht ganz hergibt. Alles wird überstrahlt von einem kaleidoskopischen, neosurrealistischen Traum, es gibt keine Trennung mehr, es gibt keinen Tod mehr, und die Dinge und Lebewesen (wobei Dinge zu Lebewesen werden) kommen zusammen.

Dazu gehört auch, dass die Erschließung einer Ästhetik des Hässlichen noch weiter getrieben wurde, als ein mildes Beispiel kann gelten, „den kahlen verschwitzten Kopf umschlungen“ zu halten.

Dazu gehört, dass nur im Zustand sehr weitreichender Einsamkeit oder Alleinseins eine solche Welt herstellbar ist. Das vereinzelte Individuum ist es, das alle „Linien“ zusammenführt. Und es kann dabei an Religionen wie an die epochale Frühromantik gedacht werden. Und es hat mich nochmals ergriffen, mit welcher Energie, welcher schöpferischen Kraft Friederike Mayröcker dies tut, mit Einsatz ihres GANZEN Lebens, bis zum Schluss.
Ralf Willms     21.02.2016     Layout-/Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Ralf Willms
Lyrik
Gedichte, Gewalt I, II