americana@poetenladen
Eine Reihe zur US-amerikanischen Lyrik
Herausgegeben von Annette Kühn & Christian Lux
Frank O'Hara
Ave Maria
Mothers of America
let your kids go to the movies!
get them out of the house so they won't know what you're up to
it's true that fresh air is good for the body
but what about the soul
that grows in darkness, embossed by silvery images
and when you grow old as grow old you must
they won't hate you
they won't criticize you they won't know
they'll be in some glamorous country
they first saw on a Saturday afternoon or playing hookey
they may even be grateful to you
for their first sexual experience
which only cost you a quarter
and didn't upset the peaceful home
they will know where candy bars come from
and gratuitous bags of popcorn
as gratuitous as leaving the movie before it's over
with a pleasant stranger whose apartment is in the Heaven on Earth Bldg
near the Williamsburg Bridge
oh mothers you will have made the little tykes
so happy because if nobody does pick them up in the movies
they won't know the difference
and if somebody does it'll be sheer gravy
and they'll have been truly entertained either way
instead of hanging around the yard
or up in their room
hating you
prematurely since you won't have done anything horribly mean yet
except keeping them from the darker joys
it's unforgivable the latter
so don't blame me if you won't take this advice
and the family breaks up
and your children grow old and blind in front of a TV set
seeing
movies you wouldn't let them see when they were young
Ave Maria
Mütter Amerikas
lasst eure Kinder ins Kino gehen!
scheucht sie aus dem Haus so dass sie nicht ahnen was ihr vorhabt
es ist wahr dass frische Luft gut für den Körper ist
doch wo bleibt die Seele?
die im Dunkeln wächst, getrieben von silbernen Bildern
und wenn ihr alt werdet da ihr doch alt werden müsst
werden sie euch nicht hassen
sie werden euch nicht kritisieren sie wüssten gar nicht wie
sie werden ein glamouröses Land bewohnen
das sie zuerst an einem Samstag Nachmittag oder beim Schwänzen kennenlernten
sie könnten euch sogar ihre
erste sexuelle Erfahrung verdanken
die nur einen Nickel kostet
und das ruhige Heim nicht stört
sie werden wissen wo Süßigkeiten herkommen
und kostenlose Popcorntüten
so kostenlos wie das Verlassen des Films bevor er vorbei ist
mit einem angenehmen Fremden dessen Appartment im Himmel auf Erden Gebäude ist
unweit der Williamsburg Bridge
oh Mütter ihr werdet die kleinen Lümmel
so glücklich gemacht haben da sie falls sie doch niemand im Kino aufreißt
nicht den Unterschied kennen werden
und wenn's doch jemand tut ist es die schiere Freude
und wie es auch sei sie werden wirklich unterhalten worden sein
statt dass sie im Garten rumhängen
oder oben in ihrem Zimmer
euch vorbeugend
hassend wo ihr ihnen doch noch nichts fürchterlich Schlimmes angetan habt
außer eben jenes: sie von den dunkleren Freuden fernzuhalten
was zuletzt unverzeihlich ist
also macht mich nicht verantwortlich dafür wenn ihr diesen Rat nicht annehmt
und die Familie zerbricht
und eure Kinder alt und blind werden und vor einem Fernsehapparat
Filme sehen
die ihr sie nicht sehen ließt als sie jung gewesen
Aus: Frank O'Hara: Collected Poems, University of California Press.
© The Estate of Frank O'Hara. Mit freundlicher Genehmigung von
Alfred A. Knopf Publishing. A Division of Randomhouse, New York
Übersetzt von Christian Lux
Frank O’Hara (1926-1966)
Frank O’Hara Frank O'Hara ist neben John Ashbery der wichtigste Vertreter der sogenannten ersten Generation der New York School, zu der auch James Schuyler, Kenneth Koch und
Barbara Guest gehören.
O'Hara wuchs in Massachusetts auf, studierte Musik in Boston und diente während des zweiten Weltkriegs als Marinefunker. Nach seiner Rückkehr studierte er gemeinsam mit Ashbery und Koch in Harvard. Zu seinen Einflüssen gehören neben der Musik, Malerei und Popkultur der Jahrhundertmitte auch die französischen Symbolisten und in besonderem Maße Boris Pasternak. Anfang der 50er Jahre zog Frank O'Hara nach New York und arbeitete dort für das Museum of Modern Art, ab Anfang der 60er Jahre als Kurator. Wie Ashbery schrieb er O'Hara Kunstkritiken für Art News und war wie die anderen Dichter der New York School mit vielen Malern des abstrakten Expressionismus befreundet. Zu seinen berühmtesten Gedichten gehören „Why I am Not a Painter“, „The Day Lady Died“ und das kürzlich in der erfolgreichen Fernsehserie Mad Men zitierte „Meditations in an Emergency“.
Zu Lebzeiten publizierte O'Hara nur wenige kleine Bände, der Großteil seines Werkes wurde erst bei der Zusammenstellung der Collected Poems durch seinen literarischen Nachlaßverwalter Donald Allen und seinem Verleger zusammengetragen. O'Hara starb 1966 bei einem Verkehrsunfall am Strand von Fire Island. In Deutschland wurde O'Hara durch die Übersetzung des Gedichtbands Lunch Poems durch Rolf Dieter Brinkmann bekannt.
Werke
A City Winter and Other Poems, 1951 – Oranges: 12 pastorals, 1953, 1969 – Meditations in an Emergency, 1957, 1967 – Second Avenue, 1960 – Odes, 1960 – Lunch Poems, 1964 – Love Poems (Tentative Title), 1965 – In Memory of My Feelings Ed. by Bill Berkson, 1967 – The Collected Poems of Frank O'Hara. Ed. by Donald Allen, 1971 [National Book Award], 1995 – The Selected Poems of Frank O'Hara. Ed. by Donald Allen, 1974 – Early Writing. Ed. by Donald Allen, 1977 – Poems Retrieved. Ed. by Donald Allen, 1977
Übersetzungen
Lunch Poems. Aus dem Amerikanischen von Rolf Dieter Brinkmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1969
Auszeichnungen
National Book Award, posthum1972
Links
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22.01.2010