americana@poetenladen
Eine Reihe zur US-amerikanischen Lyrik
Herausgegeben von Annette Kühn & Christian Lux
Kevin Prufer
Ars Poetica
I’ve written love notes all my life—
the letter I dropped from the window, stained and yellow;
the one curled into the begger’s cup.
The empire fell around me
like snow, so the citizens cringed in the streets,
their laces untied—blank-faced and strange.
I’ve written love notes and I do not know
to whom. In all directions, creased between bricks
or dropped from my fingers into gutters
so someone might find them and smile. Useless notes,
empty and vaguely
sad. I did nothing to help
while the empire limped into the park like a wounded car,
but composed while the crying shuddered
to a close and the buses stalled in the alleys.
Once, a group of hungry girls knotted on the street corner
called my name. Their hair was white
with snow, their lashes wet.
Love notes leaked from my hand as I walked past.
I have always been a gorgeous mind, light-in-the-eye
and dreaming. Always a work of art, a perfection
of limbs and hair, an arc in the marble
of my writing arm. Down and down my letters fell
while the empire closed.
Aus: National Anthem. Four Way Books, 2008
Ars Poetica
Ich hab mein Leben lang Liebesbriefe geschrieben –
den Brief, aus meinem Fenster geworfen, fleckig und gelb;
den in der Bettlerschale zusammengerollten.
Das Imperium fiel um mich herum
wie Schnee, so duckten sich die Bewohner auf den Strassen,
die Schnürsenkel offen – die Gesichter leer und fremd.
Ich habe Liebesbriefe geschrieben und ich weiss
nicht an wen. Überall hin, zerknittert zwischen Backsteinen
oder durch meine Finger in den Rinnstein geglitten,
dass jemand sie fände und lächelte. Nutzlose Briefe,
ohne Bedeutung und irgendwie
traurig. Ich hab keinen Finger gekrümmt,
als das Imperium sich in den Park schleppte wie ein waidwunder Wagen,
doch schrieb als das Wehklagen sich ein letztes Mal
erhob und die Busse auf den Wegen zum Stillstand kamen.
Einmal rief eine Gruppe hungriger, um eine Strassenecke gescharter
Mädchen meinen Namen. Ihr Haar war weiss
von Schnee, auf ihren Wimpern Feuchte.
Liebesbriefe tropften von meinen Fingern als ich vorrüberging.
Ich war schon immer ein grosser Geist, leuchtend
und voller Phantasie. Immer ein Kunstwerk, eine Perfektion
an Gliedern und Haar, ein Bogen im Marmor
meines Schreibarms. Meine Briefe fielen und fielen,
als die Akte des Imperiums sich schloss.
Übersetzt von Norbert Lange
Kevin Prufer (*1969)
Kevin Prufer wurde 1969 in Cleveland, Ohio geboren. Er studierte an den Universitäten Wesleyan, Hollins und Washington. Neben seinen eigenen Gedichtbänden zählt er zu den wichtigsten Herausgebern zeitgenössischer Lyrikanthologien: New European Poets, The New Young American Poets und Dark Horses: Poets on Overlooked Poems. Er ist Redakteur der einflussreichen Zeitschriften Pleiades und American Book Review und ist zudem Vizepräsident des National Book Critics Circle. Er lebt in Warrensburg, Missouri.
Werke
National Anthem, 2008 –
Fallen from a Chariot, 2005 –
The Finger Bone, 2002 – Strange Wood, 1998
Beiträge
D. A. Powell,
Cocktails [Nachwort von Kevin Prufer], luxbooks, 2008
Ein Band mit ausgewählten Gedichten Kevin Prufers ist bei luxbooks in der Übersetzung Norbert Langes in Vorbereitung.
05.01.2010