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Kito Lorenc
Erinnerung an eine Nacht im Freien

Die wenigsten Meisen sind gedrosselte Amseln
Kritik
Kito Lorenc. Erinnerung an eine Nacht im Freien   Kito Lorenc
Erinnerung an eine Nacht im Freien
Wieser Verlag, Klagenfurt 2009
71 Seiten, 12,95 Euro


Nachdem der in Schleife bei Weißwasser geborene Dichter Kito Lorenc im März 2008 Siebzig geworden war, kamen urplötzliche die Ehrungen. Zuerst erhielt er nach Erich Fried, Peter Handke, Volker Braun u. a. den „Goldenen Schlüssel der Poesie von Smederevo“. Es folgten „doctor philosophiae honoris causa“ an der TU Dresden und „Lessingpreis des Freistaates Sachsen“.

Spät, aber nicht zu spät hatte es endlich einen erwischt, der weitgehend unbeachtet aber unmerklich an seinem Werk baut, und nicht nur das, der auch als Schatzmeister sorbischer Dichtkunst „von den Anfängen bis zur Gegenwart“ gilt. Immer wieder sichtet Kito Lorenc Weltsplitter in seiner abgeschiedenen Dichterklause am Fuße des Czorneboh, immer wieder spiegelt er seine Sichtsplitter in die Welt zurück. So auch in seinem jüngsten Buch, das in der bemerkenswerten Reihe „Europa erlesen/Litera­tur­schauplatz“ erschienen ist und 55 bislang nur verstreut bibliophil publi­zierte, vor allem aber neue Gedichte enthält. Obwohl er seinen Beruf herrlich karikiert: „Dichter muß man nicht mögen… Dichter haben nichts gelernt können nichts… Dichter kann man nicht ernst nehmen“, plädiert diese Sammlung dafür, dass man Dichter wie Kito Lorenc doch mögen kann und ernst nehmen sollte. Auffallend ist seine glatteisverdächtige, all­gegen­wärtigen Ironie, wenn er zum Beispiel in „Der kleine Ruhm“ die „kleinen Dichter… eines Sonntags spurlos verschwinden“ lässt „zwischen Unterholz und Windbruch, /in den grün und blau geschlagenen Wald“.

Surreal schräge Verse wechseln sich mit ruhig melancholischen Naturbildern ab. Auf einen solchen Vers muß man erst einmal kommen: „Die wenigsten Meisen/sind gedrosselte Amseln“. Dem 50. Jahrestag der „Heckflosse“ wird ebenso gedacht wie der „Durchreiche“ bei Mutter und Vater oder dem „Handtuch über der Morgenlatte“. Gern werden Sprichwörter und Redewendungen verballhornt, wird dicht neben dem Wortwörtlichen vorbei zitiert, auf daß der Aberwitz umso deutlicher die Wirklichkeit am Nasenring vorführt. Auch zeigt Lorenc an einem Beispiel, wie ein und dasselbe Gedicht, einmal in sorbischer Sprache „Druhe kolije“, einmal in deutscher Fassung „Zweite Schiene“, nicht zwangsläufig ein und dasselbe ist. Darin findet sich ange­sichts voreilig prophezeiter „blühender Land­schaften“ und Tage­bau­rest­löchern um Bautzen der gallige Vorschlag, in „blühenden Industrie­brachen … Indianer-/Wigwams Sorben­reservate Mond­sied­lungen / einrichten mit Fast-Food-Ständen Rummel­plätzen / Ringelpiez zum Anfas­sen… Däumchen drehen Wundertüten kleben/klugscheißen“. „

Anstatt eines Vorworts“ ist dem Buch die ebenso warmherzige wie respektvolle Laudatio zum „Goldenen Schlüssel“ beigegeben, geschrieben von dem Belgrader Litera­turwissen­schaftler und Übersetzer Zlatko Krasni, ein Kredo, ein Memento mori, denn wenige Tage vor der Preis­verleihung verstarb Krasni 57jährig. Das Büchlein zeigt sich in hoffnungsvoll dunklem Blau mit Frontispiz und kleinem Format bei 158 x 98 Millimeter. Wie immer bleibt das Gedichtformat unmessbar.


Zuerst erschienen in der Sächsischen Zeitung

Michael Wüstefeld    24.02.2010   
Michael Wüstefeld
Lyrik