Nachdem der in Schleife bei Weißwasser geborene Dichter Kito Lorenc im März 2008 Siebzig geworden war, kamen urplötzliche die Ehrungen. Zuerst erhielt er nach Erich Fried, Peter Handke, Volker Braun u. a. den „Goldenen Schlüssel der Poesie von Smederevo“. Es folgten „doctor philosophiae honoris causa“ an der TU Dresden und „Lessingpreis des Freistaates Sachsen“. Spät, aber nicht zu spät hatte es endlich einen erwischt, der weitgehend unbeachtet aber unmerklich an seinem Werk baut, und nicht nur das, der auch als Schatzmeister sorbischer Dichtkunst „von den Anfängen bis zur Gegenwart“ gilt. Immer wieder sichtet Kito Lorenc Weltsplitter in seiner abgeschiedenen Dichterklause am Fuße des Czorneboh, immer wieder spiegelt er seine Sichtsplitter in die Welt zurück. So auch in seinem jüngsten Buch, das in der bemerkenswerten Reihe „Europa erlesen/Literaturschauplatz“ erschienen ist und 55 bislang nur verstreut bibliophil publizierte, vor allem aber neue Gedichte enthält. Obwohl er seinen Beruf herrlich karikiert: „Dichter muß man nicht mögen… Dichter haben nichts gelernt können nichts… Dichter kann man nicht ernst nehmen“, plädiert diese Sammlung dafür, dass man Dichter wie Kito Lorenc doch mögen kann und ernst nehmen sollte. Auffallend ist seine glatteisverdächtige, allgegenwärtigen Ironie, wenn er zum Beispiel in „Der kleine Ruhm“ die „kleinen Dichter… eines Sonntags spurlos verschwinden“ lässt „zwischen Unterholz und Windbruch, /in den grün und blau geschlagenen Wald“. Surreal schräge Verse wechseln sich mit ruhig melancholischen Naturbildern ab. Auf einen solchen Vers muß man erst einmal kommen: „Die wenigsten Meisen/sind gedrosselte Amseln“. Dem 50. Jahrestag der „Heckflosse“ wird ebenso gedacht wie der „Durchreiche“ bei Mutter und Vater oder dem „Handtuch über der Morgenlatte“. Gern werden Sprichwörter und Redewendungen verballhornt, wird dicht neben dem Wortwörtlichen vorbei zitiert, auf daß der Aberwitz umso deutlicher die Wirklichkeit am Nasenring vorführt. Auch zeigt Lorenc an einem Beispiel, wie ein und dasselbe Gedicht, einmal in sorbischer Sprache „Druhe kolije“, einmal in deutscher Fassung „Zweite Schiene“, nicht zwangsläufig ein und dasselbe ist. Darin findet sich angesichts voreilig prophezeiter „blühender Landschaften“ und Tagebaurestlöchern um Bautzen der gallige Vorschlag, in „blühenden Industriebrachen … Indianer-/Wigwams Sorbenreservate Mondsiedlungen / einrichten mit Fast- Anstatt eines Vorworts“ ist dem Buch die ebenso warmherzige wie respektvolle Laudatio zum „Goldenen Schlüssel“ beigegeben, geschrieben von dem Belgrader Literaturwissenschaftler und Übersetzer Zlatko Krasni, ein Kredo, ein Memento mori, denn wenige Tage vor der Preisverleihung verstarb Krasni 57jährig. Das Büchlein zeigt sich in hoffnungsvoll dunklem Blau mit Frontispiz und kleinem Format bei 158 x 98 Millimeter. Wie immer bleibt das Gedichtformat unmessbar. Zuerst erschienen in der Sächsischen Zeitung
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Michael Wüstefeld
Lyrik
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