„Hinter die Fassaden/wird man selten geladen.“ Dieser Zweizeiler steht ungewöhnlich fremd platziert unter dem Inhaltsverzeichnis, als wolle der Dichter seinen Lesern damit den Stuhl vor die Tür setzen, ihnen zu verstehen geben, auch hinter die Fassaden der Gedichte ist keiner geladen. Nach dem turmhohen Erfolg seines dritten Romans wird leichthin vergessen, daß Uwe Tellkamp, geboren 1968 in Dresden, nicht nur Romancier, sondern auch Dichter und Arzt ist. Bereits im zweiten Heft des ersten Jahrgangs der in Dresden seit 2000 erscheinenden „Blätter für Literatur und Kritik – SIGNUM“ konnte ein Auszug aus der Tellkamp-Dichtung „die karavelle“ gelesen werden, vier Jahre später erhielt der Dichterarzt den Dresdner Lyrikpreis. Nach etlichen lyrischen Versatz- und Einzelstücken erscheint nun von Uwe Tellkamp ein erster Gedichtband, selbstredend hochartifiziell komponiert. Der Verlag nennt es „ein Gedicht in vierzig Kapiteln“. Schon hier ist die Frage erlaubt, ob es wahrhaft vierzig Kapitel und wirklich Gedichte sind? Die Eröffnung vor den Kapiteln übernimmt ein fiktiver Brief, in dem der Geschäftsführer einer nicht genannten Stiftung einem Herrn von Münchhausen mitteilt, daß sein „Antrag auf Förderung, über den eingehend beraten worden ist“, nicht bewilligt wird. Ein von der Wirklichkeit abgeschriebener Wortlaut, wie ihn der erfolgreiche Autor fortan vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen wird. Nach dem Münchhausenstück kommen in dreiunddreißig unterschiedlich langen und verschiedenartig geformten Texten dreiunddreißig Bewohner einer imaginierten blauen Stadt monologisierend zu Wort. Dreiunddreißigmal folgt der Autor seinem bekannten Faible für Namensfindungen, bei denen sich möglichst viele Anspielungen bündeln sollen. Da tauchen Anatom Tulp aus einem Rembrandt-Gemälde auf, aus dem literarischen Erbe Figuren wie Vicomte de Venosta aus Manns „Felix Krull“, Fatima Ahavzi aus Hauffs „kleinem Muck“, Monsieur Papillon aus Ionescos „Nashörner“ oder Dagobert Duck sowie diverses Personal aus der Weltgeschichte. Was sie miteinander zu tun haben? Angeblich sollen sie auf der Suche nach dem wirklichen Blau sein und schwadronieren dabei das Blaue vom Himmel herunter. Wie gehabt sind jede Menge Uhren und Zeit in Gebrauch. Ganz nett: „In den Uhren graben sich die Zeiger tiefer, /stechen wie Spaten vom Vorrat der Stunden.“ Urplötzlich werden Dresden (fünfmal), Nürnberger Ei und Brühlsche Terrasse genannt. Einmal sind Paragraphen zum Gedicht erhoben. Einmal wird wie bei „Kuttel Daddeldu“ drauflos gereimt, nur schlechter: „die weiche Welle – ihres Blicks auf der Stelle – drückte in all seine Gedanken 'ne Delle.“ Selbst eine Hommage an die „Olsenbande“ in Form von Dossiers über Egon, Benny und Kjeld fehlt nicht. Auch auf Spielereien wie „Rosenmaus“ und „Flederkavalier“ oder „Je preiser gekrönt, desto durcher es fällt“ wird nicht verzichtet. Solange die Tellkamp-Panzerhose als Gewaltrelikt im Dresdner Stadtmuseum hängt, sind geflügelte Hosen-Wörter mit Vorsicht zu benutzen. Deshalb verbietet es sich, nach der Lektüre dieser Texte davon zu sprechen, sie seien in die Hose gegangen. Etwas abgemildert darf aber resümiert werden: Hinter lyrisch angehauchten Fassaden/wirkt alles mächtig aufgeladen. Zuerst erschienen in der Sächsischen Zeitung
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Michael Wüstefeld
Lyrik
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