André Hille
Besuch
Tagsüber zeige ich dir die Stadt, in der ich jetzt lebe (die schönen Ecken am Kanal und die Parks) und versichere dir, demnächst in deine Stadt zu kommen, auch wenn ich weiß (und du weißt es auch), dass ich so schnell nicht in deine Stadt kommen werde, weil ich es mir nicht leisten kann. Was früher ein Lebensgefühl war, ist heute eine Frage des Geldes. Aber wir reden nicht über Geld, diese Kränkung. Wir haben uns lang nicht gesehen, also spielt Geld keine Rolle. Zwischen uns ist so etwas wie Vertrautheit, vielleicht auch Fremdheit, ich kann das, wenn wir uns sehen, nicht mehr recht auseinanderhalten. Du würdest Kultur nur noch verwalten, anstatt sie zu produzieren, sagst du, während ich dir den Museumsneubau in meiner Stadt zeige. Bei mir genauso, sage ich, ich schreibe über Kultur, anstatt sie zu schaffen. Um siebzehn Uhr gehen wir ins Kino, es ist Woody-Allen-Abend und wir sehen seinen neuen Film, in dem es um den ganz großen Aufstieg und den ganz tiefen Fall geht; zwei Stunden später stürzen wir uns, berauscht von dem Gedanken an Größe, in die nächste Pizzeria. Es ist, sagst du, die Angst davor, Mittelmaß zu sein, die dich in letzter Zeit umtreibt. Der Pizzalappen hängt von deiner Gabel. So viele schreiben und so viele schreiben schlecht, da kann es doch nicht so schwer sein. Ich nicke und sehe uns über unseren Romanen brüten oder Drehbüchern (um erst mal Geld zu verdienen), unsere Projekte bis spät in die Nacht verfolgen, unterm Kegel der Schreibtischlampe und bei endlosen Dialogen. Wir beugen uns über die Beziehungsgeflechte auf den Din-A-2-Blättern, wie Detektive sind wir dem Stoff auf der Spur, der doch nur (das weiß ich jetzt) unser gesättigtes Leben abbildete.
Wir reden über G., natürlich, weil wir im Reden über G. wieder zueinander finden. Traurig, was aus ihm geworden ist, (hier froh, Mittelmaß zu sein), wir nicken uns zu und heben das Glas. Wir reden über das Damals, an dem wir das Heute messen wie zwei Mechaniker die Werte an einer Traummaschine. Dann reden wir über T., so wie wir immer über T. reden, wenn wir zusammenkommen, (erst G., dann T., in dieser Reihenfolge.) T., der vor lauter Arbeit nicht mehr weiß, wer er ist, der abends im Stehen einschläft, T., der Familienvater, der es am besten von uns allen getroffen hat oder am schlechtesten, wie mans nimmt.
Wir bestellen uns Espresso, sogar jeder ein Tiramisu, das wir uns eigentlich nicht leisten können, aber heute spielt ja Geld keine Rolle. Die Tassen werden uns vor uns abgestellt, du drehst dir eine, setzt die Tasse an die Lippen und sagst: bitter. Streust Zucker nach. Ich bestelle noch ein Bier. Es geht, sage ich, um Relevanz, es geht doch im Grunde um die Relevanz des eigenen Lebens, das irgendwann einmal absolut relevant gewesen ist. Mein Bier kommt, ich drücke meine Lippen durch den Schaum, das kalte Getränk, darüber habe ich immerhin noch die Macht: über den Alkohol. Aber vielleicht auch dies bald nicht mehr. Wir prosten uns zu, auf uns, auf die alte Zeit. Wir haben den Bogen gespannt, geschossen und nun merken wir, dass die Kraft doch nur für die halbe Strecke gereicht hat.
Und was heißt das, Relevanz?, fragst du, als du von der Toilette zurückkommst. Ich hab uns noch zwei Bier bestellt. Dass unser Handeln, sage ich, Einfluss auf eine möglichst große Anzahl von Menschen hat. Und wo, bitte schön, sagst du, fängt Relevanz an? Beim Bürgermeister, beim Kanzler oder doch erst beim amerikanischen Präsidenten?
Dieses Bier ist zu viel, ich spüre das immer recht schnell und bin froh darüber, dass ich es immer noch spüre.
Die Frage ist, bemerke ich, über welche Zeit muss man ein Publikum von welcher Größe erreichen, um von Relevanz zu sprechen?
Nicht zu vergessen, sagst du, die Qualität der Einwirkung auf das Publikum.
Ja, sage ich.
Wir schweigen.
Letztens, sage ich, habe ich gelesen, dass der Kern einer jeden Geschichte darin besteht, dass der Glaube an etwas auf die Probe gestellt wird.
Wahrscheinlich, sagst du. Entweder geht der Traum an der Wirklichkeit verloren oder an seiner Erfüllung.
Oscar Wilde.
Wie ungefähr jedes zweite Bonmot.
Wir lachen. Und zahlen.
Dann gehen wir zu mir und holen, da bestehst du drauf, an einem Kiosk noch ein Bier (Fußpils, sagst du, alter Spruch, wir kichern und stoßen uns mit den Ellbogen an) und trinken es zu Hause unter Neonlicht am Küchentisch. Im Bad steht deine Kulturtasche, deine Zahnbürste liegt neben meiner. Es ist ungewohnt, dass eine zweite Zahnbürste, eine Männerzahnbürste, neben meiner liegt.
Wann musst du morgen raus?, frage ich.
Sieben.
Mir fallen die Augen zu, aber trotzdem kann ich nicht einschlafen, ich bin es nicht gewohnt, mit einem Mann im Bett zu liegen. Ich liege auf dem Rücken, ich spüre den Alkohol. Ich lausche auf deine Geräusche, vor allem aber achte ich darauf, dass wir uns nicht berühren, was nach sich zieht, dass ich nicht so liegen kann, wie ich es gewohnt bin. Ins Dunkel hinein fängst du plötzlich noch einmal an zu reden, von deiner derzeitigen Freundin, dass sie nur was für den Übergang sei, dass du noch immer unter der Trennung leiden würdest. Deine Stimme ist mir nahe im Dunkeln. Naja, sagst du, lass uns schlafen. Irgendwann schlafe ich ein, aber kurz darauf wache ich wieder auf, du atmest laut, etwas ist in deiner Nase, dein Knie berührt durch die Decke mein Bein, ich rücke weiter an den Rand, noch weiter, bis ich fast hinunterfalle.
André Hille 06.03.2008
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