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Ulf Erdmann Ziegler
Wilde Wiesen

Ein Weißt-du-noch-Gespräch ohne Gegenüber
Ulf Erdmann Zieglers Kindheits- und Jugenderinnerungen Wilde Wiesen

Ulf Erdmann Ziegler | Wilde Wiesen
Ulf Erdmann Ziegler
Wilde Wiesen
Autogeographie
Wallstein 2008
Bei manch einem Buch weiß man schon nach der ersten Seite, dass man es, komme was da wolle, nicht mehr mögen wird und da man von der Handlung zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viel mitbekommen hat, liegt eine solche Antipathie in der Regel an der Sprache. Und die holpert eingangs Ulf Erdmann Zieglers zweitem Buch »Wilde Wiesen« ganz schön. Das Buch beginnt mit einer Autofahrt, »von Norden her kommend nach Hamburg hinein«, »vorbei an Bremen, wo wir den Roland und sein Rathaus kannten, erreichten wir am Abend das Wahrzeichen Kölns, die riesenradgroße Leuchtschrift, die sich horizontal und vertikal BAYER las.« Weiter geht es nach Köln Lindenthal, zum »einzig möglichen Ort«, in ein »graues Mietshaus im Hochparterre«. Schon hier stellen sich erste Fragen: Gehört das Rathaus dem Roland? Was bitte ist ein einzig möglicher Ort? Und man nehme sich in Acht vor dem Kölner, dem man die Bayer-Leuchtschrift als Wahrzeichen seiner Stadt unterjubeln möchte. Bayer gehört zu Leverkusen wie das Sponsoring zum Fußball und das einzig wahre Wahrzeichen Kölns ist wohl der Dom. Liegt das Mietshaus im Hochparterre oder nicht doch eher die Wohnung? Und so geht es weiter: »Der Käfer, der Variant, der Admiral, der 190er, aber auch die Lastwagen mit Aufschriften wie Spedition Hamacher und Interfrigo, sie alle waren unterwegs auf großen und kleinen Straßen und wurden bei Bedarf in diagonale Parkplätze rangiert.« Abgesehen davon, dass diagonal angeordnete Parkplätze kaum des Rangierens bedürfen, wimmelt der Satz nur so von Allgemeinplätzen: »Käfer, Variant, Admiral«, »Spedition Hamacher und Interfrigo«, »sie alle waren unterwegs«, »bei Bedarf«, »große und kleine Straßen«. Die spürbare Anstrengung des Autors, einen sprachlich exakten Ausdruck zu erreichen, führt zum Gegenteil: Beliebigkeit.

Der mit 48 Jahren erst sehr spät ins Literaturgeschäft eingestiegene Ziegler verwendet für sein zweites Buch das gespreizte Wort »Autogeographie« (laut Verlag eine »animierte Landkarte von Orten«), man könnte auch schlichter Erinnerungen dazu sagen, doch das klänge bei weitem nicht so interessant und würde schon beim Anblick des Covers die entscheidende Frage aufwerfen: Erinnerungen? Ulf Erdmann Wer?

Eine Autobiografie also, voll von Details einer Kindheit und Jugend der 60er und 70er Jahre in der westdeutschen Provinz. Der Klappentext trägt ziemlich dick auf, will hinter den Erinnerungen das »Drama der Flucht«, die »Ära der Jesus-People« oder gar den »historischen Horizont« der deutschen Teilung ausmachen – Klappentextprosa, die genau davon am meisten verspricht, wovon der Text am wenigsten hat: Drama. Der Horizont von »Wilde Wiesen« reicht kaum über den eines mittelmäßigen Tagebuchs hinaus, ja, er bleibt sogar weit dahinter zurück, denn Ziegler stellt zwar das eigene Ich in den Mittelpunkt – gut, auch dort, vor allem dort, kann man »innere Landschaften« erkunden –, doch dort hinein, in die Tiefe des Existenziellen, gelangt Ziegler nie, weil er mit seiner Sprache immer an der Oberfläche bleibt.

Literatur entsteht dort, wo die Geschichte einen Bedeutungsgehalt über das eigene Leben hinaus entwickelt, wo die Erfahrung des Autors einen Erkenntnisgewinn beim Leser auslöst, doch in »Wilde Wiesen« gibt es keinen Mehrwert für jene Leser, die diese Zeit nicht erlebt haben, die nicht als Kinder in Einfeld, Pillnitz oder Orschel-Hagen waren. Hans-Ulrich Treichel, ein Autor, der, etwa in »Der Verlorene«, in ähnlicher Weise die westdeutsche Provinz und die eigene Vergangenheit ins Zentrum seines Erzählens stellt, versteht es immerhin, durch die Melodie seiner Sprache und eine ausgeklügelte Erzählweise zu fesseln. Die Provinz passiert bei Treichel quasi nebenbei. Der Geruch einer Metzgerei in Ostwestfalen, die protestantische Enge des Elternhauses, all das wird bei Treichel lebendig, weil der emotionale Tiefenraum einer Geschichte darunter liegt. Bei Ziegler keine Spur davon: »Wilde Wiesen« ist reine, kalte Deskription durchsetzt mit ein wenig gesuchtem Humor.

Ziegler fächert das Personal einer Kindheit und Jugend auf, das, trotz seiner scheinbaren Originalität, austauschbar ist. Figuren werden nicht entwickelt, sondern tauchen auf als klischeehafte Schemen, die irgendwann irgendeine Bedeutung für den Autor hatten: Der »Onkel mit dem schmalen Gesicht und den Fußballerbeinen«, die »Tante mit dem breiten Gesicht und den Kulleraugen« oder Cousine Gundula, »sonnig und fragil, lachend, ohne recht zu wissen warum«. Man zog durch Kleingärten und klaute Kirschen, man hatte einen Roller, einen Bundeswehrparka und den Bolzplatz, auf dem sich »Rosco den Ball schnappte und durch das Rudel der gegnerischen Jungen pflügte bis ins gegnerische Tor«. Der Roman ist ein Weißt-du-noch-Gespräch ohne Gegenüber und Ziegler einer jener Autoren, die glauben, ihr Leben sei schon deshalb von Bedeutung, weil sie Autor sind und somit Teil jener auktorialen Selbstüberschätzung, dem der deutsche Literaturbetrieb grob geschätzt ein Viertel redundanter Neuerscheinungen verdankt – Schreiben nicht für den Leser, sondern als Vergangenheitsaufarbeitung.
Ulf Erdmann Ziegler, geboren 1959 in Neumünster. Magister für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Der Roman Hamburger Hochbahn kam auf Platz 1 der SWR Bestenliste im April 2007 und auf der Shortlist für den Aspekte Preis. Ulf E. Ziegler lebt in Frankfurt am Main.
Der Autor im Wallstein Verlag

André Hille     05.02.2008

André Hille
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