Das Treffen der -oren (Autoren, Lektoren, Juroren)
Der 15. Open Mike
Ein Kommentar von André Hille
Die „Wabe“ in Berlin Prenzlauer Berg. Sechs Wände, abgedunkelte Scheiben, hinter denen Kinder aus den angrenzenden Plattenbauten lärmen. Innen: Sitzen auf Stühlen, Heizkörpern, Jacken. Schon nach wenigen Minuten beschlagen die Scheiben. Ärmel werden hochgekrempelt, schließlich handelt es sich beim zwei Tage währenden „Open Mike“ um Arbeit. Im Publikum lauscht die Hälfte des deutschen Literaturbetriebs, mehr oder weniger inkognito. Man kennt sich, ruft sich beim Vornamen. („Ist das da drüben nicht die Anne von Rowohlt? Bei Rowohlt heißen doch alle Anne.“) Lektoren unter sich; es ist ihre Party, auch wenn andere auf der Bühne stehen. Die Autoren (ein Drittel von ihnen aus Leipzig und Berlin) blicken anfangs nervös, später mit zunehmendem Selbstbewusstsein in der Gegend herum, schließlich sieht man sie erlöst plaudern, wenn sie ihren Auftritt hinter sich haben. Sonntagabend stehen alle Lektoren noch einmal vor der Wabe im Regen, schütteln Hände, bevor sie zurückfahren nach Köln, Hamburg, München. Kreativer Nachwuchs aus dem Osten und verlegerisches Establishment aus dem Westen trafen sich, um Visitenkarten auszutauschen. (Literatur-) Business as usual.
Nicht ganz. Der 15. Open Mike, nach eigener Aussage der „wichtigste deutsche Nachwuchswettbewerb für junge deutschsprachige Literatur“, bringt in diesem Jahr ein paar Neuerungen: Einen Publikumspreis, der nicht so heißen dürfte, weil das Publikum nur aus fünf von der taz ausgewählten Personen besteht (da wäre ein Applausometer oder der klassische Stimmzettel die demokratischere Variante gewesen) und ein Lyrikpreis, der, so behaupten böse Zungen, der guten Prosa einen Platz raubt. Wohlwollende Beobachter hingegen schätzen die neue, klare Trennung zwischen den Gattungen, die in den letzten Jahren öfter zu Verwirrungen geführt hat.
An zwei Nachmittagen werden alle Arten von Texten und Vortragsweisen präsentiert: Lautmalerische Lyrik und Prosa, plotlastige Short Storys, Lustiges, Biografisches mit Migrationshintergrund. Wären die Stapel aus den fast 700 Einsendungen nicht anonymisiert geprüft worden, man könnte glatt glauben, die Auswahl sei arrangiert. Eine Frage, die sich angesichts des fleißig in der Anthologie mitlesenden Publikums stellt: Ist es nun ein Vorlese- oder ein Textwettbewerb? Wenn die Texte schon als Buch vorliegen, warum dann noch vor Publikum lesen? Um die Markttauglichkeit des Autors/der Autorin zu prüfen? Doch bei manchen Autoren hilft auch das Mitlesen im Buch nichts. Sie tragen ihren Text derart unambitioniert (oder peinlich) vor, dass man glauben könnte, sie wurden nur als Statisten angeheuert, um die beiden Nachmittage zu füllen. Auf der anderen Seite machen solche Ausreißer den Wettbewerb trotz aller Professionalität unvorhersehbar und sympathisch unkonventionell.
Glückwunsch an die Jury: Sie trug ihre bestechend klaren Begründungen in der gebotenen Kürze vor und hat sich mit „Planet Pony“ von Tina Gintrowski und „Parallelgestalten“ von Johann Trupp nicht für den kleinsten gemeinsamen Nenner entschieden, sondern für die stärksten Texte, in denen Welthaltigkeit und Form zusammenfinden.
Am Ende: Eine Bühne, zwei beglückend uneitle und talentierte junge Prosaautoren mit Blumensträußen in der Hand. Manche Karrieren verlaufen nach dem Open Mike erstaunlich schnell (ob sie dies auch ohne Open Mike getan hätten?), viele andere sind zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen haben. Bei all denen entschuldigt sich Juror Georg Klein – im Namen des Literaturbetriebs.
open-mike 2005 | Bericht von Ulrike Sandig open-mike 2006 | Bericht von Katharina Bendixen
open-mike 2007 | Bericht von Anjo Schwarz
André Hille 05.11.2007
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André Hille
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