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Olaf Schmidt

Friesenblut

Kunsthistorisches vom Rande Deutschlands

Olaf Schmidt: Friesenblut
Olaf Schmidt
Friesenblut
Roman
Eichborn Berlin: 2006
Ein lang verschollenes Bild taucht auf. Es ist ein Fragment der Stillen Hochzeit des von manchen als Genie, von anderen als Provinzmaler bezeichneten Föhrer Malers Oluf Braren. Der Kunsthistoriker Anselm, der über Braren promoviert und ebenfalls auf Föhr aufgewachsen ist, macht sich auf den Weg in seine alte Heimat. Erregt über den Fund und die Chance, die dieser für seine Karriere bedeutet, begutachtet er das vergilbte Blatt, doch als er es am nächsten Tag noch einmal in Augenschein nehmen will, ist es verschwunden.

Schmidts Geschichte beginnt als spannende Mischung aus kunsthistorischem Krimi und friesischer Sozialstudie. Anselm macht sich auf die Suche nach den Hintergründen des Diebstahls und taucht dabei immer tiefer in die Geheimnisse der verschlossenen Dorfgemeinschaft ein. Da ist sein alter Freund Jahn, der Pfarrer des Dorfes, da ist Elke, seine alte Jugendliebe oder der verschrobene Lokaljournalist Boethius. Da gibt es Nazivergangenheiten, Widerstände gegen die Schnüffelei, dänischen Patriotismus. Von all dem erzählt Schmidt zu Beginn recht flott und anschaulich. Das „kleine Volk der Inselfriesen“, zu dem der 1971 geborene Schmidt selbst gehört, hat es dem Autor sichtlich angetan. Mit wenigen Sätzen skizziert er zum Teil herrliche Nebenfiguren und rückt den bärbeißigen, wortkargen, Pfeife paffenden Föhrern mit seinem ruhigen Sprachduktus auf den Leib. Umso erstaunlicher, dass Schmidt die Zeichnung der Hauptfigur misslingt. Der Kunsthistoriker Anselm bleibt im gesamten Roman blass und inaktiv. Er wird eher vom Föhrer Wetter durch die Ereignisse getrieben, anstatt sie selbst in die Hand zu nehmen.

Auf halber Strecke geht der Geschichte dann vollends die Luft aus. Aus einem lichten, friesischen Aquarell wird ein Historiengemälde. Schmidt erzählt nicht mehr, er doziert. Von dem verschwundenen Bild keine Rede mehr. Stattdessen krude Gewitterszenen in dunklen Kirchen, holprige Dialoge, gelehrige Passagen. Man erfährt etwas über die dänische Vergangenheit Föhrs, von einem großen, nordischen Reich und natürlich wird ausführlich aus dem Leben Brarens berichtet, nur leider erfährt man nichts über Anselm und das verschwundene Bild. Willenlos irrt der Protagonist über die Insel und philosophiert über das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit: „Alles, was geschehen war, hatte seine Ursache in der Vergangenheit“ und dabei laufen ihm noch „Schauer über den Rücken“.

Schmidt lässt sich gar zu einigen echten dramaturgischen Missgriffen hinreißen. Dass etwa ausgerechnet seine alten Erzfeinde aus der Schule, schnell in einer Extra-Szene eingeführt, Anselm brühwarm all jene Insiderinformationen auftischen, die er gerade benötigt, wirkt arg konstruiert, zumal Schmidt mit diesen Nebenfiguren nicht nur oberflächlich, sondern lieblos umgeht. Sie „quieken“ wie Schweine, „grunzen“, „krähen“, „krächzen“ oder „winseln“ – Schmidt scheint diese Figuren eher dem Reich der Tiere denn der Menschen zuzuordnen. „Volli Hasenscharte war doch eine arme Sau. Konnte er das Niederdrückende, die Hoffnungslosigkeit seiner Existenz überhaupt erfassen?“ Hoffnungslose Existenz wegen einer Hasenscharte? Oder wegen Föhr? Das hat nichts mehr von der genauen, liebevollen Zeichnung des Anfangs, hier spricht eine Verachtung aus der Charakterisierung, die dem Roman nicht steht.

Die Auflösung über das verschwundene Bild wird schließlich nachgereicht wie ein kalter Hauptgang: Brarens Bild stellt sich als billige Fälschung heraus, was der Museumsleiter und Braren-Experte Professor Hippel auf den ersten Blick sieht. Und man fragt sich, warum der immerhin über Braren promovierende Anselm das nicht schon zu Beginn zumindest in Erwägung gezogen hat. Am Ende fühlt sich Anselm um seine Dissertation betrogen und der Leser um seine Geschichte.
Olaf Schmidt, 1971 auf Föhr geboren, verbrachte seine ersten 20 Lebensjahre auf der Insel. Später studierte er Germanistik und promovierte. Er lebte in Tübingen und Amsterdam und ist heute als Literaturredakteur des Stadtmagazins Kreuzer in Leipzig tätig. Friesenblut ist sein Romandebüt.

André Hille      19.07.2006

André Hille
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