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Angela Krauß

Wie weiter

Lauter kleine Buddhas

Angela Krauß: Wie weiter
Angela Krauß
Wie weiter
Suhrkamp Verlag 2006
Was ist das für ein Text? Ein Roman, eine Erzählung, eine Reflexion, ein Tagebuch? Ein Text muss nicht zwangsläufig in eine Kategorie passen, doch wenn der Text selbst nicht weiß, was er sein soll, überträgt sich diese Unsicherheit auf den Leser. Und die wird man kaum los bei der Lektüre von Angela Krauß' neuem Was-auch-immer. 116 Seiten, die mal Erinnerungsbuch, mal ein Poesiealbum für Intellektuelle, mal klassische Stimmungsprosa sind. Der Titel ist Programm. „Wie weiter?,“ fragt die namenlose Protagonistin ihre sie umgebenden „Liebesmenschen“ und immer wieder verweist diese Frage auf ihre Ratlosigkeit.

Vage wird ein Stab von vier Personen angedeutet, mit denen die Ich-Erzählerin gelegentlich in Kontakt tritt. Da ist die Russin Toma, ebenso wie die Mutter eine Art Ratgeberin aus dem Off. Da ist ein männlicher Partner im Bett, in schlichter Anspielung auf die literarische Gattung „Roman“ genannt, der nur von Ritterspielen und Krieg, also von Handlung träumen darf, während die Gegenwart der Erzählenden stagniert. Und da ist Leo, der Amerikaner, mit dem die Protagonistin stundenlang am Telefon philosophiert: „Wie weiter? flüstere ich flehend in den Hörer.“ „Ganz einfach, mach irgendwas, eine beliebige kleine Handlung.“ Und später noch einmal: „Wer nicht weiterweiß, sollte eine beliebige kleine Handlung vollziehen.“ Schade, dass die Hauptfigur diesen Rat nicht beherzigt.

Nebenbei wird die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte aufgearbeitet, von der Dresdner Bombennacht über Sommerferienlager an der Ostsee, bis zu den Montagsdemonstrationen in Leipzig – winzige historische Versatzstücke, die die persönliche Geschichte einer ostdeutschen Frau andeuten sollen und doch nie persönlich werden. Der Text zerfällt. Fragen über Fragen, Ungefähres, Vermutetes, Sinnsprüche. „Was beharrt, bricht. Bleibe weich!“ Oder: „Alt ist nur ein Mensch mit altbackenen Mustern. In der Welt gibt es nichts Dauerndes.“ Sätze für die Pinnwand. Das Ganze wirkt wie eine weltumspannende philosophische Gruppentherapie, in der sich die Protagonisten permanent Weisheiten zuraunen. Lauter kleine Buddhas bevölkern die Krauß'sche Welt. Sie alle reden ununterbrochen und sprechen doch nie zum Leser.

Allein die Anekdoten aus dem Leipziger Zoo, den die Autorin aus dem Fenster ihrer Wohnung beobachten kann, vermögen gegenüber dem Zwischenmenschlichen einen angenehm unreflektierten Erzählraum zu schaffen. Die Tiersymbolik ist gelungen. Eisbären, mit denen die Instinkte durchgehen, Katzen, die in die urbane Wildnis entwischen und Schildkröten, die nur Spitzwegerich fressen, die Episoden um die Tiere stellen die dringliche Frage: Wie domestiziert ist das Wesen und gibt es einen Ausweg daraus? Dafür findet Krauß starke Bilder: Die Tauben, die auf dem Dach der Geiervoliere landen, der Büffelvater, der sein Junges tötet. Die Menschen stören in diesen Fabeln eigentlich nur.
Angela Krauß, 1950 in Chemnitz geboren, studierte in Berlin und später am Literaturinstitut in Leipzig. Seit Anfang der achtziger Jahre veröffentlicht sie vorwiegend Prosawerke. 1988 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. Sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und lebt als Autorin in Leipzig.

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André Hille     26.11.2006    

André Hille
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