poeten | loslesen | gegenlesen | kritik | tendenz | news | links | info | verlag | poet |
Marie T. Martin
Gunther GeltingerMensch EngelAuf der Suche nach dem Leben
Nur im Schreiben wird das Unmöglich möglich: Der heutige schreibende Engel trifft sein geschriebenes Alter Ego, das ihm eine Wunde zufügt. Paradoxerweise ist die Erschaffung des geschriebenen Engels aber für den Ich-Erzähler die einzige Möglichkeit, sein Leben zu bewältigen und es in verschiedenen Variationen zu erzählen. „Alle Geschichten stimmen, aber keine davon ist wahr.“ Inbrünstig und theatralisch, sprachmächtig und ohne Scheu vor Pathos wird eine Szene erzählt und kann kurz darauf gleich wieder hinterfragt werden. Ist das nicht alles völlig übertrieben und metaphernüberladen, fragt sich dann der Schreibende. So ist Mensch Engel nicht nur die Geschichte eines Leidenden, der sich von einem Suizidversuch zum nächsten hangelt, Selbstverletzung praktiziert und sich größtenteils von Tabletten ernährt, sondern eigentlich ein Buch über das Erzählen selbst und die magische Kraft, die es entfaltet, wenn man es bis aufs Blut betreibt. Gunther Geltinger schreibt dabei in seiner völlig eigenen Sprache, losgelöst von aktuellen Moden mäandern seine Sätze durch die Kapitel. Sie tragen Personennamen und stellen die menschlichen Stationen von Leo Engels Geschichte dar. Ein Punkt, um den alle Figuren kreisen, ist Engels leidende Mutter, und so ist der Schmerz auch immer ein Schmerz darüber, die Mutter nicht getröstet zu haben. Ein Motiv neben dem des Flusses ist die Wunde, die sich Engel an verschiedenen Stellen am Körper zufügt, die sozusagen wandert, bis nur noch ein Brustschmerz übrig ist, der „ja vielleicht doch so etwas wie Liebe ist“. Am Ende ist Engel angekommen bei Boris, einem bodenständigen Lehrer und schreibt seine Geschichte auf: Das Ende ist also der Anfang. Mensch Engel ist ein sprachlich außergewöhnliches Debüt mit einer komplexen Erzählstruktur und einer Figur, die ihren Erzähler herausfordert, zu sprechen. „Vielleicht weißt du ja, woher sie stammen“, fragt Engel den Erzähler an einer Stelle und meint die Narben auf dem Arm. Aus dem Verhältnis zwischen der Figur Leonard Engel, die personal erzählt wird, und dem Ich-Erzähler erwächst eine Spannung, die über das gesamte Buch hindurch trägt und als Geschichte einer verzweifelten Suche nicht von ungefähr so endet: mit einem Blick in den „hohen blauen unberührbaren Himmel.“
|
|
poetenladen | Blumenstraße 25 | 04155 Leipzig | Germany |
virtueller raum für dichtung |