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Nürnberger Rede auf Gerhard Falkner Dirk Kruse: Laudatio auf Gerhard Falkner anlässlich der Verleihung des Preises für Kunst und Wissenschaft der Stadt Nürnberg am 15. November 2010 in der Nürnberger Tafelhalle.
Ich weiß, dass es als degoutant gilt, wenn ein Laudator zuerst von sich selbst spricht, anstatt sich sogleich und mit anerkennendem Eifer auf das Objekt seiner Lobrede zu werfen. Ich will es trotzdem tun, und Ihnen von meiner ersten Begegnung mit den Versen Falkners berichten, weil das, wie ich glaube, eine exemplarische war. Es war vor ziemlich genau 15 Jahren in einem Nürnberger Antiquariat. Ich hatte vor kurzem, unter anderem ausgerüstet mit einem literaturwissenschaftlichen Studium, die Universität verlassen und beim Bayerischen Rundfunk in Nürnberg angeheuert, wo ich fürs Radio auch schon erste Buchbesprechungen verfertigt hatte. Ich plauderte mit dem kürzlich und viel zu früh verstorbenen Antiquar Gerhard Hofner über deutsche Literatur und erwarb eine rare Erstausgabe von Arno Schmidt bei ihm. Die stamme, so raunte mir Hofner zu, aus der Sammlung Gerhard Falkner, und sah mich erwartungsvoll an. Ich hatte diesen Namen noch nie zuvor gehört, und bekannte das auch frei heraus. Gerhard Falkner, erklärte mir daraufhin der Antiquar emphatisch, sei nicht mehr und nicht weniger als einer der bedeutendsten deutschen Poeten. Und dann hielt er mir eine so flammende Rede auf den Dichter und Denker, Freund und Franken, dass ich mir wünschte, ich hätte damals mein Aufnahmegerät mit dabeigehabt, alles mitgeschnitten und könnte sie Ihnen statt meiner Laudatio heute hier vorspielen, denn eine eindringlichere Panegyrik auf Gerhard Falkner ist kaum denkbar. Ich marschierte daraufhin sofort in die erste Buchhandlung am Ort – diejenige, in der der Dichter und der Antiquar Anfang der 80er Jahre gemeinsam als Buchhändler gearbeitet hatten – wild entschlossen, das Falknersche Gesamtwerk zu erwerben und zu lesen. Doch war das im Jahr 1995 eine schwer zu verwirklichende Absicht. Seine Gedichtbände so beginnen am körper die tage, der atem unter der erde und wemut waren nicht lieferbar, ebensowenig sein Prosabuch Berlin – Eisenherzbriefe. Der Grund dafür: Turbokapitalistische Wiedervereinigungseuphorie hatte den Luchterhand Verlag durch mehrere Besitzerhände und beinahe in die Pleite getrieben. Einzig ein Band mit Kurzprosa-Notizen, vom Literarischen Colloquium Berlin herausgegeben, war in der Buchhandlung käuflich zu erwerben. Er trug den für diese prekäre Situation geradezu hellsichtigen Titel Über den Unwert des Gedichts. Ich fand darin ironische Sentenzen, scharfe Polemiken und nassforsche Provokationen, wie diese hier: „Gedichte ohne Zauber sind häufig, aber nicht notwendig.“ Da legte ein Dichter die Messlatte sehr hoch an, und ich war gespannt, ob er sie selbst überspringen konnte. Ich besorgte mir das Falknersche Frühwerk also antiquarisch, was in noch internetloser Zeit ohne Antiquariatsplattformen ein zeitraubendes Unterfangen war. Doch die Mühen wurden belohnt. Jedes neu aufgespürte Buch bot aufwühlende, verstörende, beglückende Lektüreerlebnisse. Seit den Morgue-Gedichten Gottfried Benns hatte mich keine Lyrik mehr so unmittelbar berührt. Hier sprach ein Dichter, der das dualistische Prinzip zum Leuchten brachte. Er schlug neue Töne an und ließ gleichzeitig die Weltpoesie mitsprechen. Er schuf originäre Bilder und benutzte auch die alten Formen. Er schrieb Verse von apollinischer Schönheit und dionysischer Wildheit. Er war gleichzeitig angry young man und wise old guy. Unfassbar, dass ich ein Germanistikstudium hatte absolvieren können, ohne auf Gerhard Falkner gestoßen worden zu sein, während seine Gedichte zur selben Zeit an amerikanischen Universitäten auf dem Lehrplan standen, und über ihn englischsprachige Doktorarbeiten erschienen. Heute ist das anders geworden. Falkner dürfte zwar durch zahlreiche Übersetzungen international immer noch bekannter sein als bei uns, doch wurde er längst in das Pantheon deutscher Gedichtsammlungen von Echtermeyer bis Conradi aufgenommen. Bei Suhrkamp, DuMont und Kookbooks, dem Berlin Verlag und neuerdings auch bei ars vivendi erschienen viel beachtete und erstrangige Gedichtbände, die jedes Mal neues poetisches Terrain eroberten – und die alle noch lieferbar sind. In X-te Person Einzahl bewies Falkner, dass er mit der PoeSie auf PoeDu steht. In Endogene Gedichte versenkte er sich rücksichtslos ins Eigene, um daraus Allgemeines artikulieren zu können. Mit Gegensprechstadt – ground zero schuf er eines der faszinierendsten Langgedichte der Weltliteratur und eine eindringliche Berlin-Hommage. In Hölderlin Reparatur versuchte er unser Verhältnis zum einst geliebten, doch heute kaum noch gelesenen Großdichter Hölderlin wiederherzustellen. Und im soeben publizierten zweisprachigen Mundartband Kanne Blumma lotet er die Untiefen des Fränkischen bis hin zur dadaistischen Lautpoesie aus, und gibt dem heimischen Dialekt, der in der Literatur häufig für zotige Komik und naive Lebensweisheiten herhalten muss, seine Würde wieder. Selbst eingefleischte Experten des Fränkischen – von denen hier im Saal ja eine Menge anwesend sein dürften – tun sich zwar schwer mit Falkners eigenwilliger Umschrift des Dialekts, aber gerade das, meine Damen und Herren, ist ja Teil des Programms: Das so innig Vertraute muss Ihnen erst ein wenig fremd werden, damit Sie es neu betrachten können. Wirklich viele Leser hat Gerhard Falkner trotz seiner unwidersprochenen Meisterschaft als Dichter nie erreicht. Noch heute gibt es Lyrikliebhaber, die nicht eine Zeile von ihm gelesen haben. Der gebürtige Mittelfranke, der seine Heimat immer wieder floh und die Metropolen der Welt durchstreifte, gilt als eigensinnig und kompromisslos. Jahrelang etwa zog er sich angewidert vom Literaturbetrieb zurück, ehe er als spiritus rector einer jungen Generation von Lyrikern zurückkehrte, Anthologien herausgab, Poesiefestivals besuchte, Gedichte übersetzte. Man darf Falkner als writer's writer bezeichnen, der starken Einfluss auf seine dichtenden Kollegen hat, aber dessen Werk beim breiten Publikum als komplex und schwierig angesehen wird. Das ist es natürlich auch – wie alle große Kunst, aber es ist auch lustvoll, süffig und spielerisch. Wer sich nur einmal die Mühe macht, den Falknerschen Kosmos zu betreten, wird nicht enttäuscht werden. Seine kraftvolle Sprache, seine eigenwilligen poetischen Gedanken, sein breites Spektrum dichterischer Methoden sorgen dafür, dass nahezu jedes seiner Gedichte den unentbehrlichen Zauber enthält, der es, nach eigener Definition, also notwendig macht. Den geschliffenen Essayisten, den streitbaren Pamphletisten, den einfühlsamen Übersetzer, den findigen Herausgeber, den großartigen, und seit seiner Künstlernovelle Bruno auch beim Publikum erfolgreichen Erzähler habe ich hier, angesichts einer limitierten Redezeit zugunsten des genialen Lyrikers vernachlässigt. Doch auf eine Facette des Falknerschen Oeuvres muss ich gerade an dieser Stelle noch einmal mit Nachdruck hinweisen: Es ist der nicht gebührend beachtete Dramatiker. Vor genau zehn Jahren wurde auf dieser Bühne hier, anlässlich des 950. Jubiläums der Stadt Nürnberg die Kammeroper A Lady Di'es von Stefan Hippe uraufgeführt. Das sprachlich brillante und dramaturgisch raffinierte Libretto dazu verfasste Gerhard Falkner. Noch immer ungespielt in Deutschland dagegen sind Falkners beiden 1998 veröffentlichten Dramen Alte Helden und Der Quälmeister. Die deklamatorische Farce Alte Helden, bei der Samuel Beckett und Thomas Bernhard einen absurden Dialog führen, wurde immerhin in Bozen uraufgeführt und vom Bayerischen Rundfunk als Hörspiel eingerichtet. Das Nachbürgerliche Trauerspiel Der Quälmeister über gestörte Mann-Frau-Beziehungen und Rituale der Bindungsunfähigkeit, von dem Falkner sagt, er habe darin versucht, „das Schicksal, von einer Mutter geboren zu sein, auf Bühnenverträglichkeit herunterzuspielen“, harrt sogar immer noch seiner Uraufführung. Ich bin der Meinung, dass Falkner gespielt werden muss, und fordere das Nürnberger Staatsschauspiel auf, sich der beiden Dramen anzunehmen. (Herr Kusenberg kann ja dann immer noch sagen, dass er so lange mit der Aufführung gewartet hat, bis das Theater so schön renoviert war). Ich bin gern bereit, meine beiden Widmungsexemplare demjenigen herzuschenken, der die Stücke wirklich ernsthaft für sein Theater prüft. Lesen Sie Gerhard Falkner! Sie werden einen sprachgewaltigen Autor kennenlernen, der ein sensibler Beobachter gesellschaftlicher Zustände ist, einen begeisterten Melancholiker, einen der klügsten Köpfe der deutschen Literatur, Kenner der Kunst und Philosophie, Botanik und – nomen est omen – Ornithologie, der sich selbst immer nur mit fränkischer Bescheidenheit als leidenschaftlichen Autodidakten bezeichnet. Ein ganz früher Aphorismus des Autors aus dem Jahr 1977 lautet: „Lyriker sind wie Bettnässer: sie können den Traum nicht halten.“ Da mag er Recht haben. Doch sofern es sich um Falknersche Ergüsse handelt, wünschen wir Leser dem Autor eine allzeit produktive Diurese. Es ehrt Gerhard Falkner, dass er den Preis für Kunst und Wissenschaft der Stadt Nürnberg erhält. Es ehrt die Stadt, dass Gerhard Falkner den Preis annimmt, und dass sie einen so bedeutenden Dichter aus Franken überhaupt auszeichnen kann. Ich danke Ihnen.
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