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Poetik der Unschärfe
Vorbemerkung anlässlich der Lesung aus Kanne Blumma beim
Der Begriff der Unschärfe ist vor allen Dingen aus zwei Zusammenhängen bekannt, dem mit der Fotografie und der Physik. Er bedeutet zunächst Ungenauigkeit, Unbestimmtheit des Abbildens und beinhaltet im strengeren Sinne noch keine Mangelhaftigkeit. Selbst in der Fotografie, wo es am nächsten läge, kann dies eine erwünschte Qualität sein, gerät aber durch den Autofokus mehr und mehr aus dem Blickfeld. In der Quantenmechanik findet er Verwendung, wenn zwei messbare Größen sich nicht gleichzeitig beliebig genau messen lassen, etwa Ort und Impuls eines Teilchens. Diese Erkenntnis Heisenbergs führte im Zusammenhang mit dem Planckschen Wirkungsquantum zu einer Vielzahl hochpräziser Anwendungen. Dass der Begriff Unschärfe auch in der nachklassischen Logik von Bedeutung ist, zum Beispiel in der sogenannten Fuzzylogic, ist schon weniger bekannt. Man nennt das dort „unscharfe Theorie“. Sie dient dazu, das reichlich in der Welt vorhandene Verschwommene und Vage wissenschaftlich zu bestimmen beziehungsweise logisch greifbar zu machen. Nun findet aber die Unschärfe auch in der Sprachtheorie Anwendung, um die Phänomene von Mehrdeutigkeit oder Ambiguität zu beschreiben. Allerdings ist das in der Linguistik eine sehr theoretische und sterile Komponente und arbeitet überwiegend mit dem Sprachvergleich, der dann in der numerischen Linguistik oft das Aberwitzige streift. Selbst in der Psychologie hat dieses Phänomen und Forschungsmodell seinen Platz inzwischen gefunden. Nur dort, wo die Verwendung auf der Hand läge, in der Dichtung, oder der Lyrik, wie sie heute verkleinernd gerne genannt wird, ist ihre Position meines Wissens nie erkannt worden. Nie, wie ich sagen möchte, zur Sprache gekommen. Auch die Unschärfe poetischer Sprache ist, wo sie zur idealen Wirkung kommt, nicht unbedingt als Mangel aufzufassen, sondern besitzt, wie in der Fotographie oder der Physik, eine (eigene) Qualität, die im Unterschied zur Schärfe erst einmal einfach zu anderen, bestenfalls aber auch umfassenderen Ergebnissen kommt. Die exakte Sprache hat, wie man aus den Fachsprachen weiß, ein vergleichsweise armes metaphorisches Wirkungsspektrum. Das heißt, sie bleibt erwünschter Weise in ihrer Begrifflichkeit stecken und ist daher für Höhenflüge, Übergriffe, nomadisierende Anwendungen und andere Formen der Sublimation ungeeignet. Sie öffnet lediglich oder höchstens ein kleines Assoziationsumfeld, was sich aus ihrem Zwecke von selbst versteht. Die poetische Sprache, und zwar nicht im unlogischen, sondern im außerlogischen Sinn, besitzt hingegen die denkbar größte Bewegungsfreiheit zwischen den durch ihren Besitzanspruch blockierten Begriffen und deren Anrainern und Nachbarschaften. Mit anderen Worten, ihre Unschärfe erzielt sprachliche Nebenwirkungen, welche die Besiedelung mit neuer Bedeutung und eigener innerer Anwandlung ermöglichen. Genau hierin besteht die bewusstseinserweiternde Wirkung von Lyrik, dass nämlich der ausschließlich durch Sprache begehbare Raum der sogenannten Wirklichkeit reicher und intimer wird. Dadurch wird Sprache von der Existenzbedingung zum Spielraum. Genau dieser Spielraum ist es, in dem sich ungehindert von der Eindeutigkeit und von der in anderen Zusammenhängen zwingend erforderlichen Begriffsschärfe ein poetischer Überschuss bilden kann. (Denn die poetische Unschärfe, wohlgemerkt als hohe Kunst, schließt alle Formen von Geschwafel, sittlicher und sinnlicher Bewölkung oder figuratives Remmidemmi aus.) Die harte Unterscheidung zwischen wahr und falsch, wird durch die weiche Grenze zwischen gegeben und möglich, zwischen Melodie und Harmonie gemildert. Die Metapher, das poetische Bild, Kernstück poetischer Sprache und Kontrapunkt ihrer Musikalität, ist der Inbegriff kunstvoller und beabsichtigter Unschärfe. Mit ihrer Hilfe wird die Sprache über das gesetzte Wort hinaus andeutungsreich und multipel. Gerade diese Qualität und Impulsunschärfe trägt zur Ermittlung oder auch Wachrufung jener in ihrer Radikalität sonst kaum fassbaren romantischen Gefühle bei, die sich ja immer eher in einer Schichtung von Stimmungslagen befinden als in eindeutigen begrifflichen Zustellungen wie Freude, Lachen, Kummer, Sehnsucht etc. Wobei ich unter romantischem Gefühl auch die wachhaft erträumte Luzidität geistiger Durchdringung einer absoluten Setzung jenseits aller klassischen Fallgesetze verstehe. Die reine Übersteigung. Da ich hier keinen wissenschaftlichen Vortrag halten kann, belasse ich es bei diesen raschen Andeutungen, obwohl sich Feinheiten herausarbeiten ließen, die Zeit und Aufwand verdienen würden. Ich möchte hier aber und aus gegebenem Anlass noch auf eine Sonderform der poetischen Unschärfe eingehen, die ich in meinem Buch „Kanne Blumma“ umfassend genutzt und geplündert habe, nämlich den Dialekt. Den Dialekt habe ich in diesem Fall dialektisch und nur bedingt mundartlich verwendet. Er war für mich das Kopfsteinpflaster auf der Strecke ins Experiment. (Und die Nürnberger haben mir diesen Weg selbstverständlich NICHT gedankt!) Während ich im sogenannten hochsprachlichen Gedicht unbedingte und hochgradige Tiefenschärfe erwarte und der Unschärfe eine Funktion zuordne, deren Sinn die Überwindung sprachlicher Festkörperphysik zugunsten größerer sinnlicher Viskosität sein soll und kann, liegt die Unschärfe in „Kanne Blumma“, aus dem ich anschließend lesen werde, im unbestimmten Zwischenraum zwischen Dialekt und Hochsprache. Also dort, wo sich nach Freud, auch der Witz (und seine Beziehung zum Unbewussten) gerne versteckt. Die Ergebnisse sind, wenn auch nicht immer die Gleichen, so doch zumindest ähnlich. Durch die Metaphern- Zwei Beispiele möchte ich geben, bevor ich mich selber sprechen lasse. Das erste ist das verkappte Titelgedicht: Ade Kanna. Es bedeutet: „Eine Teekanne“ und „Abschied von der (Tee) Kanne“, denn deren Beschreibung im Gedicht läuft unweigerlich auf die Tatsache hinaus, dass sie nicht da ist! Das Gedicht beginnt mit dem Wort Oma, das ich auch gerne in Symbiose mit drohma gebrauche, wo es dann als „oma drohma“, also oben droben, den nicht immer schwachen Gegensatz zu „undn drundn“ bildet. In Verbindung mit diesem ersten Wort und dem Titel wird dann also daraus: Großmutters Teekanne, und nach der anschließenden Beschreibung weiß man, dass es die nicht mehr gibt. Das zweite Beispiel ist das offensichtliche Titelgedicht: „Kanne Blumma“, ein Rondo, in dem vom Dialekt ein wahrhaft reißerischer Gebrauch gemacht wird. Dieses Gedicht ist tatsächlich aber eine Blüte des Tiefsinns unter dem Krach, den es veranstaltet. In einem Raum, der sich vom kleinen Zimmer, über das ganze Haus bis zur Welt vergrößert, wächst auch das Leid, vom privaten Leid in den eigenen vier Wänden, zu jenem großen Leid, von dem die Welt voll ist. Hier ist der (fränkische) Dialekt mit verschwenderischen Angeboten „zur Stelle gewesen“, denn dort (oder hier) in Franken, sind die Leute selbst das Leid, das sie verursachen und eine Welt voller Leute, „ä whelld vuller Leid“ befürwortet eben auch eine Welt voller Leid. „Di Leid senn hamm“ heißt in endlos möglichen Bedeutungsstapelungen die Leute sind heimgegangen oder das Leid ist abgezogen. Aber nicht nur die Leute und das Leid, sondern auch ein weiterer Kardinalbegriff unserer Existenz schlechthin, nämlich das Leben, wird einer Mehrdeutigkeit unterworfen, die es aus jeder objektiven Betrachtungsmöglichkeit herauskatapultiert. Im Lehm nedd heißt eben nicht nur: nie im Leben, sondern der Lehm, fränkisch bildstark „Lahmer“ genannt, und als „Lahmer Baddsn“ an den Schuhen haftend, ist der Inbegriff des hier Dregg genannten Schmutzes. Zusammengefasst also, die Welt ist durch die es mit Leid erfüllenden Menschen ein schmutziger Ort, in dem eine Teekanne aus Großmutters Zeiten einfach nichts verloren hat. Da alles Haben in Franken als Hobby betrieben wird, (Haid Hobby niggs gräichd also: „Heute habe ich nichts bekommen“ heißt), sind die Anwendungen dieses Hobbies für Besitz, Freizeit und Kultur unbegrenzt. Hobby also binni! Ich habe, also bin ich. Gerhard Falkner, Czernowitz / Ukraine 2014
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