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Ludwig Fels  –  Grußadresse an die Herren der Finsternis

Man stelle sich vor: Jemand schreibt Gedichte, ohne je ein germanistisches Seminar besucht zu haben. Wo wir doch heute von jedem gewissenhaften Literaten erwarten dürfen, dass er mit dem Diskursiven bei Hegel vertraut ist oder zumindest über die Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns referieren kann. Aber nein: Der, von dem hier die Rede ist, ist kein Poeta doctus. Ich bin nicht scharf auf akademisches Biedermeier, bekennt der Dichter und Romancier Ludwig Fels unumwunden.

Worauf dann? Hier eine kleine Liste von Wörtern, die sich in den Gedichten des Lyrikers auflesen lassen: Klamotten, Bier, Beton, Schädel, Stammtisch, Fabrik, Scheiße, Werkschutz, Klo, Kanonenfutter, Urin, Faust, Schweißfüße. Gut, ich höre auf. Poetische Feingeister sollen hier nicht mit schäbigen Gerüchen behelligt und desensibilisiert werden.

Fels allerding schreibt permanent über diese Welt und über den Alltag derer, die ihr Empfinden nicht dichterisch artikulieren, sondern in ihrer Not eher mit Fäusten und vulgärem Vokabular als mit gekonnten Zeilenbrüchen Aufmerksamkeit erregen. Fels holt ihre Sprache in die Poesie, was zweifellos so wirkungsvoll ist wie ein Auftritt beim Wiener Opernball mit Fracktaschen voller Dynamit – Ludwig Fels lebt seit Jahren in der österreichischen Hauptstadt.

In seinen Gedichten wird geraucht, gesoffen und gekotzt. Dieser Literat, einer aus dem asozialen Milieu, wie die FAZ anmerkt, lädt die Poesie mit Krudem auf. Er schüttelt verwegene Rhythmen und Wendungen aus den Ärmeln: Ich bin Kettenraucher / und Quartalssäufer / und trage die Kleider von Leuten / die mir nicht passen / und töte die Sonntage / mit Schlaf. Und er weiß, welche Chancen dieses Land Leuten aus seinem Milieu üblicherweise bietet: Wird mir ein Tor aufgetan / führt es in die Fabrik.

Nicht zu überhören ist der Zorn über das würdelose Leben der Abgeschriebenen. Ein lyrisches Sprechen, das benennt und nicht verbrämt. Niemand wird erwarten, dass solch ein Gesang aus dem Bauch sich an einem politisch korrekten Sprachgebrauch orientiert.

Grußadresse an die Herren der Finsternis

Laßt uns das Leben. Euch wünsch ich den Tod.
Daß ihr aussterbt! Bald und für immer. Laßt uns am Leben!
Ohne euch haben wir schon die Hälfte
von dem, was wir wollen, wir wollen:
Frieden, Freiheit. Und Lust auf kluge Gefühle.
Der Mensch hat das Gesicht der Erde gemacht
im Spiegel des Himmels zerreißt er ihr das Gesicht. Jetzt
sind die Wolken wie Wunden.
Die Geschichte ist ausgestorben. Das Zeitalter der Tiere
für tot erklärt. Sollen wir leiden
auch an unserer Erinnerung?
Was wollt ihr noch mehr? Könnt nicht
in den Boden sinken vor Scham ohne den Wunsch
von mir, daß euch die Knochen durchbohren mögen,
nicht die Würmer.
[Eins wißt: die Tränen faulen mir in den Augen.]*
Wir fahren die Sterne hinauf.
 

Das Gedicht stand so 1986 in der Neuen Rundschau (H. 1) des Fischer Verlags. Im selben Frühjahr kam es zum GAU in Tschernobyl. Der Kanzler in Bonn hieß Helmut Kohl und auf dem weltpolitischen Parkett reichten sich Ronald Reagan und Margaret Thatcher die Hand. Dass Natur sich nicht zur Vorgartenkulisse degradieren lässt, leuchtete erst wenigen ein. Joschka Fischer wirkte als Umweltminister in Hessen, die RAF war schon Geschichte, während der Film Stammheim von Reinhard Hauff für Furore sorgte.

Man darf sich fragen, wer sind diese Herren der Finsternis? Der Dichter ist raffiniert genug, es mitzuteilen, ohne es auszusprechen. Er wünscht ihnen, ganz unakademisch, den Tod und reklamiert für ein allgemeines Uns eine Notwehrsituation. Der Zorn verbindet sich zeilenweise mit jenem felstypischen hölzernen Pathos. Daß ihr aussterbt! Bald und für immer. Laßt uns am Leben! ... wir wollen: / Frieden, Freiheit. Und Lust auf kluge Gefühle.

Diese Direktheit, gepaart mit einer unstatthaft anmutenden Naivität, verblüfft. Während der Kritiker erregt zum Diskurs ansetzt und Simplizität und Klischeehaftigkeit moniert, entfaltet das Gedicht eine störrische Kraft. Es ist originäre Poesie, die, ein wenig wie ein angeschlagener Boxer, wuchtig-schwer und dennoch würdevoll in Erscheinung tritt. Und die Zeilen sind bei alledem schön.

Ludwig Fels hat es gewagt, sich gegen die Herren der Finsternis zu positionieren. Wo gibt es Vergleichbares unter jüngeren Dichtern? Es heißt, sie litten unter ihrer subventionierten Sprachartistik und trügen schwer an Fragen, die nur für sie erfunden seien. Die Herren der Finsternis jedenfalls dürfen sich sicherer fühlen denn je: Nicht sie, so scheint es, sterben aus, sondern die couragierten Dichter.

* Die Fassung von 1986 in der „Neuen Rundschau“ weicht von der späteren Fassung im Gedichtband „Blaue Allee, versprenge Tataren“ (Piper 1988) ab – vor allem hinsichtlich der Zeilenumbrüche. Der eingeklammerte Satz ist in der Fassung von 1988 gestrichen.

Andreas Heidtmann

Ludwig Fels – Gedichtbände

Anläufe
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1973

Ernüchterung
Berlin, Erlangen: Verlag Klaus Renner 1976

Alles geht weiter
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1977

Ich war nicht in Amerika
Berlin, Erlangen: Verlag Klaus Renner 1978

Zeit-Gedichte
München: Damnitz Verlag 1979
Nr. 3-1979 Kürbiskern Zeit-Gedichte 32 S.

Vom Gesang der Bäuche
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1980

Ich bau aus der Schreibmaschine eine Axt
Gedichte und Geschichten
Berin/Weimar: Aufbau 1980

Am Anfang der Vergangenheit
München: Piper Verlag 1984

Blaue Allee, versprengte Tartaren
München: Piper Verlag 1988

Ludwig Fels (Lyrik)
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Ludwig Fels – Prosa (Auswahl)

Platzangst. Erzählungen
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1974

Die Sünden der Armut. Roman
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1975

Mein Land. Geschichten
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1978

Ein Unding der Liebe. Roman
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1981

Kanakenfauna. Fünfzehn Berichte
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1982

Betonmärchen. Prosa
Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1983

Die Eroberung der Liebe. Heimatbilder
München: Piper 1985

Der Himmel war eine große Gegenwart. Ein Abschied
München: Piper 1990

Rosen für Afrika. Roman
München: Piper 1991

Bleeding Heart. Roman
München: Piper 1993

Mister Joe. Roman
München: Luchterhand Literaturverlag 1997

Krums Versuchung. Roman
Hamburg: Europa Verlag 2003

Ludwig Fels (Romane)
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