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Nicht ohne Literaturpreis oder
Küss mich wo's gut tut
Täglich dürfen sich Autoren hier und andernorts über Literaturpreise freuen. In den Pressemeldungen liest man von Werken, die gesellschaftliche, geschichtliche oder subjektive Entwicklungen auf hohem sprachlichem Niveau reflektieren. Das alles geschieht in authentischer, virtuoser und originärer Weise. Die Verlautbarungen selbst sind Proben eines sich bedeutsam gebenden Preisrichterjargons aus schillernden Versatzstücken.
Neben Highlights wie dem Büchner- oder Goethepreis bietet das Mittelfeld deutscher Prämierungen viel Raum für Unspektakuläres. Dazu gehört neuerdings der Preis der Leipziger Buchmesse. Zunächst können sich Juroren fürs Lesen über Sitzungsgelder freuen. Warum anschließend Ilija Trojanow für seinen Weltensammler prämiert wird und nicht Paul Ingendaay oder Clemens Meyer, bleibt ein Rätsel. Beruhigend, dass man sich von vornherein auf jene Handvoll illustrer Verlagshäuser konzentriert, die den Belletristikmarkt dominieren. Dass Hunderte kleine und mittlere Verlage ihre Autoren ins Rennen schicken, ist für die Statistik ein Plus. Die ehrgeizige Jury attestiert sich gute Arbeit und ist auf ihr Ergebnis – so wörtlich – stolz.
Mehr Spannung versprechen Ausschreibungen, die eine Eigenbewerbung der Autoren erlauben: Etwa der Alfred-Döblin-Preis oder der MDR-Literaturpreis, der beim Finale das Publikumsvotum einbezieht. Noch erfrischender sind die echten Nachwuchslesewettbewerbe: Wer als angehender Literat wissen will, was gerade in der Luft liegt, sollte den Literarischen März oder den Open Mike nicht verpassen. Hier muss die Jury vor Publikum und Jungliteraten bestehen. Gerade diese Offenheit lockt Zuhörer und fördert das Interesse an gegenwärtiger Literatur. So hat sich der Klagenfurter Bachmannpreis dank mitvollziehbarer Urteilsfindung zum herausragenden deutschsprachigen Literaturereignis entwickelt.
Jüngst sah ein Crack der Literaturszene sich außerstande, auch nur die Hälfte der Ehrungen aufzuzählen, die auf sein Œuvre entfallen. Naturgemäß erleichtert die Fixierung auf Autorenprominenz die Wahl. Wer genügend Literaturgremien erfolgreich durchlaufen hat, kann nicht gar so schlecht sein. Vielbeschäftigte Juroren können so in Abstimmung mit dem Preisstifter einen Schriftsteller küren, ohne sich zu blamieren.
Es soll vorkommen, dass ein möglichst großer Name für einen möglichst mickrigen Preis gesucht wird. Wünschte nicht kürzlich die aufstrebende Kulturmetropole Neuendittelsburg einen repräsentativen Schriftsteller anlässlich ihrer 750-Jahrfeier? Nachdem Gabriele Wohmann, Günter Grass und Dieter Bohlen abgesagt hatten, ging der Preis – zwei Übernachtungen plus Ehrenloge beim Festumzug – an einen Literaten der Nachbargemeinde. Dass diese sich im nächsten Jahr mit einer nicht minder originellen Preisofferte für einen Neuendittelsburger Dichter revanchiert, gilt als abgemacht.
Vom Preissegen profitieren natürlich auch jene Literaten, die längst zur Literaturgeschichte gehören. Man prüfe nur, ob man einen namhaften Schriftsteller findet, nach dem kein Preis benannt ist. Lessing, Goethe, Schiller, Kleist – geschenkt. Hölderlin, Jean Paul, Büchner – selbstverständlich. Die Brüder Mann, Alfred Döblin, Hermann Hesse – aber klar. Und die Autoren der Nachkriegszeit: Hans Erich Nossack, Arno Schmidt, Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann – ja, ja, ja. Die Zukunft wird uns die Botho-Strauß-Plakette für Uckermark-Gesänge bescheren, die Martin-Walser-Medaille für Seelenarbeit und den Reich-Ranicki-Sonettpreis Küss-mich-wo's-gut-tut.
Welch ein Glück, dass wenigstens die Schwedische Akademie nie irrt! Erinnert sei an Rudolf Eucken aus Ostfriesland. Der Autor erhielt den Literaturnobelpreis für sein ernstes Suchen nach Wahrheit und die Kraft seiner Darstellung. Rudolf Eucken? Selbst Literaturhistoriker behaupten, der Mann sei zu recht vergessen. Aber immerhin, ein deutscher Dichter, der nicht ohne Literaturpreis sterben musste. Und das ist schließlich die Hauptsache.
Andreas Heidtmann04.04.2006