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Anna Gavalda
Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand
auf mich wartet
Fischer Tb 2003
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Wer kennt nicht die Erfolgsgeschichte der Anna Gavalda? Junge Lehrerin schreibt Erzählungen, publiziert in einem kleinen Pariser Verlag und wird von der literarischen Welt entdeckt. Längst ist sie zum Star der Literaturszene – nicht nur Frankreichs – aufgestiegen. Die Leser mögen solche märchenhaften Karrieren. Dagegen ist nichts einzuwenden und damit könnte man es bewenden lassen. Oder möchte jemand wirklich wissen, wie und worüber Anna Gavalda schreibt? Egal, was sie schreibt, es wird jedenfalls fortan gedruckt und dem Leser mit suggestiven Floskeln präsentiert: Geheimtipp! Pariser Shootingstar! Ein Lichtstrahl am literarischen Himmel!
Der erste Band mit den Erzählungen „Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet“ begründete 1999 Anna Gavaldas Erfolg und versammelt Geschichten ganz unterschiedlicher Art. Erstaunlich ist das Spektrum der Figuren, in die die Autorin sich hineindenkt: Da ist die Tierärztin, die sich mit dem Skalpell an ihren Vergewaltigern rächt. Da gibt es den Musiker, der genau weiß, dass „sein Leben im Arsch ist“. Da erleben wir den Junior, der den Jaguar seines Vaters ruiniert – übrigens eine der witzigsten Storys. „Wir nehmen die Karre von deinem Vater ... und ein paar Stunden später stellen wir sie hübsch wieder da ab.“ Auf der Rückfahrt dann die Karambolage mit einem Wildschwein. „Das Wildschwein war mausetot, der rechte Kotflügel auch.“ Ein mausetotes Wildschwein geht in Ordnung, aber ein mausetoter Kotflügel?
Anna Gavalda reichert – dicht an ihre Figuren gerückt – viele Texte mit Umgangssprache an. Scheiße, O Scheiße, lesen wir so oft, wie wir es im Leben rufen. Denkt man an den schnoddrigen Ton amerikanischer Storys oder an Louis-Ferdinand Céline, wirken diese Ausdrücke allerdings merkwürdig brav, eben weil sie heute gang und gäbe sind. „Ich habe in meinem Leben zig Mädchen vernascht...“, bekennt der Rockmusiker in der Erzählung Ambre. Wer spricht eigentlich so? Allenfalls schreibt so eine Autorin, die sich vorstellt, dass ein Rockmusiker so spricht. Dialoge müssen nicht Sprachalltag abbilden, doch hier gelingt der Autorin weder ein zupackender Umgangston noch literarische Sublimation.
Was einst gegen die Erstarrung bürgerlich-distinguierter Sprache rebellierte – Saloppes und Vulgäres in der Prosa –, ist hier nur noch dekorative Applikation und wäre selbst durch ernst gemeintes Schreiben zu demaskieren. Das ist das Bedauerliche: Anna Gavalda wagt nichts, flirtet mit der Moderne, deren längst verstaubte Hinterlassenschaften sie in ihr Sprachkörbchen sammelt, und kreiert eine in Schnellzügen und Cafés konsumierbare Illustrierten-Literatur. Die Betonung liegt auf konsumierbar. Es macht Spaß, Anna Gavaldas Geschichten zu lesen. Wäre da nicht der Wirbel um die Person, die leichtgewichtigen Geschichten wären beim Café au lait vernascht und schnell vergessen.
Nach den hochgelobten Erzählungen publizierte Anna Gavalda 2002 den Roman „Ich habe sie geliebt“. Sprachlich, stilistisch und inhaltlich residieren wir hier im Schreibsouterrain, ohne dass der Blick auf den literarischen Himmel frei würde. Man staunt, dass Hanser – ein Verlag, der sich rühmt, beste Literatur zu verlegen – so tut, als präsentiere er hier ein literarisches Glanzlicht. Der Roman gleicht einem Potpourri des Trivialen, durch keinen Esprit, keine Eloquenz, keinen Furor belebt. Es gibt Passagen, bei denen man sich schaudernd abwendet: „Ich lachte und küßte sie auf ihren herzallerliebsten Schmollmund.“ Die Hauptfigur des Romans, Chloé, von ihrem Mann allein gelassen, kommt in langen Gesprächen ihrem Schwiegervater Pierre näher. Im Mittelpunkt steht das Geheimnis einer großen, verheimlichten Liebe. Wir sind nah bei den Seichtheiten Susanna Tamaros – mit dem Unterschied, dass die Triesterin glaubhafter schreibt als Gavalda.
Schon beim ersten Anblättern des Romans erkennt man, dass uns die kleinsten Sätze, das Nichtssagendste, gern als eigenständige Abschnitte dargeboten werden, als handle es sich um Bonmots von so ungeheurer Bedeutsamkeit, dass der Leser dringend ein paar Leerzeilen benötige, um das Gelesene bis zum nächsten Gavalda-Kurzsatz zu verarbeiten. Aber bitte sehr. Bei Anna Gavalda bedarf es für diese drei Wörter eines eigenen Abschnitts. So geht es weiter, wenn die Heldin Chloé nickt – „Ich nicke.“ – oder schlecht schläft – „Ich schlief schlecht.“
Bisher findet sich kaum eine Kritik, die auf die Sprache der Schriftstellerin schaut. Es wird von leichter Literatur zwar gesprochen, aber der Roman Je l'aimais ist kein luftiges Leggiero, sondern kokette En-Vogue-Prosa, aufbereitet aus Allerweltssprache.
Aber nun ist Anna Gavalda ein Star und wir dürfen sicher sein, dass nichts, was sie verfasst, dem Publikum vorenthalten bleibt. Wenn sie im neusten Roman schreibt: Oooh verflixxxxt und zugenääääht, sollen wir glauben, das sei frech und charmant. Comicwitz in der Belletristik! Wenn es das wäre! Es mutet in Wahrheit wie verspätet eingetroffene Konfektionsware an. Oh Shit! Scheiiiiiiße, möchte man da im Stile Gavaldas rufen. Und richtig: Die Protagonistin ihres Romans bekennt ein ums andere Mal: Bin ich blöd.