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Flora & Fauna
Friedfertige Notate zum 5. Münchner Lyrikpreis
Beim Münchner Wettlesen konnten sich Markus Hallinger (1. Preis), Konstantin Ames (2. Preis) und Kathrin Bach (2. Preis) durchsetzen
Finale Lyrikpreis München 2014
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Die Finalisten:
Konstantin Ames
Kathrin Bach
Markus Hallinger
Tobias Roth
Walter F. Schmid
Sebastian Unger
Website
Lyrikpreis
München
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Markus Hallinger (1. Preis), Konstantin Ames u. Kathrin Bach (2. Preis)
Selten war mehr Fauna und Flora als beim Finale des Münchner Lyrikpreises. Gab es jemals einen Zyklus über Kiefern? Sebastian Unger hat ihn verfasst, und Kathrin Schmidt hatte sich bereits in der Zeitschrift Ostragehege dazu geäußert: Die zentralen Gestirne dieser Gedichte seien Tiere und Pflanzen.
Markus Hallinger, der Preisträger des Wettbewerbs, brachte das Bild des Hasen, der, dem Dichter gleichgesetzt, mit abgezogenem Fell dasteht, „geschält wie die Sprache“. Von der Prozession der Schnecken über Bienenschwärme bis zum Pferd, das zwischen den Bäumen und überall sonst wohnt, reicht das Tierrepertoire des 1961 geborenen Autors. Seinen Gedichten war jene so oft und gern geforderte Lebenserfahrung anzumerken.
In Tobias Roths Texten – mehrfach als bukolische Idyllen bezeichnet – tauchte bereits im Titel der „Floratempel“ auf. Eines der gelungensten Gedichte des Abends trug die Überschrift „Versuch über Herden und Rudel“. Hier zeigte der Lyriker en passant seine Souveränität, ohne sich mit seiner Renaissance- Kenntnis in die Fänge der Tradition zu begeben. Dabei galt die Skepsis nicht den historischen Bezügen, sondern dem unzureichenden Bemühen, dieses hochintelligente Spiel mit einer Modulation ins Jetzt glaubhaft zu machen.
Bunt und schillernd auch die Tierwelt in Kathrin Bachs Gedichten: Kaninchen, Seehunde, Käfer, Wespen, Schwäne, Möwen und Fische. Ihre Texte, mal als Metamorphosen, mal als Traumsequenzen eingestuft, konnten nicht zuletzt durch die unangestrengte Form überzeugen. Bemerkenswert, für dieses Finale jedenfalls, war, dass auch ein Du zum Vorschein kam. Vielleicht waren es, ganz im Verborgenen, dunkel getönte Liebesgedichte, worauf nicht zuletzt der Vorgang des Ineinanderverschmelzens im Gedicht „aggregat“ hindeutete.
Konstantin Ames, gewiss kein Naturdichter, hatte doch zumindest „klassische Kühe“ aus seiner saarländischen Heimat zu bieten. Und wer kennt nicht Niedaltdorf und die legendäre Landstraße L 354, die an Jungbullen vorbeiführt und irgendwann einen Blick auf die Kirche des Guldendorfs Leiding erlaubt? Wer so radikal Provinz einbezieht, sie gleichermaßen amtlich wie sinnlich belegt, wer dazu die Mundart mitführt und auch auf das Wort „Kläranlagenseechen“ nicht verzichtet, der darf – finde ich – auch den Titel sprachanarchischer Heimatdichter führen!
Dabei wohnen die wenigsten Autoren auf dem Land – von den sechs Finalisten kamen vier aus Berlin. Der eigentliche Lebensraum der Schreibenden, die Metropole mit ihren Quartieren, Kneipen und Clubs und vor allem ihren Menschen, blieb meist ausgespart. Zufall? Es gab ganze Generationen, für die das Großstädtische prägend war, seien es die Expressionisten oder ein Dichter wie Rolf Dieter Brinkmann mit seinem klassischen schwarzen Tango in Köln. Die Natur, global gesehen nur noch ein Relikt, wird in der jungen Lyrik, könnte man denken, hinübergerettet ins Gedicht. Das wäre keine schlechte Tendenz, zumal sie uns an diesem Abend vielfältig begegnete, nicht programmatisch, eher eingewoben in die Texte.
Formal hingegen war das Spektrum der Gedichte groß. Welten lagen zwischen den Dichtern, auch wenn sie im Publikum Schulter an Schulter saßen. Beispielsweise Walter Fabian Schmid und Kathrin Bach. Hier jemand, der die Sprache furios zerlegt und neu montiert, auf Konnotationen, Neben-, Gegen- und Gleichklänge setzt und dies als polyphonen Sprechakt inszeniert. Daneben eine Lyrikerin, die auf Wort und Zeile vertraut, auf den Einfall, der sie durchs Gedicht trägt, wobei sie auf äußerliches Raffinement verzichtet.
Walter Fabian Schmid gelang ein auftrumpfendes Spiel mit Manie und Money und das Jahrtausende einebnende Nebeneinander von Anglizismen wie lookism und den Laokoonisten der griechischen Mythologie. Das war sprach- und gesellschaftskritisch, voller Ironie. Dadaistisch. Aber natürlich: Wer schon bei den Wörtern die Axt ansetzt, findet nicht mehr zu großen semantischen Kantilenen, das Verfahren erschöpft sich früher oder später. Und manchmal drohte, wie die Jury anmerkte, eine Überstrapazierung von Stilmitteln. Der Erkenntnisertrag durch Wort-Umbrüche wie „zu /lässig“, „in/stabil“ oder „un/endlich“ ist überschaubar.
Bei Kathrin Bach kam mir die musikalische Form der Invention in den Sinn. Denn aus einem Einfall, einem ersten Bild, sind viele ihrer Gedichte wie aus einer Keimzelle gebildet. Dazu gehört ein Vertrauen in die Entwicklung und letztlich in die Veränderbarkeit des Gegebenen. Walter Fabian Schmids zornige Sprachartistik dagegen schlägt aus dem Sprachmüll der Welt Funken. Vielleicht so: Kathrin Bachs Gedichte spielen vor der Katastrophe, Walter Fabian Schmids danach.
Als ebenso polar stellten sich die Texte von Tobias Roth und Konstantin Ames dar. Der eine greift klug Bildthemen der Renaissance auf und setzt mit großer Musikalität seine Gedichte. Man liest Wörter, die längst aus der Lyrik verbannt schienen: Goldmalerei, Rosengarten, ewige Sterne oder Blütenstaub. Und Zeilen wie: „Lass mich untergehen in kostbaren Worten.“ Bei Konstantin Ames hingegen geht es profan zu: „Ey, Platz da“, heißt es hier. Oder: „Fliegen ist ein Furz.“ Dabei hat auch er historische Vorlieben: Neben der regionalen Grundierung finden sich vielfach Bezüge zu Pionieren der Luftfahrt, insbesondere zu Konstrukteuren von Jagdflugzeugen, die im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Die S.E.5 (Scout Experimentell 5 der Royal Aircraft Factory) wird sogar zum lyrischen Ich! In den Zeilen blitzen Selbstironie und Witz auf und vor allem die Lust am Sprach- und Formenspiel.
Können Gedichte unpersönlich oder unterkühlt sein? Vielleicht sind Sebastian Ungers Texte Konstrukte, aus denen, selbst wenn die Natur im Mittelpunkt steht, alles Urwüchsige verbannt ist. Perfektion kann offenbar auch als Defizit empfunden werden. Die Jury tat sich etwas schwer mit der angemessenen Beurteilung dieser Texte.
Demgegenüber herrschte bei Markus Hallinger eine gewisse Saloppheit vor – bis hin zu Tippfehlern in den Vorlagen. Die Natur ist bei ihm wie selbstverständlich und ohne Anstrengung gegenwärtig, wobei er vermutlich biografisch den stärksten Bezug zum Ländlichen hat und, laut Vita, in Oberbayern am Dorf wohnt. Das ungesicherte Sprechen ohne Attitüde und das Vertrauen auf die sehr eigene Stimme überzeugten. Der Beifall aus dem Publikum schien am Ende der Jury Recht zu geben.
Es war ein Abend der Vielfalt, was lyrische Formen und Schreibweisen betrifft. Jemand aus der Jury, dessen Namen ich hier unterschlage, forderte halb im Spaß, halb im Ernst sechs 1. Preise. Leicht berauscht trat man nach vier Stunden Lyrik in eine unglaublich milde Oktobernacht hinaus.
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Andreas Heidtmann
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