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Kurt Drawert
Schreiben. Vom Leben der Texte
Einübung ins Abwesende – vom Abenteuer des Schreibens
Kritik
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Kurt Drawert
Schreiben: Vom Leben der Texte
Verlag C.H. Beck 2012
288 S., 19,95 Euro |
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Es gilt inzwischen als Fauxpas, sich zur Literatur in einer Weise zu äußern, die über das Niveau einer Talk-Show hinausreicht. Nachdenklichkeit im Facebookzeitalter provoziert Befremden. Vielleicht war die Literatur immer schon befremdend, doch im heutigen Medienvarietee wird sie, sofern nicht gänzlich ignoriert, zur Zumutung. Kurt Drawert und sein neues Buch „Schreiben. Vom Leben der Texte“ sind in diesem Sinne Zumutung, zumal der Autor sich auch auf Podien differenziert äußert und die Präzision der Plauderei vorzieht.
Hinter dem Titelwort Schreiben verbirgt sich kein Handbuch in Form einer praktischen Schreibanleitung oder einer Sammlung von Tipps und Tricks für angehende Schriftsteller. Eher lässt sich das Buch als eine Annäherung verstehen, die das Prozessuale eines literarischen Textes aufzeigt – von seiner Entstehung bis hin zu seiner Wirkung in der Öffentlichkeit. Teil dieses Prozesses ist naturgemäß der Verfasser: der Autor als Ahnender vor dem leeren Blatt, der Autor als Leser, der Autor in der Kritik, der Autor als Verwalter seiner selbst in der Literaturszene. Das alles schließt nicht aus, dass der Leser und nicht zuletzt der schreibende Rezipient wertvolle Anregungen mitnimmt, die künstlerisch Früchte tragen.
Vor allem zu Beginn greift Kurt Drawert auf Einsichten der Sprachphilosophie und strukturalen Psychoanalyse zurück und widmet sich den Bedingungen des Schreibens. Dass das Schreiben aus einer Ahnung und nicht aus einem Wissen heraus geschieht, ist ebenso wesentlich wie der Frage nach dem Zeitpunkt der Niederschrift. Ein zu frühes Beginnen endet in Form-, ein zu spätes in Geheimnislosigkeit. Das eigentliche Talent, das starke Subjekt, besitzt die Fähigkeit, ein banales Geschehen durch die Arbeit in der Sprache in etwas Außergewöhnliches zu verwandeln.
Allen Netzsympathisanten sei das Kapitel „Der entrissene Text“ empfohlen, das vorab als Essay in der Neuen Zürcher Zeitung erschien. Drawert untersucht verschiedene Erscheinungsformen eines Textes, ausgehend vom Handschriftlichen über die Endgültigkeit des Gedruckten bis hin zur Flüchtigkeit des Digitalen. Seine hellsichtigen Ausführungen lesen sich wie ein letztes Aufbegehren gegen ein schon gefälltes Urteil: der Abschaffung oder doch Verbannung aller nichtkompatiblen Literatur aus der Öffentlichkeit. Mit Begriffen wie Okkupation und technizitäre Entleerung arbeitet Drawert an der literarischen Entzauberung des Mediums. Online-Sein heißt Verflüchtigung, und im Glauben, alles zu erfassen, kann der Leser doch nur seine Ohnmacht angesichts der Zeichenschwemme eingestehen. Der semantisch entrissene Text tritt als Fließtext in Konkurrenz zu anderen Texten und Bildern, die immer auch auf den eigentlichen Text als Diskursprodukt zurückwirken. Auch die Textintention ändert sich durch die mediale Verschiebung, so dass die Netz- Flüchtigkeit zur Text-Flüchtigkeit wird.
Auf dieser Basis ließe sich gleichwohl – nicht nur netzkritisch – darüber diskutierten, ob authentische Literatur im Internet möglich ist. Das Buch geht hierauf nicht ein, doch scheint gewiss, ein solches Schreiben müsste die Bedingungen des Internets in seine Verfahrensweisen einbeziehen und wäre auch nicht ins Buchformat rückführbar. Man denke an ein literarisches Netztagebuch, das Leserkommentare und aktuelle Meldungen in den Entstehungsprozess einfließen lässt. Webraum und Webzeit stehen generell im Gegensatz zum Verfahren der Paginierung und müssten, künstlerisch ernst genommen, zu konstituierenden Elementen einer Form werden, die nicht mehr als gefügter Roman oder Gedichtband in Erscheinung treten kann.
Vielleicht kommt der letzte und umfangreichste Teil, der mit Technik überschrieben ist, dem Anliegen eines literarischen Handbuches am nächsten. Es geht um Erzählperspektiven im Roman, um Ironie und Pathos und um elementare Fragen zur Lyrik. Über Dichtung sprechen heißt immer auch über Form sprechen: Kurt Drawert sieht die Überwindung dessen, was er einen Beliebigkeitston nennt, und deutet die Zerstörung der Form als einen Umweg, der gegenwärtig zu einer Reaktivierung von Vers, Rhythmus und Reim führen kann.
In seinen zehn Lesungen fördert dieses Buch weit reichende Einsichten zutage und wirkt umso stichhaltiger, als Kurt Drawert als Romancier und Lyriker, als Juror und Werkstattleiter aus einer Fülle eigener Erfahrungen schöpfen kann. Was dieses Buch darüber hinaus lesenswert, ja einzigartig macht, ist die Sprache, die Genauigkeit im Umgang mit dem Wort. Mag sein, dass manchmal der Jargon der Strukturalisten durchschimmert, doch gelingt es dem Autor, wissenschaftlichen Anspruch mit literarischer Qualität und Souveränität im Stil zu vereinen. Bei alledem beherrscht er die Zuspitzung, die den Leser mitunter staunend, gebannt in einem grandiosen Erkenntnismoment, innehalten lässt.
„Das Buch in seiner Ausstattung ist eine Meinung zum Text.“ Wer mit der Herstellung und Gestaltung von Büchern zu tun hat, wird eine solchen Satz lieben. Brillanter kann man es nicht formulieren. In solchen sprachlichen Funken schlägt Philosophie in Literatur um und weist über den Punkt hinaus, wo es um richtig oder falsch geht. Kurt Drawert hat ein Buch geschrieben, das nicht nur überaus lehrreich ist, sondern uns radikal in Erinnerung bringt, was Literatur eigentlich ist.
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Andreas Heidtmann
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