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Bärbel Klässner
Der zugang ist gelegt
Edition Erata 2008
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Es gibt sie, die Dichter und Dichterinnen abseits des Mainstreams. Sie werden von den Feuilletons gern vernachlässigt, zumal sie selten aus großen Verlagshäusern kommen. Doch wen sollte man mehr bedauern: Die Dichter ohne Ruhm oder die Feuilleton-Chefs im Wettkampf um Leser?
Der Titel des neuen Buches von Bärbel Klässner klingt nicht spektakulär. Die in Magdeburg geborene und in Essen lebende Autorin versammelt auf 100 Seiten Gedichte und Fließtexte, in denen sie Alltägliches und Ästhetisches, Sperriges und Spielerisches mischt. Stadtszenen und Hinterhofwelten gehören dazu, Sperrmüllgebirge, abgeschriebene Existenzen und ein Europa der Armentafeln – im Keller finden wir noch ein Glas Kompott und eine vergilbte Zeitung. Von der Idylle ist man selbst im Straßencafé weit entfernt, da man auf der Schattenseite sitzt. Die Häuser im Revier haben freigelegte Nerven und Balkons mit einem Ausblick ins Nichts.
Bärbel Klässner gehört zu denen, die zwischen Ost und West, Heimat und Fremde, Job und Kunst leben und dieses Leben dichterisch umzusetzen wissen. Duisburg und Weimar sind ihr ebenso vertraut wie profane Amtsstuben oder der Fjord der letzten Hoffnung. Sie kennt die
Volksstimme Magdeburg, als diese noch in Blei gesetzt wurde, und hat westdeutsch gelernt. Hungerkinder und gerahmte Obrigkeiten sind Teil ihrer Personage. Wunderbar kann sie aber auch von sich absehen, etwa wenn sie den Dichter Siegfried Pitschmann (1930–2002) porträtiert, den Ehemann Brigitte Reimanns: „die zigarette / in der dünnen hand / an diesem fragilen / fadenscheinigen körper / durch den schon der wind blies / aus dem schon der sand rann“.
Bärbel Klässner fügt die Sprache so poetisch wie gewitzt, so bissig wie geschmeidig. Manchmal gibt sie sich ihr einfach hin, was zumindest für denjenigen, der Gefallen an Sprachartistik findet, seinen Reiz hat. Frank Milautzcki gibt in seiner Kritik (
Das Zweite Bein Vier. Rezensionen zur Gegenwartslyrik, 2008) zu bedenken, dass nicht alle Bewegungen von Bärbel Klässner jenem selbstvergessenen Tanz gleichen, der den Zuschauer die Schwerkraft vergessen lässt. In den besten Texten gehen Sprachvirtuosität mit Kritik einher, dabei begegnet die Autorin den Katastrophen mit Sarkasmus und hintergründigem Witz. Was für ein schöner Vorschlag: „fahren sie mit dem boot das / es gar nicht gibt // über die armutsgrenze / nach schonnebeck“. Oder eine andere Grenzüberschreitung: „man tastet uns zur sicherheit die menschenwürde ab dann gehts ins flugzeug über see“.
Die geballte Faust passt so wenig zu ihr wie bloße Fingerfertigkeit. Ihr Repertoire reicht vom Vulgarismus bis zu sublimen Bildern: „Ich fahr zur nacht das totenfloß / Es schweigt der see in sand und grund“. Hier klingt beispielhaft das subtile Sprachspiel an, wenn nicht in Grund und Boden geredet, sondern in Sand und Grund geschwiegen wird. Immer wieder tauchen aus dem Satzfluss Fragmente von Redewendungen auf und setzen Akzente, verwirrend, komisch, entlarvend.
Großartig ist das Nachwort von Wulf Kirsten. „Eigens“, so schreibt er, „erfinde ich für Bärbel Klässner eine weibliche Form des Pilgrims: Pilgrima. Sie ist eine Wanderin durch etliche Wechselbäder der deutschen Geschichte ...“ Und an anderer Stelle: „Sie gibt sich in kühnen Bildfindungen komisch, tieftraurig, tragisch, nie larmoyant. Ihr Duktus hat an Schärfe und Härte (im Sinne von Aushärtung) gewonnen.“ Wie wahr. Ein wenig schade, dass man ein solches Lob nicht als Rezension in einem der Feuilletons liest, sondern als Nachwort, dessen Wirkung nicht über den Verbreitungsradius des Buches hinausgehen kann.
Rein äußerlich erinnert dieses wertvolle Büchlein etwas an ein Copyshop-
Produkt. Dennoch gilt: Die Edition Erata hat mit der Veröffentlichung – wie schon in vielen anderen Fällen – literarisches Gespür bewiesen. Da darf man den Hut ziehen. Man kann einen Diamanten eben auch in Butterbrotpapier verpacken – er glänzt.