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Kathrin Passig, Sascha Lobo
Internet – Segen oder Fluch
Viel Wissen, wenig Brillanz
Kathrin Passig und Sascha Lobo schreiben über das Netz
Kritik
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Kathrin Passig, Sascha Lobo
Internet. Segen oder Fluch
Sachbuch
Rowohlt Berlin 2012 |
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Möchte man sich fundiert über das Internet und dessen Entwicklung informieren, muss man – so überraschend es klingt – zum Buch greifen. Was im Netz selbst über das Medium zu lesen ist, hat in der Regel den Charakter einer News à la Macht-das-Internet-Dumm?, dazu viel Bruchstückhaftes aus Blogs oder schlecht Recherchiertes aus der Tastatur von Hobbyredakteuren. Halbwegs Intelligentes findet man allenfalls als Zitat aus Printmedien, als trauten die Internettheoretiker ihrem eigenen Medium nicht so recht.
So sind auch die Betrachtungen von Kathrin Passig und Sascha Lobo unter dem Titel Internet – Segen oder Fluch als Buch erschienen. Wer mag, darf sich als Buchkäufer per Code kostenlos die E-Book-Version herunterladen. Die beiden Repräsentanten der Netz-Avantgarde verweisen in ihrer Einleitung selbst auf diesen Widerspruch. Wie auch immer: In 16 Kapitel behandeln sie Themen und Problematiken rund ums neue Medium und bieten eine kompakte, informative Sammlung über alles, was man über das neue Medium wissen möchte oder sollte.
Hoch aktuell sind die Fragen zum Urheberrecht – von der simplen Abmahnung des Bloggers bis hin zur Musikindustrie und der im Umbruch befindlichen Medienlandschaft. Man denke ans Nachrichtenmagazin Newsweek, das in guten Zeiten drei Millionen Exemplare wöchentlich auflegte und seine Printausgabe nun eingestellt hat. Es folgen Kapitel über Schwarmintelligenz und Informationsüberflutung, über digitale Demokratie und Social Network, sprich Facebook, Twitter und Co. Zentral auch, was sich unter der Rubrik Filtertechniken zusammenfassen lässt. Wie gut und umfassend informiert uns das Netz (siehe oben), wie verlässlich sind die Ergebnisse, die uns Google zuspielt, wer bestimmt bei Yahoo oder bei Wikipedia, was relevant ist und was nicht?
Wie stark die Informationstechnik die reale Welt verändert, wird im Kapitel über die Disruption erörtert. Hier geht es um die Ablösung alter Technologien durch revolutionär neue mit all den einhergehenden Verwerfungen. Ein frühes Beispiel sind die Weberaufstände des 18. und 19. Jahrhunderts, deren Ursache neue Techniken und erheblich günstigere Fabrikationsmöglichkeiten waren. Ein kleines Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Hersteller von 8-Zoll- oder 3,5-Zoll-Laufwerken schafften nicht den nächsten Evolutionsschritt und gingen mit dem Erfolg der beschreibbaren CD und des USB-Sticks unter. So krempelt das Netz weltweit ganze Berufsstände und Industrien um – Ende offen.
Macht das Netz einsam? Die Autoren drehen den Spieß einmal um: Wie sähe es aus, wenn gerade das Buch erfunden wäre. Kinder und Jugendliche zögen sich mit Büchern in ihr Zimmer zurück. Die Eltern, ohne Bücher aufgewachsen, wären alarmiert angesichts der neuen, ganz und gar unsozialen Mode. Sie fürchteten die Vereinsamung ihrer Kinder, Haltungsschäden, Augenkrankheiten, Kommunikationslosigkeit, Bewegungsmangel und am Ende die Depression. Natürlich darf hier nicht die These fehlen, dass jene Menschen, die intensiv Kontakte im Nerz aufbauen, auch im realen Leben keine Misanthropen sind.
Wer allerdings mehr erwartet als gute Informationen, könnte von diesem Buch enttäuscht werden. Schon der Untertitel Segen oder Fluch klingt etwas schulisch So erinnert das Verfahren der Autoren auch an die gute alte Erörterung, wo solange das eine gegen das andere abgewogen wird, bis man zum unvermeidlichen Ja-aber kommt. Es fehlt Zuspitzung, Bekenntnis, Überzeugungskraft und auch sprachlicher Esprit. Wenn die ZEIT in einem Zitat auf dem Schutzumschlag Kathrin Passig als intellektuellste Analytikerin des Medienwandels preist, kann eigentlich nicht die Mitautorin des Buches gemeint sein. Von Philosophie und Intellektualität scheint man weit entfernt, vieles ist aus dem Augenblick geschrieben und wird in wenigen Jahren von der (Medien-)Geschichte überholt sein. Vielleicht mangelt es den „Internetvorreitern“ Passig und Lobo einfach an Distanz zum turbulenten Internetalltag. Viel Wissen also, wenig Brillanz. Rüstzeug für aktuelle Debatten: ja. Neue Einsichten: nein.
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Andreas Heidtmann
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