Was gegenwärtig real ist, war auf dem Frankfurter Festival LiteraTurm zu erfahren. Unter dem Motto „radikal gegenwärtig“ sprachen 27 Podien über den „zeitdiagnostischen Roman“. „Wirklich“ hieß da unter anderem: das nicht von Göttern und auch nicht von Menschen Gelenkte. Zum Beispiel die Bankenwelt (sic!). Die Krise hilft Menschen, die nicht mehr 40 Jahre im selben Betrieb arbeiten wollen. „Bohemismus“ lautet das Zauberwort, das die Realität bunter und in Berlin den Hauptumsatz macht. Berlin gleich Bundesregierung plus Techno, verlautete vom Podienplaneten. Immerhin, mit dem Köhler-Rücktritt ist der Bohemismus auch in der Politik angekommen. Noch einen zweiten Planeten gab es. Über den bewegten und unterhielten sich der Schriftsteller Clemens Meyer und einzelne Festbesucher. Das Berlin-Kapitel aus Meyers Tagebuch „Gewalten“ (S. Fischer) besteht aus einigen hundert Metern Bundesallee, Bahngleisen, einem Kraftwerk und wabernden Nachtgesichten. Kein Techno, keine Bundesregierung. Oder doch, ganz am Anfang das ganz neue Schwarz-Gelb. Vor dem flüchtet der Schriftsteller sich in sein dunkles Kapitel. Vom Podienplaneten wurde bekannt, es gebe da kaum noch Reales. Drei würden aber bleiben: geboren Werden, Sterben und die Krankheiten. Realität sei, was Sorge, real dagegen, was Angst mache. Was literarisch nicht mehr gehe, seien heldische Gegenentwürfe. Zu weichen hätten sie panoramischen Konzepten. Wirklich gewachsen sei der Roman der modernen Polyphonie aber auch nicht. Nägelkauen. Was hier Angst auslöst, ist dort Zuflucht. Die Härten sind Clemens Meyers Hoffnungen. Mit fast identischen Formulierungen nennt er einmal das Bordell, ein andermal die Galopprennbahn einen Ort, an dem er sicher ist. Vor dem Erstickungstod in der Wattewelt, muss das heißen. Gewaltphantasien und spiele, Zombie- und Splatterplots notiert Meyer ebenso wie Steinmeiers Guantanamo- In Frankfurt am Main saß Meyer mit fünf KollegInnen auf dem vorletzten Podium. Las als letzter. „Ein Schlachtschiff neben fünf Tretbooten“ schrieb eine Zeitung – unfair, da wenigstens Nadja Einzmann krachend begabt und manches Talent heute unschuldig nur das Mehl zwischen den Mühlsteinen Verlagslektorat und Mediendiktat ist. Eine Rakete mit zwei Triebwerken, hintenvorne – vielleicht ist das die Situation des großen Sachsen. Seine Energie reicht Galaxien weiter als nur zum Quotenproll, zum Podien-Antipoden. Er muss sich entscheiden. Will er als Feuerball enden? Oder umrüsten zum interstellaren / -stilistischen Brückenschläger (lateinisch pontifex) der Literatur. Risiko dabei: Der Betrieb dürfte ihn fallen lassen. Feridun Zaimoglu war hipp als Provokateur, da hat er sich grad die Finger warm geknetet. Um den inzwischen Furcht erregend virtuosen Erzähler ist es still geworden.
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Ewart Reder
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