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Ewart Reder
Leben der Hütten, Lesestoff der Paläste
Volker Braun und Feridun Zaimoglu auf dem Frankfurter literaTurm
literaTurm 2014 |
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›es ist wie in alten zeiten: du schlägst am morgen die zeitung auf und bist nicht drin.‹
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Verkehrte Welt: Man sitzt im einundzwanzigsten Stock und sieht die Menschenameisen laufen, die Füße setzen. Die Zweibeiner, die ihren Kopf gebrauchen und auf die Banken kommen müssen, wenn sie die Urheber ihrer Mühsal suchen, haben einen hoch geschickt, der dichten kann. Volker Braun wirkt nicht deplatziert. Er ist es. Seine Worte gehören keinem: Terroranschlag ins Mark des Bankenturms. Die Stimme ist ein Körper, von Erde genommen, sächsische Dichterschule im ortlosen Glas. Werktage. Was ich vor Jahren zum ersten Band schrieb, hat mir eine Literaturfunktionärswut eingetragen, die nachwütet. (Jahre später noch.) Ich staunte, dass die DDR- Literaten vor ihren Bonzen mehr Mut bewiesen als wir vor unseren. Im zweiten Band steht: „der berater von gruner + jahr ist jetzt der zensor, dem man zum munde redet. ›es ist wie in alten zeiten: du schlägst am morgen die zeitung auf und bist nicht drin.‹ – die intellektuelle tragödie im zeitungsformat“. Im Marktornat.
Wie der (Suhrkamp) Verlag dem Weisen seine Weisheit entriss, erzählt dieser. In Bergen-Enkheim, wo vor Jahren seine Bücher ausgestellt wurden, kommentierte Braun den Hinze-Kunze-Roman mit ein paar Notaten aus den vier DDR-Jahren des zuerst-Nichterscheinens. Raimund Fellinger und Kollegen hörten zu, setzten gegen den Autor die unerwünschte Veröffentlichung durch, rechtzeitig, nicht wie Brod gegen Kafka. Knapp zweitausend Seiten Arbeitsnotizen erschienen, gemacht in zwei Staaten. Erst die Jahre von der Biermann-Ausweisung bis zur Vereinheitlichung, jetzt die Jahre 1990 bis 2008. Unzeitgemäß sind diese Betrachtungen, waren es in der DDR, wo sie den Norm gebenden Zeitnehmern widersprachen, und sind es geblieben, bei im Groben gleichbleibenden Problemen. „es wird sich zeigen, daß sie auch nicht im westen bewältigt werden – und man sich in die welt denken muß.“ Volker Braun tut dies auf langsamen, aber eigenen Füßen, als Geistkunstläufer, der die dialektischen Kombinationen seiner Kür auf einem Notizzettel springt. „Markschischtich“ sagt Alf Menzer. Beim Hessischen Rundfunk wird das schwere Wort zu selten geübt.
Dabei ist es der Zeit wieder gemäß, Marx ein Denker, der auf die Zeitdichtung von heute wirkt. Das Frank´furter literaTurm Festival tat gut daran, unter dem Thema „Literatur und Zeit“ einen wie Braun die Turmklinke einem wie Zaimoglu in die Hand geben zu lassen. Das Sein, als Last, bestimmt das Bewusstsein beider zur Mitteilung über „Beladene“ (Zaimoglu über seine Figuren), zu einer Literatur als „dunkler Klage“ (Zaimoglu über seinen Roman „Isabel“).
In der Sky Lounge der BHF Bank zu Frankfurt am Main mochte Felicitas von Lovenberg für die allermeisten sprechen, als sie von ihrer atemlosen Lektüre berichtete, „weil man diese Welt nicht kennt – das Prekariat“. Feridun Zaimoglu nennt die Figuren seines Romans „Menschen im Dunkel, Menschen die unsichtbar gemacht worden sind, weil den Medien eine Sprache für sie fehlt“. Auch der Dichter hat seine nicht griffbereit. Wenn eine Figur dünn ist, fünfzig Kilo wiegt, „nicht mehr als ein prall gefüllter Männerbauch“, hungert sich Zaimoglu schon mal zu einer Vergleichs-Figur, durchläuft Räume in den Schuhen einer anfangs Fremden, bis sie Gestalt annimmt. Schauplätze für Kapitel sucht er wie Wohnungen, besichtigt, begeht sie versunken in die geplante Handlung – zum Lachen für Zufallszeugen. Literatur hat weniger mit Papier und Schreibgerät zu tun, als viele denken. „Isabel“ ist deshalb eine großartige Geschichte, weil der Autor sie sich auf die Seele geladen hat. Obwohl alles Anderen geschieht, den Figuren, ist es Inhalt einer intimen Mitteilung. Wieder geschieht sie mit einer Sprachgewalt, die das Deutsche dem Autor innig zu danken hat.
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Ewart Reder
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