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Ewart Reder
OPEN BOOKS tun was für die Leser
Ersteindrücke vom Bücherherbst |
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Als wollte sie helfen, dass ihr Außenposten Zulauf bekommt: Die Buchmesse starrte vor Seriosität. Keine Schmuck- und Trödelstände mehr auf dem besonnten Forum. Ein paar Hartgesottene nur standen im Schatten und Shuttleverkehr hinter Halle 4. Der Innenraum ohne Lesezelt auch. Verbannt in ein totes Eck lockte das bunte Holzungetüm zu mancher Lesung vergeblich. Das Forum füllt jetzt ein Rigipsfladen aus, vier Ringe über dem Portal, gefühlte vierzehn Autos dahinter, „Open Space“ der ironische Name. Hier hat man unter anderem das Pressezentrum untergebracht, auch den Berichterstatter. Nichts wie weg, denkt der, in die Stadt, auf die OPEN BOOKS.
Ein opulentes Bücherbuffet angerichtet hat das Kulturamt der Stadt Frankfurt, zum dritten Mal. Routiniert schon umlagern es die Bürger und Besucher der Messestadt. Täuscht der Eindruck – war das Programm etwas Männer und Nordlichter lastig? Hauptsache, die Qualität stimmt. Der Kieler Feridun Zaimoglu führt den Helden seines Romans „Ruß“ als Ikonenmaler ein. Das Schöne und das Heilige quälen sich durch eine ungeheizte Duisburger Wohnung, durch Sätze von kalt bemessener Kürze. Kann hier etwas atmen, gar die Schönheit?, fragt man sich. Und steht mit dem nächsten Absatz an der Trinkhalle, von deren Einnahmen der Maler lebt, wird Zeuge eines Raubüberfalls, den der Held durch einen Konservenwurf abwehrt. Doch, hier atmet einer. Diese Kunst, diese Schönheit sind der ungeschminkten Misere des Ruhrpotts abgetrotzt. Sie sind beglaubigt. Entsprechend angeschnallt hebt der Roman zu einem wilden Abenteuer ab, das niemand verpassen sollte.
Kölns härtere Seite zeigt der Krimi „Nichts als Erlösung“ von Gisa Klönne. Gekonnt erzählt wird hier, der für manche immer noch nötige Beweis geführt, dass gute Krimis auch in Deutschland und von Frauen geschrieben werden. So weit, so beeindruckend. Im Gespräch offenbart die Autorin dann eine Nähe zu ihren Recherchepartnern von der Polizei, die misstrauisch macht. Die „embedded journalists“ des Irakkriegs – bekommen sie literarische Kollegen? Profis der Problemerfassung, die über ihren Fällen und Fachmethoden das Menschenleben aus dem Auge verlieren? Was sagt ein solcher Krimi wirklich über sein Thema, den Kinderheimhorror der Nachkriegszeit? Lesen und selber raus finden empfohlen.
Erfolg hat wieder so einiges, auch ein Roman vom Umfang und Spannungsgehalt des Berliner Telefonbuchs. „Gegen die Welt“ von Jan Brandt war für den Buchpreis nominiert, lässt sich feiern. Der Autor setzt auf Listen seines Personals, Bewegungsprofile, die die Figuren an verschiedenen Orten zusammenführen, Fraktionen bilden, diese sich bekämpfen lassen. Brandt findet das besser, als „jeden noch mal einzeln zu beschreiben“. Die 930 Seiten des Buchs erklärt er damit, dass „ein Dorf ein wahnsinnig komplexes Gebilde“ sei. Er habe sich entscheiden müssen, ob er alles erzähle oder nichts. Er hat beides getan. Die Sprache stimmt, sagt aber nichts. Jung ist an dem Buch nur der Autor.
Eine Kluge verstehts: Silke Hartmann interpretiert Thomas Meinecke
Der deutlich ältere Thomas Meinecke bietet jungen Lesern mit seinen „Lookalikes“ mehr. Den Titel könnte man ungefähr übersetzen mit „die so aussehen wie jemand anders“. Das tun, das wollen heute viele, erfährt man. Stars und Mediengeschöpfe klonen sich millionenfach in den Träumen normaler, vielleicht allzu normaler Menschen. Meinecke wirft ein Problem auf und legt ein Bekenntnis ab. „Ich glaube daran, dass die Identitäten konstruiert sind.“ Eher unfreiwillig verrät er: Das postmoderne Dogma wurde von Schriftstellern erfunden, konstruieren diese doch berufsmäßig Identitäten – ihre Figuren. Erzählt kann so was hoch spannend sein, wenn es von Thomas Meinecke ist.
Leif Randt und seine Lektorin Birgit Schmitz
Jung ist wiederum der aus Maintal stammende Leif Randt. Sein Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“ ist im Saisonvergleich das optisch schickste, vielleicht auch das stilsicherste, ein geradezu ausgebufftes Buch. Geschult an amerikanischen Vorbildern kann Randt seinen fiktiven Schauplatz auf blättern wie einen Hochglanzprospekt. „Wie wäre der scheinbar perfekte Ort?“, hat er sich gefragt und mit Coby County ein rätselvolles Idyll geschaffen. Die domestizierten Bewohner erinnern an die „Stepford Wives“ der bösen Filmkomödie. Von Seite zu Seite dringender will man wissen: Sind die echt? Man kann es raus kriegen.
Am klügsten kam dem Berichterstatter Jan Böttchers Schulroman „Das Lied vom Tun und Lassen“ vor. Er spielt am BioQuaNa-Gymnasium einer norddeutschen Kleinstadt, gesponsert von einer Molkerei („Bio Quark Natur“) und damit in eine Zeit „ungefähr in drei Jahren“ verlegt. So lange dauere es noch, bis deutsche Schulen in Wirtschaftsunternehmen eingegliedert, ihre Qualität von Controllern gemessen, ihre Ziele von Werbeleuten definiert würden, meint Böttcher. Unbedingt erkundigen bei ihm - genau das läuft wirklich. Die OPEN BOOKs tun viel für das Lesepublikum. Hier decken sie eine Fehlentwicklung auf, an der die meisten vorbei sehen, obwohl sie längst bedrohliche Fakten schafft.
Auf der Buchmesse stehen derweil Autos, prangen vier Ringe, daneben drei Wörter: „Vorsprung durch Technik“.
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Ewart Reder
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