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Marica Bodrožić
Mein weißer Frieden
Sterne sind keine Fremden
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Marica Bodrožić
Mein weißer Frieden
Luchterhand Literaturverlag 2014
335 Seiten | 19,99 Euro
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Dieses Buch tut gut. Es gibt Bücher, die schlägt man gleich nach der ersten Bekanntschaft mit dem Gefühl auf, einen Freund zu haben. Was ist los in einem solchen Fall? Ist alles nur ein triviales Missverständnis? Findet man da lediglich die eigenen Gedanken bestätigt?
Kann sein, und bei dem allgemeinen Gedankenmangel ist auch ein solches Glück verdient. Aber es gibt noch viel mehr, an dem wir Mangel leiden. Großregionen unserer Realität kommen im Alltagsdiskurs nicht vor, werden ignoriert, was im Ergebnis heißt: geleugnet. Glücksbringer sind Bücher, die von diesen Realitäten sprechen.
Marica Bodrožić spricht vom inneren Frieden, den es zu entdecken und zu entfalten gilt. Bücher sind für sie die stärksten Verbündeten auf der Exkursion ins Innere, was nicht selbstverständlich ist. Mitlebende sind nur im Ausnahmefall bereit so einen Weg zu begleiten, heißt das. Es ist ein mutiger Weg, durch Zonen des Schreckens gleich zu Anfang, den die Autorin geht, um die Geschehnisse des Jugoslawienkriegs und seine Hinterlassenschaft zu verstehen. Der Selbstmord eines Cousins wird zum Frage- Zeichen. Was für eine Logik hat der Krieg erzeugt, die für eine Vielzahl von Menschen zur tödlichen Falle wurde? Nicht gerechnet hierbei die von den Kriegern Getöteten. Das Besondere, schwer Vergleichbare an Bodrožićs Buch ist: Es sieht dem Grauen ins Gesicht und spricht währenddessen mit einer lebensbejahenden, mit einer heilenden Stimme.
Wie einsam ihr Blick die Reisende machen kann, hat sie an vielen Stationen erlebt, in ihrer Geburtsheimat Dalmatien ebenso wie in Bosnien oder der Krajina. Diese Einsamkeit trifft sie wieder in Künstlerschicksalen wie dem von Danilo Kiš, Bogdan Bogdanović, Vlado Gotovac oder Dubravka Ugrešic. Wer nicht ausschließlich den nationalen Blickwinkel einnimmt, wird von der Nation ausgeschlossen, wie immer diese heißen mag. Insofern war die föderative Republik Jugoslawien ein Fortschritt, stellt Bodrožić fest. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr bewohnte sie jenes Land. Seinen Fehler sieht sie in dem Anspruch, Solidarität von einem Kollektiv einzufordern, statt auf die elementar humane oder auch, wie es in Anlehnung an Julia Kristeva und Muriel Rukeyser heißt, die spirituelle Erfahrung des Zusammengehörens zu setzen. Die macht nur der Einzelne, darum ist er verantwortlich für den Frieden und nicht das Kollektiv. Flüsse und Meere, die zu territorialen Grenzen erklärt wurden, vermitteln in Wahrheit Erlebnisse des Gemeinsamen. Das Buch bringt hierfür erschütternde Beispiele aus den Kriegsgebieten. Sterne sind keine Fremden, sondern die Bürgen einer unzerstörbaren Vertrautheit unter den Menschen.
Aus Nachbildern und Erzählungen von der sehr persönlichen Reise wird so eine Schule des Friedens für alle, die ihn suchen. Unerschrocken direkt hat Marica Bodrožić die Menschen nach ihren Kriegserlebnissen befragt. Wer selbst in diesen Ländern gereist ist, hält manchmal den Atem an. Sätze stehen in dem Buch, die – jeder für sich – Tausende zu Feinden der zarten Frau machen, die sie ausspricht. Lohn ihrer Angst sind die Begegnungen mit Gleichsinnigen, am eindringlichsten berichtet aus dem posttraumatischen Sarajewo. Leon de Winters persönlichstes Buch kann einem einfallen: Serenade, ein Aufschrei über die Hilflosigkeit der vier Jahre lang von Artillerie und Scharfschützen gefolterten Stadt. Selbst in diesem Vergleich bleibt die Empathiefähigkeit, bleibt der freundliche Mut von Mein weißer Frieden unerreicht.
Eins sei zuletzt kritisch angemerkt: Die Europäische Union ist nicht das Völker verbindende Modell, als das sie hier firmiert. Ihre Rettungsschirme helfen nicht, wie behauptet, den Schwachen, sie nehmen die Schwächsten in Haftung für Gewinne, die mit den Risikopapieren ihrer Staaten von den ohnehin schon Reichsten gemacht wurden. Dubrovnik liegt wenige Stunden entfernt von Igoumenitsa, Preveza, Patras, wo man über die EU-Darstellung nur den Kopf schütteln wird. Trotzdem liegt darin kein schwer wiegender Fehler eines Buchs, das auch noch für dessen Korrektur die nötigen Beobachtungen in aller bewundernswerten Klarheit formuliert. Es ist ein Glück, dieses Buch zu lesen.
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Ewart Reder
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