Findet einer da, wo im geordneten Weltbau seine Identität vorgesehen wäre, nichts vor, irritiert ihn das. Oder es inspiriert ihn. Seit Max Frisch (spätestens) ist die Leerstelle Identität ein Dauerthema der Literatur. Immer häufiger werden Romane geschrieben über das, was die Psychologie Ich-Schwäche nennt. „Liebediener“ von Julia Franck, „Die zweite Haut“ von Sonja Rudorf, auch schon „City of Glass“ von Paul Auster sind Beispiele. Eine besondere Eignung für das Thema zeigen Kurzformen. So unterschiedliche Erzählbände wie „Der Reservetorwart“ von Burkhard Spinnen und „Das Fieber“ von Jean-Marie Le Clézio treffen sich am Ausgangspunkt eines Subjekts, das sich verloren hat. So weit, so alt. Neue Funken aus dem Thema schlägt Martin von Arndt in seinem zweiten Roman „Der Tod ist ein Postmann mit Hut“. Allmonatlich bringt ein Postmann (mit Hut) dem Helden ein anonym gesandtes Einschreiben, das aus einem weißen Blatt Papier besteht. Kein Text, keine Spur, nicht einmal Fingerabdrücke verraten dem neugierigen Adressaten, wer da was von ihm will. Bei dem schönen Symbol einer annihilierten Existenz bleibt es aber nicht. Die Leere der Mitteilung provoziert den Empfänger in mehrfacher Hinsicht dazu, sich neu auf das Leben einzulassen, das in dem Fall in Innsbruck stattfindet. Improvisationsgabe ist gefragt, kauzige, unvergesslich porträtierte Helfer bieten sich an auf der Suche nach dem Absender. Temporeich kurvt die Handlung zwischen einer skurrilen Musikszene (die der Autor als Mitglied der Band „Printed At Bismarck's Death“ beurteilen kann), einer abgelegten Beziehung und immer neuen, verwirrenden Spuren des (oder der?) großen Unbekannten. Schwer zu sagen, was mehr beeindruckt: der professionelle Spannungsaufbau, die elegante Erzählmelodie oder der unverwechselbare Humor des Romans. Mutterwitz des Helden kann das keiner sein, Frau Mutter ist auffällig humorlos. Der Witz zeigt sich geradezu als klassengebunden, indem nur die Underdogs, die grantelnden Sonderlinge welchen haben. Und was für welchen. Seinen Hund Tadzio nennen, nach Thomas Manns berühmtem Venezianer Edelknaben, kann nur, wer auch mit dem Tod einen Scherz riskiert. Über den Tod sollte Arndt zwar noch ein Buch schreiben, darüber ist hier nicht alles gesagt, nicht von ihm, der mit ernsten Themen zurecht kommt (vergleiche sein Debüt „ego shooter“). Ansonsten Hut ab, Herr Postmann. Kafka meets Thomas Mann, und das auf dem Hundeklo. Man soll immer viel von der Literatur verlangen - hier bietet sie Erstaunliches. Ewart Reder
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Ewart Reder
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