|
|
Ewart Reder
Die open books 2013 auf spannenden Rückwärts-Gängen
Rechts, wo der Westen ist |
|
|
|
Fazit vom Messe-Feste: open books wieder das Beste ...
|
|
Das Begleit-Lesefest zur Frankfurter Buchmesse, die open books steigen zum fünften Mal. Und wieder sind alle da, oder fast alle. Daniel Kehlmann liest seinen Neuling „F“ woanders. Nehmen wir halt „M“ zur Hand, Friedrich Anis neuen Tabor- Süden-Krimi (Droemer). Da umrauscht die Stadt mit dem gleichnamigen Autokennzeichen einen so wortkargen wie innerlich brodelnden Privatdetektiv. Südens Ermittlung weckt Verdacht vor allem gegen die Klientin. Der von ihr gesuchte Verschwundene ist Polizist. Erstes Opfer wird Südens Kollege. Verkehrte Welt am Sendlinger Tor, und falsche Heimat Bayern überall, wo deren Werte großbuchstabiert werden. Volkstum, Familie, Kinderspiel – hinter den Bollwerken der Harmlosigkeit stecken alte und neue Nazis, gut getarnt als Nobelhotelier oder als Redakteurin einer angesehenen Zeitung (in der Verlängerung von deren Straße saß Jahrzehnte lang der Süddeutsche Verlag). Das Ganze liest sich flüssig. Mit Ruhe und Routine platziert der Autor Vorausdeutungen und Cliffhanger, nimmt Spannung weg, um sie gleich wieder aufzuladen. Sein Erzähler konkurriert mit dem Helden in Lakonie und dem ganz großen Überblick, einer Art Nihilismus des Allwissens. Trotzdem versuchen einzelne Figuren an Gott zu glauben.
Die Nazis in „Königreich der Schatten“ (C.H.Beck) sind schon alle tot. Oder doch nicht? Michael Stavarič erzählt von einer Welt, die ihm keiner glauben muss und die ihm viele aus den Händen reißen werden. Metzgersenkel trifft Jungmetzgerin. Deren Mutter ist, entgegen eigenem Bekunden, Nazi, die Tochter führt es dem Leser schlitzohrig-naiv vor. Über beiden liegt der Schatten des Nazi-Großvaters, der Metzger war und das mit dem G.I. gemeinsam hatte, der ihn im Zweiten Weltkrieg tötete. Schicksalhaft geht der Beruf auf die Enkelin über, die ihn auf besondere Weise ausübt. Schwarzer Wiener Humor trifft hier auf wilde Fabulierwut, Woody Allen meets Wonderland-Alice. Ein Jahrmarkt der Einfälle und zugleich Zerrspiegel einer Welt, die die Zukunft verspielt, noch bevor die Vergangenheit sie einholen kann.
Ein vergleichbarer Weltrahmen fehlt in Marion Poschmanns staunenswertem Roman „Die Sonnenposition“ (Suhrkamp). Ein Psychiater aus dem Rheinland zieht in „den Osten“, wie es hier ständig heißt, arbeitet in einer Fachklinik, die ein herunter gekommenes Barockschlösschen bezogen hat. Der Tod des Jugendfreundes Odilo veranlasst den Protagonisten zu langen Erinnerungen an ihn. Warum eigentlich? Gelebt wird die Freundschaft längst nicht mehr. Wurde sie es je? Als Leser sollte man Odilo faszinierend finden, dann teilt man das Erzählinteresse. Allerdings ist er (dem Wenigen nach, was man erfährt) nur ein privilegierter Karriere-Wissenschaftler, der sich über Nervenkranke, die Ex-DDR und „Versager“ im Allgemein aus unbekanntem Grund erhaben fühlt. Dass er offensichtlich Adrian Leverkühn, dem Helden aus Thomas Manns „Doktor Faustus“ nachgeschaffen ist, macht es nicht leichter. Denn anders als der hat er keine Leidenschaften, kämpft nicht mit Jahrhundertproblemen, denkt nichts, redet nicht und riskiert nicht mal einen Schnupfen. Der Thomas Mann, den wir hier nach-lesen, ist höchstens der vor 1918, reaktionär, weltabweisend. Aber eigentlich ist es nur Ernst Jünger, der einflüstert. Aufbauschen, heiß reden, heroisieren, was das Interesse erwachsener Menschen nicht verdient – nirgendwo lernt sich das so schön wie bei Jünger. Und damit Schluss, genug geschimpft. Denn das Buch ist großartig, ein Leseabenteuer von der ersten bis zur letzten Seite, weil es mit einem in der Doppelung fast unglaublichen Beobachtungs- und Sprachvermögen gestaltet wurde. Warum nur musste es ein Roman werden? Ist der Betrieb schon so stumpfsinnig, dass er keine andere Prosa mehr erlaubt?
Gedichte schreiben kann Marion Poschmann auch, und wie. Gleiches gilt für Peggy Neidel, deren Lyrikband „Weiß“ (poetenladen) die Lesenacht „Teil der Bewegung“ überstrahlte, diesmal im „Orange Peel“ in der Kaiserstraße. Unaufwändig las die junge Zwickauerin, die in Düsseldorf lebt, ihre messerscharfen Formulierungen, Verse, deren Wortfugen sich auftun wie Abgründe. Der Wirklichkeit fehlt die Kraft, sich gegen die Übernahme seitens der Sprache zu wehren: „während ich am zugefrorenen kanal spaziere / erscheint vor mir ein hologramm in gestalt meiner angst“. Ein Glück, dass man „Weiß“ kaufen kann. Umgekehrtes Unglück: Von der beeindruckenden Christiane Heidrich (18) ist noch nichts auf dem Markt.
Markus Feldenkirchen sieht aus wie Daniel Kehlmann, nur besser. Er schreibt aber nicht so gut. Sein Roman „Keine Experimente“ (Kein & Aber) ist stockkonservativ gestrickt. Der sauerländische CDU-Politiker Kallenberg wird in den Bundestag gewählt, muss folglich nach Berlin. Dort hat er eine Affäre und zwar mit einer Feministin, damit sein Weltbild zerbrechen und er als sympathischer Kerl übrig bleiben kann. Das ist solides rheinisches Fachwerk, in dem der Unterhaltungsverputz durchaus Freude macht. Feldenkirchen schreibt sonst für den „Spiegel“, das weckt Erwartungen. Aber über Politik lernt man nichts. Einmal mehr bewahrheitet sich Chrystia Freelands These, dass Journalisten durch ihre berufliche Symbiose mit den Mächtigen korrumpiert werden. Man findet sich nett, und das wars auch schon mit der Wahrheit.
Raimund Fellinger lobt Andreas Maier ... |
|
© Ewart Reder |
Aus anderem Holz geschnitzt ist da der Frankfurter Lokalmatador Andreas Maier. Das Zusammenleben, definiert als räumliche Nähe, schützt niemanden vor Maiers bohrendem, geradezu unabwendbaren Blick. Mit ihm untersucht er die hessische Provinz und findet darin die Welt oder zumindest Westdeutschland. In der ambitionierten Romanreihe über (s)eine Wetterauer Kindheit schafft er es in drei Bänden einstweilen vom „Zimmer“ bis auf „Die Straße“ (Suhrkamp), den Ort, wo die Menschen der vorelektronischen Zeit ihre Pubertät erlebten. Alles, was dieses Thema – behandelt von einem Humoristen wie Maier – verspricht, wird eingelöst. Alles vibriert, auch die schöne Stimme des Vorlesers im großen Saal des Kunstvereins, der die Menge nicht fasst. Die hat es in Frankfurt nicht leicht mit dem Autor, hört sie sich doch aufs Schärfste von ihm bezeichnet. Aber vielleicht ist Maier ein echt deutsches Literaturphänomen. Er schreibt einfach zu gut, als dass man ihm misstrauen wollte. Der Experte darf alles sagen, tut es Satz für Satz mit hinreißendem Witz und Hintersinn. Andreas Maiers freundliche Revolution geht auf „Die Straße“ und der Westen hat sie verdient.
... das kann dauern |
|
© Ewart Reder |
Fazit vom Messe-Feste: open books wieder das Beste. Nur einen müssen sie noch von den Hallen am Rebstock abwerben in den Kunstverein: Helmut Scholz, den Engelsgeiger, der alljährlich im U-Bahnhof „Festhalle / Messe“ das Bücher-Stelldichein verzaubert.
|
|
|
Ewart Reder
Prosa
Lyrik
Gespräche
|
|