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Marko Pogačar
Schwarzes Land

Angriffe aus der Logosphäre
  Kritik
  Marko Pogačar
Schwarzes Land
Kroatisch/Deutsch
Übersetzt von Alida Bremer
Edition Korrespondenzen
2015 | 152 Seiten | 20 Euro
ISBN: 978-3-902951-11-3


Gedichte wie Atemzüge sind das, als wäre Sprache für Marko Pogačar, was Luft für uns ist. Er kann nicht wählen, ob er diese Verse macht. Gespielt wird nicht mit der Sprache. Und es ist Veranlagungssache, ob die Bilder, die Dinge einem so nahe kommen, dass der Notaus­gang Poesie heißt. Ein Magnet sei er, sagt in mehreren Gedichten der erst Dreißigjährige, der schon als „Rimbaud der kroa­tischen Poesie“ und „ein Wunder“ gehandelt wird. Sein Verhältnis zu den Wörtern ist körperlich. Ein Kampf tobt darin, Arbeit wird getan. Man hat die schier unbe­grenzten Möglich­keiten betont in Pogačars Lyrik. Es können ebenso viele Angriffe aus der Logo­sphäre sein, deren einer sich zu erwehren versucht.
  Fluchtwege führen in die Natur. Wie unberührt steht sie in manchen Texten. Über den späten Max Liebermann sagte Heinrich Mann: „Die Natur, von ihm gesehen, blieb mit sich allein, nur ihr Genie wurde überdeutlich.“ Schwer zu begreifen: Der Satz trifft auf einen jugend­lichen Dichter und seinen vierten, in Deutsch­land zweiten Gedicht­band zu. Ein halbes Gedicht „Kürbis“ umkreist seinen Gegenstand. „danach Fülle. / Zutrittsverbote für Wind, Blick, Zähne; / für alles, was vor dem Eintreten klopft, was darf ich fragt.“ Gegenbeispiel wäre das unent­rinn­bare „Giersch“ von Jan Wagner: Total­kontrolle des Sprach-Floristen selbst über das Unkraut. Ich kann sagt jeder Trick, klopft an beim Applaus.
  Noch fast beherrscht wirkt Pogačars 2009 erst­veröffent­lichter, hier ein­ge­schal­teter Zyklus „Der See“, worin das lyrische Ich aus der Per­spektive eines Wald­sees philo­sophiert, phanta­siert, inszeniert. Der Sur­realismus klingt an, Hans Arps Meta­morphosen, ein Ich wandert durch Inkarnate und Aggregat­zustände, auch der Geschichte. Aus dem großartigen Verlag „Kor­respon­denzen“ hört man, einen „Ver­treter“ der jungen Gene­ration habe man drucken wollen, der nicht mehr von der jugo­slawischen Ära geprägt sei. Wen „vertrat“ Hölder­lin?, fragt man sich beim Lesen. Und stimmt die Ein­schätzung überhaupt? Der Staat der siegreichen Parti­sanen hatte als einziger Staat ein Gesetz, das den inneren Urwald schützte, zum Rückzug bei Bedrohung. Partisanen ernährten sich von Wurzeln und Rinden, die seit den alten Slawen keiner mehr auf dem Küchen­zettel hatte. Solche Gesetze hütet der Dichter im Kopf, und er schreibt „Selbst­ver­waltung“, das jugoslawischste aller Wörter, will er etwas hinschreiben, woran er glaubt – als See. Sein Hohnwort dagegen ist zuverlässig „das kroatische Parlament“.
  Die neueren Symbole und Chiffren des Dichters bauen entlegenere Bretter­bühnen als „Der See“. Da treten noch unbe­zähmtere Leiden­schaften auf. Das Besondere dieser Dichtung ist eben, dass die Phantasie keine Bilder malt, die vom Sofa aus zu betrachten wären, sondern ein Bildraum ist, in dem gelebt werden muss, gelitten wird, ein Mensch seinen über­fütterten Schatten begegnet, ihre Gesell­schaft erträgt. Fern aller symbolis­tischen Betu­lichkeit können Wörter als Sinn­klammern hier alles ver­schlucken, was lebt, das „Geld“ in dem Gedicht „Abrechnung (Gott und die Kassie­rerin)“ eine absurde Summe ziehen unter Wörter­kolonnen, die ein mögliches Leben ohne Geld sarkas­tisch beschreien. Eine 'Kritik der vernünftigen Phantasie' hat Pogačar geschrieben, mit der die Grenzen des Kitsch­begriffs sich bedrohlich erweitern auf gewisse Teile der Gegen­wartslyrik – und jenseits davon Universen entstehen. Nicht ex nihilo, nein, da sagt der post­moderne Autor schnell: inter­textuell. „Gelesen“ habe er das meiste, antwortet Pogačar auf die Frage, woher die stupende Fülle seiner Einfälle stamme.
  Die Kunst ist beachtlich in diesen Texten, ebenso wie in den Über­tragungen von Alida Bremer. Gedichte entwickeln sich aus einzelnen Figuren und Sätzen, so das erste, „Markos Platz“ (und viel­leicht der ganze Band) aus dem ersten Satz: „Etwas geschieht, aber ich weiß nicht, was.“ Man muss den Satz nur bewusst lesen, um den Ansturm des Unbe­wussten zu erwarten. Und nicht, dass diese Poesie allem glauben würde, was sie beinhaltet. Vieles scheint einem kollek­tiven Somnambu­lismus nach­gesprochen und provo­ziert den Wider­spruch des heimge­suchten Ichs. Denk­routinen setzen sich in vertrackten Zugfolgen selbst matt, wie ein gele­gentlich tremolierender Agnosti­zismus. Oder was ist „das Gedicht“ im Folgenden anderes als Hilde Domins „Wunder“?

„(...) du weißt, dass
zwischen dir und der Welt Fenster sind, dass nichts auf dir
landen kann. und trotzdem liegst du da und wartest auf das Gedicht.
wartest darauf.“
Hilde Domin wartete so:
„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.“

Oder was sagt „Der See“ mit seinen letzten zwei Versen?

„wenn meine Augen niemandes Augen mehr sein werden, sollst
du mich lieben und keinen See neben mir haben.“


Pogačar verweist auf den Dekalog, das religiöse Gebot als Vorlage. Und bestätigt im Gespräch, dass auch der Metaphysiker Rilke mit seinem Grabspruch ihm hier reinflüstert:

„Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern.“

Ewart Reder     24.07.2015     Layout-/Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Ewart Reder
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