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Hendrik Rost
Licht für andere Augen
Auf Fang aus
Kritik |
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Hendrik Rost
Licht für andere Augen
Gedichte
Wallstein Verlag 2013
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Jemand schwimmt zu einer Badeplattform und sieht von dort aus zwei Jungen zu, die sich auf eine Insel hieven und in der Sonne liegen bleiben. Eine banale Sommerszene. Aber der Schwimmer hat immer die Wahl zwischen mehreren vorstellbaren Alternativen, weiß auch, dass, was schon einmal geschehen ist, wieder geschehen kann. Deshalb sammelt er seinen Mut: „Ich nahm mir ein Herz, Søren, / und sprang zurück ins kalte Wasser.“
In Zusammenhang mit Hendrik Rosts Dichtung ist oft von Kontemplation gesprochen worden – ein Prädikat, das gut angewendet war auf Texte, die sich durch die Haltung des ruhigen, distanzierten Anschauens und durch einen genauen Blick auszeichneten. In den neuen Gedichten findet man Rosts unverkennbar klaren Ton wieder, immer noch kommt er ohne den Reim aus, die Verse atmen ein freies, die philosophischen, literatur- oder naturwissenschaftlich angereicherten Denkanordnungen abfederndes Parlando. Doch der Sprung ins kalte Wasser aus Der Begriff Angst verbildlicht nun eine Bewegung, die den ganzen Band bestimmt: Der Abstand zu den Gegenständen wird verringert, bis auf die Distanz, die Berührung erlaubt – oder erzwingt. Damit wird Betrachtung zu einem wagemutigen Akt.
Wie in dem Werk Kierkegaards, das dem Gedicht den Titel leiht, wird in Rosts intellektuellem Kosmos immer wieder die Frage nach dem Zusammenhang von Angst und den ethischen Entscheidungen gestellt, die der Einzelne angesichts des Nichts trifft. Aus der Urangst vor dem Nichts kam nach Kierkegaard die Sünde und mit ihr wiederum Angst in die Welt, und doch „könnten (wir) frei sein. / Allmählich sterben / und frei sein.“ Wir könnten also im Annehmen des „schwarze(n) Wasser(s) voller Tiefe“ die Angst und ihre Teufelskreise überwinden – aber inwieweit können wir das wirklich, dank welcher Kraft überhaupt?
Einer der eindringlichsten Vorschläge findet sich in Nemo. Ein Schwerkranker erstickt allmählich an dem Schlauch, durch den ihm reiner Sauerstoff zugeführt wird. Es ist der Schwiegervater, der in seinem Alltag „an Pflichten“ gleichsam auf dem Trockenen ertrank, bis er „keine Luft mehr hatte, Trost zu spenden / oder Verzeihung zu sagen“, und die Hinwendung zu dem Leidenden gipfelt in einem Vers, der das Gedicht am Ende zu einem über die Liebe macht: „Ich würde / in den Armen seiner Tochter für ihn ertrinken.“ Dabei findet bis zu diesem Schlussvers alles in vermittelter Form statt, der Kranke ist – vielleicht, weil er nicht mehr lebt – nur „auf Familienfotos“ zu sehen. Doch das Medium verwässert das Mitfühlen nicht, vielmehr wird es als Verbindendes ernst genommen, als das in der Mitte, hier als die Liebe zu der Frau, die den betrachteten Vater und den betrachtenden Ehemann verbindet und Empathie erst ermöglicht.
Empathie trägt auch das Gedicht Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen über den Radius von Gedankenlyrik weit hinaus, und diesmal ist sie einem Fremden zugewandt, einem „dicken Mann“, mit dem das lyrische Ich in einem Bus über Land fährt. Während der Fahrt ist dessen Blick noch unbeteiligt, der andere ist einfach ein Mitreisender, „der seinen Bauch wie ein Paket / auf dem Schoß mit sich schleppt“ und seinerseits die Kollision des Fahrzeugs mit einem Fasan ziemlich ungerührt kommentiert: „Der ist tot.“ Erst im Nachgang eines Traums offenbart sich das Wesen dieses Menschen: „Der dicke Mann trägt in dem Paket / eine Trauer, / von der er nicht weiß, wohin damit.“ Dem Träumenden wurden, um mit dem Titel des Bandes zu sprechen, andere Augen geöffnet.
Von Tranströmer entlehnt, verweist der auf eine Drehung der Blickachse, die den Einzelnen in dem, was nicht zu beweisen ist, die Ergänzung zu dem, was er wissen kann, erblicken und ihm seinen Platz in der Blackbox des menschlichen Wahrnehmungsapparats zuerkennen lässt, in diesem Ozean des Unbewussten, aus dem das Bewusstsein, wie der auf dem Buchcover abgebildete Eisberg, nur zum kleineren Teil auftaucht. Das Gewahrwerden und Ausmessen dieses Verhältnisses ist nunmehr das „Licht“, das auf die Gegenstände der Betrachtung geworfen wird und diese aus ihrer Objekthaftigkeit befreit, sie als Subjekte wahrnimmt, die aus der eingegrenzten, gleichwohl disparaten Position des Ich heraus eigentlich nicht mehr ergründbar sind. Dennoch kann auf diese fragwürdige Instanz offenbar nicht verzichtet werden, es wird häufig „ich“ gesagt in den Gedichten. Aus diesem Dilemma schlägt Hendrik Rost indes weitere Funken.
In Letztes Protokoll sieht ein Ich sich aus der Perspektive des vom Körper gelösten Bewusstseins: „Und das soll ich sein?“, fragt es sich, und gleich darauf, ob es denn auch den Herd ausgeschaltet habe. Das Resümee eines durchschnittlich gut geführten, an Fehlern reichen Lebens wird gezogen, um schließlich in der Negierung – „Ich ist erloschen“ – die eigene Sprechhaltung vollends ad absurdum zu führen. Der ironische Duktus, mit dem das Banale dem Ereignis des nahenden Todes gegenüber gestellt wird, aber auch die Distanz, aus der dieses körperlose Ich sich selbst betrachtet, erinnert abermals an Kierkegaard, dem die Ironie als notwendige Vorraussetzung im Kampf gegen die „Krankheit zum Tode“, die Verzweiflung, galt, als Instrument, mit dessen Hilfe das Individuum weit genug von sich abrücke, um den eigenen Zustand zu erkennen. So wird eine lyrische Exposition zur Metapher einer philosophischen Haltung und zugleich die rhetorische Figur in ein Bild ihrer selbst übersetzt – raffinierter kann man nicht dichten, und doch ist Raffinesse nicht die wichtigste Qualität dieses an sprachskeptischen Gedichten nicht armen Bandes. Die Skepsis, wie sie sich etwa in Inkarnation ausspricht – „Ab und zu ritzt (das Gedicht) sich / mit Realität, um sich zu spüren“ – oder in Lass ab von Eitelkeit – „Drei, vier Gedichte auf dem Höhepunkt / der Krise. Es herrscht Krieg / für Krieger da draußen, / geführt von Dienern“, diese Skepsis findet ein Gegenwicht in der eigenen Beteiligung an dem, was vorgeht. Es gibt nämlich kein „da draußen“, dem nicht ein „hier drinnen“ entspräche. Das bringt die Grenzlinien ins Schwimmen.
Am schönsten wird das vielleicht in Fluchttiere verdeutlicht. „Als ich noch ein Mensch war mit allem / Drum und Dran, konnte ich nichts anfangen / mit Pferden“, heißt es dort. Dem nüchternen Anerkennen des Unverständnisses folgt aber etwas Wunderbares: „Jetzt, da ich ein Pferd bin, solange // ich an einem Gatter stehe, vergesse ich, / vergesse alles, was ich über Menschen weiß.“ Ein Perspektivenwechsel hat stattgefunden, allerdings nicht, weil sich da einer der Illusion hingäbe, die Position vor tatsächlich gegen die hinter dem Gatter getauscht zu haben. Das ist auch nicht nötig, ist doch der Dualismus der Positionen selbst illusorisch. Es gibt kein Davor und Dahinter, bloß die Anwesenheit daran, das Gatter ist das Ding zwischen beidem, das inter-esse, das vergessen lässt, was ich von sich weiß und es sehen lässt.
Also doch wieder Kontemplation, gar auf die buddhistische Spitze getrieben? Das Gedicht, das den Band beschließt, Ideen, nimmt eine Situation zum Ausgangspunkt, die im westlichen Kulturkreis als die kontemplative schlechthin gilt, die des Anglers, die Reglosigleit des Lauernden gegenüber dem, „was nicht für deine Augen / vorgesehen ist“. Aber in Wirklichkeit hängt, wer da die Wasseroberfläche beobachtet, selbst am Haken. Er will ja mehr als nur schauen, ist „auf Fang aus“. Es ist der Dichter, dessen Zunge als Köder und „beweglicher Wurm“ beschrieben wird. Das ist keine Trockenübung, es geht ums Ganze: „was anbeißt, / bewahrt ihn / vor dem Ertrinken.“ Dass dies nicht ohne Risiken abgeht, versteht sich, der „kurze Stich beim Schlucken“ ist gewiss noch das geringste, das man eingehen muss, will man sich was einfangen oder, wie es das Gedicht sagt, die „Nachricht“, die der Stich vermittelt, empfangen. Zum Glück hat Hendrik Rost es gewagt und ist der Empfehlung seiner Ideen gefolgt: „Um des Wassers willen / spuck sie aus.“
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