Schachmatt für eine Dame
Richard Wagner: Habseligkeiten
Richard Wagner und Johann Lippet gehörten beide der Aktionsgruppe Banat an. Sie schrieben damals wie heute über vergleichbare Themen. Jeder in seinem unverwechselbaren Stil. Liest man Rezensionen zu ihren Büchern der letzten Zeit, begegnet man immer wieder Schlagwörtern wie die versunkene Welt der Banater Schwaben oder Vergangenheitsbewältigung. Gegen beide Formulierungen sträube ich mich als eine, die dazu gehört. „Wir sind Aussiedler auf Lebenszeit“, so Wagner.
Dass die Welt der Banater nicht versunken ist, belegen gerade Romane wie der von Richard Wagner. Versunken ist etwas, dessen Auswirkungen nicht mehr in die Gegenwart reichen. Und gemessen an den Epochen der Geschichte sind die letzten vierzig oder fünfzig Jahre ein überschaubarer Zeitraum, der vergangen ist, aber nicht versunken. Noch nicht.
Zuerst einmal ist Habseligkeiten trotz des Nischenthemas ein Roman, den man gerne liest, stellenweise mit Spannung. Er hat eine Rahmenhandlung. Eine Geschichte wird erzählt, nämlich die von Werner Zillich. Ein Bauingenieur aus Sandhofen, dessen Familienturbulenzen nicht dramatischer oder außergewöhnlicher sind, als die vieler anderer Familien, unabhängig vom Stempel des Aussiedlers. Auf der Rückreise aus dem Banat, wo er seinen Vater beerdigte und die Mutter nunmehr allein zurückließ, überlässt er sich den Eindrücken, die ihn unweigerlich in die Vergangenheit führen. Und so wie das Auto Kilometer um Kilometer in der für ihn unspektakulären Landschaft Ungarns zurücklegt, so spult Werner Zillich Familiengeschichte von der Spindel der Erinnerungen. Mittelbare und unmittelbare. Der Faden dabei ist kein fein gesponnener, sondern eher ein robuster. Er verdickt sich an den Stellen, die Sicherheit geben, weil Vergangenheit sicher ist. Man kann sie interpretieren, aber nicht mehr verändern. So ist auch Richard Wagners Schreibfluss- und Lust zu spüren, wenn er über die Amerika Reise seiner Urgroßeltern berichtet, oder über die fünf Jahre Zwangsarbeit des Vaters in russischer Gefangenschaft. Hier trifft er den Nerv und das Verständnis jener, die ähnliches Schicksal in ihren Familien zu beklagen haben.
Dünner wird der Erzählfaden, wenn er in die Gegenwart zurückkehrt. Clara, Béla, Andy, die er in Budapest kennen lernt, bleiben anfangs blass. Manchmal hat man als Leser den Eindruck, dass sie nur Staffage sind, um zu seinen Banat Geschichten den Bogen zu schlagen. Etwas verwundert liest man zum Beispiel, dass Clara, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgeht, sich beim Nägellackieren brennend für einen Brief interessiert, den sein Vater geschrieben hatte. Nun gut, hier spielt Richard Wagner vielleicht bewusst mit dem klischeebeladenen Bild, das man von Nutten hat. Und bricht es. Fast sehe ich ihn schmunzeln, wenn er seine Leser aufs Glatteis führt. Schließlich folgt man ihm, wenn er seine Figuren auf dem Schachbrett herumschiebt. Von schwarz nach weiß oder umgekehrt.
Das Schwarz-Weiß-Bild drängt sich immer dann auf, wenn der Romanheld Werner Zillich von seinen Beziehungen zu Frauen oder Nachbarn und Verwandten (auch vornehmlich der weibliche Teil) berichtet. Das sind fast ohne Ausnahme Zicken, neidische und missgünstige Weiber, deren Beschreibung oft nach hinten losgeht. Das gilt selbst für die Frau am Lenkrad eines zufällig vorbeifahrenden Autos: „Ich sehe die Fahrerin, ein wütendes Frauengesicht, sie hält den Zeigefinger hoch, warum auch immer.“
Was dem Roman am meisten fehlt, sind ironisch parodistische Elemente, die souveräne Distanz schaffen. Das wichtigste eingesetzte Stilmittel ist die trocken nüchterne Erzählweise, die es unbedingt vermeiden möchte, in den Courths-Mahler Kitsch zu verfallen, den Zillich als Quelle der Lebensweisheiten seiner Mutter gleich auf der ersten Seite outet: „Meine Mutter hat die halbe ‚Gartenlaube‘ gelesen. Eugenie Marlitt. Nataly von Eschtruth und Hedwig Courths-Mahler dazu.“
Dennoch gibt es Ansätze, vor allem im ersten Drittel des Romans, wo der Stil aufgelockert mit Witz und Humor richtiges Lesevergnügen bereitet und an Kästner oder Joachim Fernau erinnert: „Der Pferdehandel ist damit erledigt, und es kommt der große Krieg. Er kommt für John rechtzeitig, um den Pferdehandelbankrott zu vergessen. Der Kaiser ruft die Männer zu den Waffen. ‚An meine Völker‘, sagt der Kaiser. ... Der Serb ist frech geworden, der Russe, der Franzose, der Engländer und dann auch noch der Italiener. So geht das nicht weiter. Meint der Kaiser, und die Männer in den Wirtshäusern meinen es auch.“
Nach einigem Nachdenken kommt man zu dem Schluss, dass Richard Wagner als Autor immer dann ironisch leicht die Feder führt, wenn das Erzählte weit genug zurück liegt, um mit seinem Leben nicht unmittelbar verbunden zu sein. Wie in diesem Zitat spürbar: „Niemand, der zurückkommt (aus Amerika - A.d.A.) hat eine Erklärung dafür. Die Erklärung haben die anderen. Die haben es zu nichts gebracht, sagen die anderen. Jene, die es auch zu nichts gebracht haben. Aber daheim. Die gar nicht erst losgezogen sind. Die sich die Mühe gespart haben. Man kann das Scheitern auch billiger haben als mit einer Amerikareise.“
Sobald die Geschehnisse in Zillichs Leben hineinreichen, steht auch Richard Wagner selbst mitten drin. Hat keinen souveränen Blick mehr darauf von außen.
Trotz der genannten Schwächen ist dieses Buch lesenswert und zu einer kurzweiligen Lektüre empfohlen.
© 30.08.2005 Dorothea Gilde
Richard Wagner
geboren 1952 im rumänischen Banat, zunächst tätig als Deutschlehrer und Journalist.
Nach Arbeitsverbot verließ er Rumänien 1987 und lebt heute in Berlin. |
Richard Wagner
Habseligkeiten
Roman
Berlin: Aufbau-Verlag 2004
Der leere Himmel
Reise in das Innere des Balkan
Berlin: Aufbau-Verlag 2003
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Berlin: Aufbau-Verlag 2001
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