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Klagenfurt ist ein Gesellschaftsspiel

Angelika Overath im Gespräch mit Dorothea Gilde
Angelika Overath wurde 1957 in Karlsruhe geboren und lebt in Tübingen. Studium der Germanistik und Geschichte in Tübingen. 1986 Promotion über Das andere Blau. Zur Poetik einer Farbe im modernen Gedicht. 2005 erschien ihr Roman Nahe Tage.
Rezension im Poetenladen
Kolumne zum Bachmannpreis


Dorothea Gilde: Frau Overath, Sie gehören zu den Preisträgern des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Herzlichen Glückwunsch. Was bedeutet der Ernst-Willner-Preis für Sie?

Angelika Overath: Natürlich freue ich mich, daß ich einen Preis bekommen habe, und daß es gerade der Preis der deutschsprachigen Verlage ist, ist mir eine schöne Verpflichtung.

D. Gilde: Sie sind bereits eine erfolgreiche Autorin. Dabei denke ich nicht an Verkaufszahlen, sondern an die Themen und ihre literarische Umsetzung in Ihren Romanen. Während ich von Kathrin Passig vorher nie gehört hatte, waren Sie mir ein Begriff. Warum haben Sie sich für Klagenfurt beworben? Welches waren Ihre Beweggründe? Geht es dabei nur um Teilnahme oder strebt man auf jeden Fall den Preis an?

A. Overath: Ich habe mich nicht beworben. Ich bin von der Jurorin Ursula März angerufen worden. Und da ich Ursula März als Kritikerin schätze, habe ich zugesagt. Spontan habe ich gesagt, ich sei zu alt. Aber sie hat geantwortet, es machten noch ältere Autoren mit. Und so war es ja auch. Ich dachte, auch wenn ich keinen Preis gewinne, bekommen meine Bücher doch ein wenig Aufmerksamkeit. Die Teilnahme in Klagenfurt ist eine kostenlose Werbung für den Verlag.

D. Gilde: Wie kommt man zu einer Einladung nach Klagenfurt? Welches Prozedere geht voraus und wie schwer ist es, überhaupt in die Liste der Auswahltexte aufgenommen zu werden? Welche Rolle spielen Beziehungen zu Verlagen oder Kritikern?

A. Overath: Wie gesagt, das weiß ich nicht. Ich bin angerufen worden.

D. Gilde: Frau Overath, ich habe Sie während der Lesung Ihres Textes Das Aquarium beobachtet. Sie haben bestimmt schon viele Lesungen hinter sich. Dennoch schienen Sie sich im Scheinwerferlicht nicht wohl zu fühlen. Wie empfanden Sie die Lesung und die Diskussion danach?

A. Overath: Zu meiner großen Überraschung habe ich mich besser gefühlt als erwartet. Ich fand die Lesung gut und die Diskussion hinterher auch. Die Juroren haben mir nicht wehgetan. Aber damit muß man unbedingt rechnen, wenn man nach Klagenfurt geht. Das ist wie im Sport.

D. Gilde: Das Thema Ihres Textes fand ich sehr gut: Vor der Kulisse der geräuschvollen, ständig von Bewegung und Hektik erfüllten Flughafenhalle der Aquarist als Außenseiter, in seiner Welt erstarrt wie die Perle in einer Muschel. Ist dieser Text Teil eines neuen Romans?

A. Overath: Ja. Er soll im Herbst 2007 bei Wallstein erscheinen.

D. Gilde: Bei der anschließenden Diskussion der Jury gab es nicht nur Lob für Das Aquarium. Die Schilderungen der Reporterin wurden als mehrfach „déjà vu“ eingeordnet. Ich empfand sie auch nicht so spannend und neu. Dafür umso mehr die feinsinnigen Beschreibungen des Aquaristen, seiner Gesten und seiner Sicht auf die Dinge durch den Filter der Aquariumsscheiben. Wird die Kritik sich auf Ihren Text auswirken? Wie?

A. Overath: Ich nehme die Kritik sehr ernst. Natürlich ist es gefährlich, immer wieder mit dem Problem der Bilderflut anzukommen. Aber es ist ein Thema, eines der ältesten Themen der Moderne. Ich glaube, ich muß es radikaler schreiben als im Klagenfurttext. Aber ich brauche dazu einen längeren Atem, als ich ihn in Klagenfurt hatte. Und dann ist mir bei der Diskussion klar geworden, daß ich diese seltsame Liebesgeschichte unbedingt expliziter machen muß.

D. Gilde: Frau Overath, der Bachmannpreis-Wettbewerb ist der einzige, der öffentlich ausgetragen wird. Und doch gibt es viele Momente, von denen der Zuschauer ausgeschlossen bleibt. Wie ist es während der Tage der deutschen Literatur in Klagenfurt, nachdem die Scheinwerferlichter im Studio ausgehen? Geht man da zusammen trinken? Sind Kandidaten und Jury jeweils unter sich? Oder hat man Kontakt zu den Juroren? Ich schätze zum Beispiel Iris Radisch und Ursula März als Kritikerinnen sehr. Und als Mensch? Verraten Sie uns Ihre Eindrücke dazu.

A. Overath: Ich bin eher mit den anderen Autoren zusammengesessen. Das war schön. Klagenfurt ist ja nicht nur ein Wettbewerb der Autoren, es ist vor allem ein Wettbewerb der Juroren. Unsere Texte sind die hin- und hergeworfenen Bälle, mit denen sie brillieren oder eben nicht. Das ist das Spiel. Und uns war allen klar: so oder so, es gibt ein Leben, ein Schreiben nach Klagenfurt. Klagenfurt ist ein Gesellschaftsspiel, aber wenn es zu Ende gespielt ist, ist es auch schnell wieder vergessen.

D. Gilde: Bei der Preisverleihung kam es zeitweise zu sympathischem, wenn auch unprofessionellem Stimmzettelwirrwarr. Sie waren dabei im Mittelpunkt, gerade weil Sie kurioserweise mehr als dreimal vergessen wurden bei der Nennung der Namen. Im Gedächtnis blieb mir Herrn Corinos pointiertes Buchstabieren Ihres Namens. Wie empfanden Sie dieses kleine Slapsticktheater um Ihre Person?

A. Overath: Das fand ich witzig. Karl Corino war absolut komisch. Ich dachte, diese ganze Abstimmung wird quälend ernst. Und dann haben alle gelacht, und das Publikum hat Overath gerufen wie beim Fußball.

D. Gilde: Kathrin Passig hat gleich zwei Preise mitgenommen. Den Bachmannpreis und den Publikumspreis. Hat Sie das überrascht? Konnten Sie die Begeisterung der Jury teilen oder zumindest nachvollziehen? Wenn nicht, haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Text einer Sachbuchautorin so viel breiten Anklang bei Jury und Publikum finden konnte?

A. Overath: Kathrin Passig hat den Preis zu Recht bekommen, gerade weil sich die Jury getäuscht hat. Ihre Geschichte ist eben keine „existentielle“ Literatur. Passig hat Klagenfurt mit ihrer Firma analysiert und eine direkt auf Klagenfurt zielende strategische Prosaminiatur geschrieben. Insofern ist ihr Text tatsächlich ein Sachbuchtext. Es geht um Klagenfurt. Es ist ein synthetischer Text, der Literatur durch Design unterläuft. Sie hat eine Klagenfurt-Kritik als Werbetext verfaßt. Das ist schon sehr gut. Wir kennen das Phänomen ja aus der Malerei. Auch Andy Warhol etwa hat den Markt unmittelbar in seine Kunst hineingeholt. Es kann sein, daß da eine ganz andere Autorengeneration die Bühne betritt. Ob ich das sympathisch finde, ist ja wieder ein andere Frage. Jedenfalls fasziniert mich diese Intelligenz.

D. Gilde: Arno Geiger, der den Deutschen Buchpreis 2005 erhielt, ging bei seiner Bachmannpreis-Teilnahme 2004 leer aus. In diesem Jahr war es Clemens Meyer. Ist das symptomatisch und spricht es eigentlich nicht gegen den Preis, von dem Frau Radisch meinte, er sei in seinem 30. Jahr endlich erwachsen geworden?

A. Overath: Auch ich finde, daß Clemens Meyer einen Preis verdient hätte. Aber jeder, der auch nur rudimentäre Erfahrungen mit Juryabstimmungen hat, wird sich nicht wundern. Bei neun Juroren, die ja alle auch Strategen sind, sind Abstimmungen nie „gerecht“ und vor allem nicht bis ins letzte kalkulierbar.

D. Gilde: Frau Overath, Sie haben nun die Erfahrung einer Teilnahme in Klagenfurt gemacht. Was würden Sie jungen Autoren und Autorinnen raten, die beim Literaturwettbewerb teilnehmen möchten. Haben Sie eine Warnung oder eine Empfehlung?

A. Overath: Selbst der beste Autor kann mit dem besten Text in Klagenfurt untergehen. Problemlos. W.G. Sebald ging preislos davon, Durs Grünbein fiel durch. Und andere wurden prämiert, und man hat nie mehr etwas von ihnen gehört. Klagenfurt ist ein Gesellschaftsspiel mit vielen Unbekannten. Wer Angst vor Verletzungen hat, sollte auf gar keinen Fall hingehen. Klagenfurt muß man sportlich nehmen. Und man sollte nicht vergessen, daß man als Autor zu den Autoren gehört, und sich mit ihnen zusammentun. Dann kann es wirklich gute Momente geben. Und der See ist wunderbar und die Kärntner Küche auch.

D. Gilde: Frau Overath, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch und werde eine der Ersten sein, die Ihr neues Buch liest.

Dorothea Gilde           29.06.2006

Dorothea Gilde
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