Erwachsen werden ist wie nach Australien fahren
Kristof Magnusson – Zuhause. Roman
Reisender, kommst du nach Island – ist man versucht, ein bekanntes Zitat abzuwandeln, wenn man das Buch von Kristof Magnusson aus der Hand gelegt hat. Doch wann kommt man schon nach Island? Alle drängen in den Süden und die, die es nach Reykjavik verschlägt, sind vom Schicksal geschlagen. Zumindest in seinem Roman Zuhause. Oder doch nicht so ganz? Immerhin gibt es auch jene, die dort geboren sind und die wiederkehren, nachdem sie festgestellt haben, dass Island außerhalb seiner atlantikumspülten Küste gleichgesetzt wird mit Björk und Geysir.
Lárus, der als Kind mit seinem Vater nach Hamburg zog, kehrt später als Vogel-Dokumentarfilmer nach Reykjavik zurück. Mit seinen Freunden Milan, Matilda und Svend möchte er Weihnachten feiern. Es kommt aber anders als geplant. Matilda hat ihre Beziehung zu Svend beendet, und Lárus selbst wartet vergeblich am Flughafen auf Milan, der ihn verlassen hat. Die beiden Einsamen ertränken ihren Liebeskummer in viel Gin, und der schwule Lárus betreibt Krisenbewältigung nach dem Muster Vergessen durch Schreiben. Seine auf Buspläne gekritzelten Kummerbriefe schickt er an eine obskure „Gesellschaft für Liebeskranke“ nach Zürich. Im zweiten Teil des Romans nimmt die Geschichte eine überraschende Wendung hin zu einem Fast-Krimi, was aber den bis dahin humorig-leichten Ton überfordert.
„Erst der schwarze Nordatlantik, dann schwarze Steinbrocken, eine schmale Rasenspur, die vierspurige schwarze Sæbraut, auf der der Berufsverkehr aus der Innenstadt von Reykjavik in die Trabantenstädte floss.“ Viel schwarze Tusche wird gleich zu Anfang verschwendet, um den heimlichen Hauptdarsteller, Reykjavik, zu konturieren. Wie durch eine Lupe, die man auf den beleuchteten Globus hält, werden die Umrisse Seite für Seite schärfer: Lavagestein, Tunnel wie auch Grasbewuchs schälen sich aus der schemenhaften, unbewohnten Dunkelheit. Einige Seiten weiter entpuppen sich die aus den Häuserwänden herauswachsenden Geschwüre als Weihnachtsbäume, die man kurzerhand über den Schaufenstern festgenagelt hat, weil die Bürgersteige zu eng sind für die in Adventsstimmung flanierenden Menschen.
Das ist in Reykjavik nicht anders als bei uns. Und doch sagt einer, den es dorthin verschlagen hat: „irgendwie seid ihr alle Elfen. Verrückte Elfen in einem verrückten Land.“ Er könnte Recht haben angesichts ungeahnter Folgen, die Zungenküsse auslösen können. „Wenig später beobachtete ich diese Praktikantin bei dem ersten Zungenkuss, den ich in meinem Leben sah, und kurz danach wurde der Walfang verboten.“ Pointen wie diese sind die Würze des Romans. Durch ihr Überraschungsmoment bringen sie den Leser zum Lachen und stehen gut geschriebenen Dialogen gegenüber, was eine kurzweilige Lektüre garantiert.
Und dies, obwohl man auf etlichen Seiten Songzitaten ebensowenig ausweichen kann wie bei Susanne Heinrich. Wenn ein Ei nach einem Song von Múm genau richtig ist, braucht man keine Eieruhr. Und Kartoffeln, die gar sind, wenn in einer „Rheingold-Aufnahme die Rheintöchter sangen: O komm, Lieblicher“, bringen vielleicht manchen auf die Idee, in der eigenen CD-Sammlung danach zu suchen, weil auch die Überlegung zutrifft, „da ich jedoch selten Kartoffeln kochte, hörte ich selten Wagner“. Vögel werden passagenweise beschrieben, und auch hier greift der Humor, der ein Abrutschen in den Kitsch – wie etwa bei Sabine Schiffner – verhindert.
„Meine Matilda war auf dem Weg, eine einsame Gestalt aus einem Film von Aki Kaurismäki zu werden“, sagt Lárus und meint damit den für Kaurismäki typischen Mix aus Melancholie und Rock, Lakonie genannt. Lakonisch trifft genau den Grundton des Romans, der während der Tage der deutschen Literatur 2005 in Klagenfurt von einer zu Recht überwiegend positiven Resonanz im Vorfeld seines Erscheinens profitierte. Kurioserweise liegt die Schwäche des Buches in der Reife und im Witz einer Sprache, die sich windet, das Repertoire jugendlichen Szenelebens inklusive Schlägereien, abenteuerlichen Autofahrten und sonstigen Befindlichkeiten von Mittzwanzigern zu transportieren, denen immer noch Kükenflaum im Gefieder hängt: „Erwachsen werden war wie nach Australien fahren. Wir hatten uns auf Australien gefreut.“ Vielleicht im nächsten Buch?
Kristof Magnusson
Zuhause
Roman
München: Antje Kunstmann 2005
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Kristof Magnusson wurde 1976 in Hamburg geboren, machte eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, arbeitete in der Obdachlosenhilfe in New York, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und der Universität Reykjavik. Seine Komödien Der totale Kick und Männerhort wurden in Berlin, Dresden, Köln und Bonn mit Erfolg aufgeführt. Kristof Magnusson lebt in Berlin und Langenthal (CH). Zuhause ist sein erster Roman.
© 15.01.2006 Dorothea Gilde
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Dorothea Gilde
Interview
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