Ein Liliputaner in Gullivers Schuhen
Jens Petersen: Die Haushälterin. Roman
Als die Longlist Deutscher Buchpreis 2005 veröffentlicht wurde, fiel neben bekannten Namen auch ein noch Unbekannter auf: Jens Petersen. Der Titel seines ersten Buchs Die Haushälterin lässt den voyeuristisch motivierten Leser zumindest eine „Ménage à trois“ vermuten und macht neugierig. Gleich auf der ersten Seite wird ein Vater-Sohn-Konflikt angedeutet: Vielleicht hatte ich damals ein falsches Bild von meinem Vater, aber als ich begann, genauer darüber nachzudenken, war es für uns beide zu spät.
Man liest weiter von Antiquitäten und Budapester Schuhen, die älter sind als Philipp, der Erzähler der Geschichte. Und der ist immerhin sechzehn. Ein Umstand übrigens, dessen man im Verlauf der Lektüre immer dann mit Verwunderung gegenwärtig wird, wenn anstatt Abenteuern und pubertärer Rebellion kreuzbraves Hantieren an Herd und Schrank geboten wird: Ich ging in die Küche, schrubbte pelzige Reste von den Tellern und räumte einen Teil des Geschirrs in die Spülmaschine. Einmal räumte ich Unterwäsche in den Schrank. Philipp trauert seiner verstorbenen Mutter nach, während der Vater den Verlustschmerz in Alkohol ertränkt. Als dieser die Kellertreppe hinunterstürzt, bringt Philipp ihn ins Krankenhaus und sucht in den folgenden Tagen per Anzeige eine Haushälterin. Die jüngste und hübscheste aus allen Bewerberinnen wählt er aus, verliebt sich in sie und steht dann doch blutleer daneben, als der Vater, aus dem Krankenhaus zurück, selbst Interesse an der jungen Ada zeigt.
Als Jugendbuch wäre gegen Jens Petersens Debüt nichts einzuwenden. Da würde es vermutlich auch keinen stören, wenn Rhododendren, anstatt bis Juni, im August ihren Duft durch offene Fenster in aufgeräumte Wohnzimmer strömen lassen. Als Roman aber ist es weder vielschichtig noch spannend oder humorvoll, wie von verschiedenen Seiten behauptet. Zwar erzählt Petersen von den Nöten eines Sechzehnjährigen, nur verpufft der anfangs angedeutete Konflikt dann schnell in der biederen Atmosphäre zwischen intarsienbelegter Servante und Poudreuse, in der ein Jugendlicher, anstatt sich abzunabeln, artig Konversation treibt: Ich setzte mich zu ihr und sagte etwas über das Wetter, oder unaufgefordert den Imperativen aus früheren Kindertagen nachkommt: „Ich putz mir die Zähne“, sagte ich und ließ sie im Wohnzimmer allein.
Ein Gähnen ist nur schwer zu unterdrücken, wenn durch abusiven Gebrauch des Diminutivs ein zu niedliches Bild gezeichnet wird: Töpfchen, Würstchen, Brötchen, Näschen und Beinchen lassen den Leser als Gulliver im Lande Liliputs umherirren. Ich sah ihnen zu, hinter den Gardinen versteckt, damit sie sich nicht fühlten wie Störenfriede. Manchmal saßen um diese Zeit Paare in den Booten. Ich wollte niemanden stören. Diese Beobachtungen des rücksichtsvollen Jungen rücken den Text in die Nähe von Pfadfinders heiler Welt. Für ein Jugendbuch pädagogisch vielleicht sinnvoll, als Absicht des Autors aber im besten Sinne anzuzweifeln. In diesem allgemein braven Kontext staunt man denn auch nicht schlecht, wenn Philipp in einem Anfall von fast verwegenem Mut ein Brotmesser aus der Küche holt und in seinem Zimmer den Klebstoff sucht, um Adas Schuhe zu „präparieren“, indem er die Absätze abschneidet und sie wieder an die Sohlen klebt.
Psychologische Authentizität scheint ab und zu auf, nur eben zu dünn gestreut: Wir standen um vier Uhr morgens im dunklen Flur, in unseren Pyjamas; ich dachte an seine nackten Füße, an sein Brusthaar oben am Kragen, und plötzlich war er nicht mehr mein Vater, sondern ein Fremder, und ich wollte weg, zurück in mein Zimmer, durchs Fenster nach draußen und über den Zaun. Wenn in der heruntergekommenen Villa, die sein Großvater gebaut hatte, Philipps Vater „lediglich die Hundeklappe zur Terrasse“ als sein Werk reklamieren kann, „ein rot lackiertes Blechquadrat mit gummierten Rändern, dessen Scharniere im Wind quietschten“, so kann man dies als Metapher für Jens Petersens Buch sehen, das sich als Roman verstehen möchte und es letztlich doch nur zur „Hundeklappe“, sprich handfester Jungendliteratur, schafft.
Quietschen aber tut es allemal, dafür sorgt schon der auf der Buchmesse 2005 verliehene aspekte-Literaturpreis.
Jens Petersen wurde 1976 in Pinneberg geboren und lebt in München. Erzählungen von ihm sind in Anthologien erschienen. Für Die Haushälterin – sein erstes Buch – erhielt er 2003 ein Literaturstipendium der Stadt München.
Jens Petersen
Die Haushälterin
Roman
München: DVA 2005
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© 1.11.2005 Dorothea Gilde
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Dorothea Gilde
Interview
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