Malewitsch oder Das Schwarze Quadrat
Thomas Lang – Am Seil
Was hat das Schwarze Quadrat von Malewitsch, dem russischen Maler und Theoretiker des Suprematismus, mit dem Thema des Vater-Sohn Konflikts in Thomas Langs Roman Am Seil zu tun? Der grundsolide Realist würde sagen, nun, nicht mehr oder weniger, als dass Thomas Lang selbst den Maler zitiert. Stimmt: „Nie wird mein Quadrat Matratze für eine Liebesnacht sein.“
Der heiter Gelassene aber wird einwerfen, dass der Autor es uns schwarz auf weiß gibt, durch Wortmalerei eben. Und der philosophierende Pessimist stellt fest, dass sich im Buch zwei Gestalten aneinander aufreiben, eine schwarze, die sich aus der weißen lösen möchte. Wenn man die beiden Quadrate lange genug anstarrt, beginnen sie zu flimmern, eine Eigendynamik zu entwickeln und erinnern dann an jene Bücher, die man Das magische Auge nannte, Illusionsbilder.
Thomas Langs Buch gehört zu einem Themenkreis, mit dem sich mehrere literarische Neuerscheinungen der letzten Zeit beschäftigen: die Unmöglichkeit der Kommunikation und daraus resultierende Generationskonflikte, die über den Tod hinaus getragen werden. Nur die besten seien hier erwähnt. Attila Bartis zum Beispiel, dessen Roman Die Ruhe ganz oben in der Bestenliste rangierte, lässt schon auf der ersten Seite die Mutter begraben. Auch Angelika Overath beschreibt eindringlich die eine und erste Nacht, die Johanna nach dem Tod der Mutter in deren Wohnung verbringt.
Thomas Lang schließlich zäumt den Erzählstrang unfreiwillig von hinten auf. Bei ihm steht der mögliche Tod am Ende. Das letzte Kapitel war nach seinen Aussagen als Kurzgeschichte gedacht und als solche für den Klagenfurter Literaturwettbewerb entstanden. Erst nach dem Erfolg des preisgekrönten Textes schrieb Lang die Vorgeschichte dazu. Ein Roman in sechs Teilen ist das Ergebnis und es ist interessant, der Frage nachzugehen, ob man diese unübliche Entstehung dem Inhalt und Stil anmerkt. Dies umso mehr, als Lang auf der Vorschlagsliste für den Preis der Leipziger Buchmesse 2006 steht.
Der Inhalt ist so ungewöhnlich nicht. Bert, der Vater, ein alter kranker Mann im Pflegeheim, bekommt nach Jahren der Funkstille Besuch von Gert, dem Sohn, der beruflich wie privat vor einem Scherbenhaufen steht. Die beiden sind sich fremd, haben wenig zu sagen. Mühsam und widerwillig hangeln sie sich zuerst über Gesten und karge Worte aneinander vorbei, um sich dann gemeinsam und durch ein Seil verbunden, auf die Tennengalerie eines alten Bauernhofes zu quälen. Gesprächig sind die beiden kaum. Oft genug wird die Antwort auf eine knapp gestellte Frage im gleichen Stenostil gegeben, allerdings erst einige Seiten später. „Ich geh raus, sagt Gert.“ Eine Seite weiter: „I wo denn, du störst nicht.“ Zwei Seiten weiter: „Bist du sicher, dass ich nicht störe?“ Doch zwischen karg gestreuten Dialogen tut sich etwas, was den Leser überzeugt. Er befindet sich quasi als Zuschauer in einem Zwei-Personen-Stück. Während sich Vater und Sohn hartnäckig anschweigen, bekommt er mit, was in ihnen wie in einem Sauerteig gärt: der Selbstmordgedanke, das Einzige, was Bert und Gert wirklich verbindet.
Was die Frage nach der Homogenität von Inhalt und Stil bei Thomas Lang angeht, kann man gleich eine zweite nachschieben: wenn es die Dialoge nicht sind, was macht den Textwert dann aus? Die im Regiestil kursiv eingefügten, den Comics entlehnten onomatopoetischen Ausdrücke sind es gewiss auch nicht: Schluck, Batz, Wumms usw. Dennoch verzeiht man sie und hie und da selbst ein schiefes Bild, wenn es zum Beispiel anstatt der Schenkel die Beine sind, über denen die Hose spannt. Seitenweise lesen wir uns durch das Dickicht der feindseligen oder gleichgültigen, zuweilen auch wehleidigen Befindlichkeiten, die nur durch das Ticken einer Uhr im Raum getaktet werden. Und langsam reift die Erkenntnis, dass Thomas Lang uns nicht zufällig auf die Malewitsch-Spur gesetzt hat. Nach eigenen Worten des russischen Malers strebte dieser die Suprematie der reinen Empfindung an. Vom Ballast des Gegenständlichen wollte er die Kunst befreien, und erntete damals, in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts scharfe Kritik.
Wenig Worte und Handlung, dafür Ressentiments und Abrechnung auch bei Thomas Lang, dessen Figuren nichts anderes sind, als eine die invertierte Projektion der anderen. Nur ist uns das heute längst geläufig und wir erkennen in Bert und Gert jene Ohnmacht zum Handeln, die auch wir mit uns herumschleppen. Ob das Buch den Preis der Buchmesse erhalten wird, bleibt dahingestellt. Sein bisheriger Erfolg aber ist gerechtfertigt und das offene Ende des Romans lässt eine Deutung im Sinne des malewitschen Weißen Quadrats zu: die Auflösung der Spannungen im gemeinsamen Tod.
Thomas Lang, geboren 1967 in Nümbrecht (NRW), studierte Literatur in Frankfurt/Main. Seit 1997 lebt er als Autor in München. 2002 erschien der Roman Than, ausgezeichnet mit dem Bayerischen Staatsförderungspreis und dem Marburger Literaturpreis. 2005 erhielt Thomas Lang den Ingeborg-Bachmann-Preis.
© 15.02.2006 Dorothea Gilde
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Dorothea Gilde
Interview
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