Peter Stamm
An einem Tag wie diesem
Die Welt, wie sie immer gewesen war
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Peter Stamm
An einem Tag wie diesem
Roman
S. Fischer 2006
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Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2006 ist erschienen. Wie erwartet enthält sie Bekanntes und Neues. Zu den bekannten Büchern gehört Ilija Trojanows Der Weltensammler, preisgekrönt auf der Leipziger Buchmesse 2006. Auch Judith Kuckarts Kaiserstraße reiht sich zum zweiten Mal in die Vorschlagsliste ein. Neu hingegen ist Peter Stamms Roman An einem Tag wie diesem. Zumindest was das Erscheinungsdatum angeht. Der Klappentext allerdings hinterlässt schnell den Eindruck eines Déjà-vu. Stand nicht kürzlich in einer Neuerscheinung, dass die Faszination der Geschichten von ihrer Alltagstauglichkeit ausgehe? Weil angeblich jeder von uns sie so erleben oder leben kann?
Sollte dies als Kriterium ausreichen, Romane oder Erzählungen literarisch wertvoll zu machen? Sicher nicht. Wenn eine Lektüre aber Fragen aufwirft, ist dies dem Buch gutzuschreiben. So schlecht kann es nicht sein. Jedenfalls nicht An einem Tag wie diesem. Es blieb deshalb nicht aus, dass Peter Stamm dafür sowohl als vermeintliches Lob verpackte Kritik wie auch halbherzige Zustimmung erhielt. Der Autor sei „literarisch durchaus ambitioniert“, schreibt zum Beispiel Gustav Seibt (SZ) in der Art von Arbeitszeugnissen, in denen nie etwas explizit Negatives steht. Dafür hat Oliver Pfohlmann (TZ) den Roman „gern“ und „atemlos“ gelesen, was wiederum nichts über dessen literarische Qualitäten aussagt. Spannung bis zur Atemlosigkeit attestiert man gerne auch Krimis oder Abenteuergeschichten.
So bleibt das Echo verschwommen und entspricht in etwa der Sprache und den Handlungen der Hauptfigur Andreas. Leidenschaftslos, desinteressiert und gefühlsarm geht dieser seit achtzehn Jahren durch die Pariser Straßen ohne anzukommen; als Lehrer in einer Vorortschule ein und aus, ohne sich zu etablieren; als Liebhaber durch die Betten der Frauen, ohne ernsthafte Narben auf der Seele. Er war zugleich Statist und Zuschauer eines Filmes ... Andreas ist weder Filou, noch Charmeur oder Draufgänger. Eigentlich ist ihm alles egal, selbst eine mögliche lebensbedrohliche Krankheit. Der einzige Motivationsschub lässt ihn rückwärts starten, in die Vergangenheit. Fabienne heißt die Illusion, der er hinterherläuft. Sie ist seine Jugendliebe, nie verwirklicht, nur erträumt und ersehnt.
Lebendig wird Andreas bei seinen wiederholten Fluchten in eine vom realen Leben abgekehrte Welt, in Fantasien und Spekulationen. Mal stellt er sich vor, auf dem Weg zur Arbeit von einem Bus überfahren zu werden, ein ander Mal in einem Krankenhaus Wochen und Monate zu verbringen oder er malt sich aus, wie fremde Menschen nach ihm in seiner Wohnung leben. Die Realitätsferne geht so weit, dass er, der Lehrer im besten Mannesalter, Gefallen findet an einer zu didaktischen Zwecken konstruierten Liebesgeschichte aus dem Unterrichtsmaterial.
Wenn Andreas Mitreisende betrachtet, die es offensichtlich in allen Zügen gibt, egal ob in Paris oder einer deutschen Kleinstadt – das verliebte Paar, ... Kinder, die miteinander tuschelten, alte Frauen mit müden Gesichtern, Geschäftsleute mit billigen Synthetikanzügen – dann sind seine Gedanken über die Vergänglichkeit des Daseins nicht neu, aber sie erreichen uns. Wer hat nicht schon dies Ziehen in der Brust verspürt bei der Vorstellung, dass in hundert Jahren die Sonne scheinen wird, Züge fahren und Kinder zur Schule gehen werden, als habe es uns nie gegeben.
Faustisches Thema freilich vom Augenblick, der verweilen soll, allerdings blutleer wie ein plattgefahrenes Tier am Straßenrand. Wie der Großteil an Gesten und Dialogen, die das Buch aus Mangel an literarischem Tiefgang zur Nachmittagslektüre beschränken. Flüssig zu lesen ist der Roman allemal, auch wenn er uns unbeteiligt lässt. Wie soll man auch mitleiden, wenn die Figur Andreas selbst nicht leiden mag. Es sei ihm egal, ... es war ihm egal, ... es ist ihm egal ... und schließlich ist es auch dem Leser egal.
Peter Stamm, geboren 1963, studierte nach einer kaufmännischen Lehre Anglistik, Psychologie und Psychopathologie. Längere Aufenthalte in Paris, New York, Berlin und London. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Winterthur. 1999 erschienen im Arche-Verlag die Kurzgeschichtensammlung Blitzeis, 2001 der Roman Ungefähre Landschaft und 2003 Erzählungen unter dem Titel In fremden Gärten.
Website von Peter Stamm
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Dorothea Gilde 22.08.2006
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Dorothea Gilde
Interview
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