Constantin Göttfert
Holzung
Ein Volk von beschwingten Apokalyptikern
Es gibt Bücher, heißt es, die gefährlich werden können, weil sie unseren inneren Schutzwall aufweichen, wie Hochwasser die porösen Dämme im Frühling. Über diese Bücher kann man nicht schreiben. Denkt man, und legt sie beiseite. Beeindruckt von den Visionen eines jungen Autors dachte ich das auch. Constantin Göttfert ist ein Apokalyptiker zwar, aber kein beschwingter, wie es von den Österreichern heißt. Holzung ist sein Debütband, nachdem schon vorher einige der Kurzgeschichten in diversen Zeitschriften oder Lokalzeitungen erschienen waren.
Die titelgebende Kurzprosa Holzung ist Göttferts Variante von Hänsel und Gretel. Ein modernes Märchen also? Weit gefehlt. Eine sozialkritische Annäherung an das Thema Erziehung? Keine Spur. Holzung ist der literarische Scheitelpunkt, der die Texte teilt: auf der einen Seite erlebte Realität, die zum Alptraum mutiert. Episoden aus einem nachvollziehbaren Alltag, in einer Sprache, deren Logik und Vernunft sich aufzulösen beginnt. Auf der anderen Seite die Umkehr, der Alp, surreal. Apokalyptische Visionen, die zur Realität eines Zermarterten werden. Keine Handlung mehr, die vom Leser als selbst Erlebbares wiedererkannt wird, sondern ihn vielmehr verstören kann.
Zur ersten Kategorie gehören die Geschichten, die einen Erzählstrang haben, wie Lena, Detroit oder Der brave Vernunftkopf. Warten, Gefühlsohnmacht, Nichtstun und vor allem Nichtstun können machen deren Inhalt größtenteils aus. Man hetzt von Satz zu Satz, möchte der Ohnmacht entfliehen. Wenigstens als Leser muss man das doch können, oder dürfen. Die Anspannung wächst. Man will endlich Zeuge einer Regung werden. Diese kommt manchmal am Ende. Endlich Tränen. Endlich Regen für die rissige Erde, der Göttfert in Detroit „den Wunsch nach Feuchtigkeit unüberhörbar“ andichtet.
Dann die anderen Texte, in denen Realität langsam, wie in Zeitlupe wegbröckelt, um dem wörtlich inkarnierten Gedanken zu weichen, der von gängiger Logik abdriftet, wie in Zwei: „Und endlich bewegt sich etwas, das Kauwerkzeug wird aus der Warteposition heraus manövriert, der Kiefer klappt nach unten und schon schlägt die Zunge Wellen, auf denen die Antwort schwimmen soll wie ein Surfer.“
Die surreal verzerrte Wahrnehmung reißt mehr und mehr die Sinne in den makroorganischen, halluzinatorischen Strudel mit hinein. Worte drehen sich in behaarten Ohren wie in einem Ausguss. Ein Mann zerreißt und bekommt ein Loch, in das man den Finger bohren kann, um das Herz heraus zu nehmen. Ein Gesicht zerrinnt, und am „Boden liegt der Mantel in Fetzen, die Farbe seiner Haare tropft darauf. K. drückt ihm die Augen aus und holt sie sich auf seine Hand. Er lacht dabei.“ Diese körperlichen Inszenierungen braucht der Autor, um auszudrücken, was sonst sprachlich undarstellbar ist.
In Schleifer versucht er noch, den Zwiespalt aufzulösen, indem er das Unsagbare in die sprechende Metapher vom Buch mit den weißen Seiten packt: „... wenn sie mir das Buch am Pult aufschlagt und ‚Da! Da!', sagt. Ich kann's nicht lesen: Alle Seiten sind weiß und leer und meine Finger gleiten darüber, blättern: vor und zurück und nichts – kein Buchstabe ist drauf.“ Die Differenz zwischen Form und Inhalt fällt auch in Der brave Vernunftkopf auf, wo das Reale noch dominiert, die Anspielung auf Ehe und Familie aber linkisch und unpassend erscheint und den Text mit „Garten und Tulpen, mit großen Hecken und kleinen Zwergen. Mit Kindern und Gemüse, mit Rasen und Sprengern“ schwächt.
In Knochendenker oder Zwei brechen Constantin Göttferts Texte endgültig ins Unvorstellbare auf und möchten es darstellen. Das Unsagbare will gesagt werden, doch wie soll das anders gehen als mittels Sprache? Ein Widerspruch, den der Autor spürt, und seine Unsicherheit mit einer Krücke abstützt. So ist die Hand zum Beispiel als Körperteil in fast jedem Text präsent. Sie agiert oft unabhängig vom restlichen Körper, als eigenständiges Lebewesen, als Spinnentier sogar, aber sie braucht in den meisten Fällen einen Gegenstand, der ihre Macht verlängert: einen Stein, ein Messer, einen Schraubstock, einen Topf, einen Nagel.
Hier treffen Autor und Leser aufeinander, denn die Erklärung darüber, warum man über dieses bizarre Buch nicht schreiben kann, geriet zu dessen Besprechung. Und wo steht Constantin Göttfert als Autor? Fast möchte man sagen, der Autor steht sich selbst im Wege, denn Holzung ist der literarisch gelungene Versuch, sich von sich selbst zu befreien, um endlich schreiben zu können.
Constantin Göttfert im Poetenladen
© 26.04.2006 Dorothea Gilde Print
|
Dorothea Gilde
Interview
|