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Ein Schrei hält Einzug im Kopf

Sabine Schiffner  –  Kindbettfieber. Roman

Sabine Schiffner - KindbettfieberNach dem alljährlichen Wettbewerb um den Bachmannpreis im Juni des Jahres sind mittlerweile die Bücher einzelner Teilnehmer erschienen, darunter Sabine Schiffners Roman Kindbettfieber, der den Jürgen-Ponto-Preis erhalten hat. Erzählt wird die Geschichte von vier Frauen einer alteingesessenen Bremer Familie. Jeweils 1911, 1941, 1963, 1981 leiden sie an einem Fieber, das ihnen verborgene Wünsche und Sehnsüchte entlockt, die ansonsten im bürgerlichen Alltag sublimiert würden. Auffallend sind die anachronistisch angelegten Kapitel, ein Prinzip, das uns durch Arno Geigers preisgekröntes Buch Es geht uns gut noch in Erinnerung ist. Die Ähnlichkeit der beiden Romane erschöpft sich aber in dieser Technik, die, wie mit Scheinwerfern, den zeitlichen Erzählrahmen absucht und nach dem Zufallsprinzip aufblendet. Dann treten einzelne Tage der Vergangenheit stellvertretend für eine ganze Epoche ins Licht.

Kindbettfieber löste in Klagenfurt Kommentare aus, die von Biedermeier und Spießertum bis zu Pusseligkeit und Idylle reichten. Vielleicht wurde auch nur übersehen, dass die Autorin eine eigene Lesart vorgibt: „Heißt du Kaspar, Melchior, Balthasar, Rippenbiest, Schnürbein, dabei muss es heißen Rumpelstilzchen, denkt sie.“ Ist dies nicht ein richtungsweisender Satz, der das Lesen von Kindbettfieber erträglich macht? Als eine Art Märchen und Hermann-Löns-Verschnitt in einem, was uns schon nach den ersten drei Seiten irritiert. Da sitzt im Jahre 1911 die junge Hinrike auf ihrem Bett und betrachtet, ein Liedchen vor sich hin summend, eine vergilbte Fotografie, deren Motiv eine Landschaft mit Fluss an einem klaren Wintermorgen ist. Das Foto gibt Sabine Schiffner nun Anlass für einen ausschweifenden Exkurs in ornithologische Gefilde, wo man über gelb leuchtende Wintergoldhähnchen, Seidenschwänze, sibirische Gänse, Sing- und Zwergschwäne stolpert, aber nichts über Hinrike erfährt.

Das geht nun abwechselnd weiter. Mal in der Botanik, wo es wimmelt von Fuchs, Maus, Kranich, Gans und anderem Getier. Mal bei der Familie einer der vier Frauen, wo „hinter holländischen Gardinen, bei Lampenlicht und an einem liebevoll gedeckten Esszimmertisch mit Graubrot, Schwarzbrot, Gouda, Mettwurst, Heringsalat und einer sauren Gurke die Familie in dem frisch geweißten Esszimmer gespannt auf ihren Ernährer wartet“. Fast könnte man neidisch werden bei diesem Zuckerguss-Bild, wären da nicht die holländischen Gardinen. Ein Schelm, wer dabei nicht an schwedische denkt.

Dass die Sprache des Romans an Thomas Mann erinnere, ist ein Gerücht, dem getrost widersprochen werden kann. Blumig ausufernd, selbstverliebt, in den Vordergrund drängend, ist es eine Sprache, die den Inhalt seiltanzen, sein Gleichgewicht verlieren und in geballten Kitsch abstürzen lässt. Es sei denn, man folgt der Lesart des Märchens und hebelt Zeiten und Geschehen aus ihrer Verankerung im Hier und Jetzt. Dann wird alles möglich: dass Personen Namen tragen wie Sigune, Hinrike, Frauke oder Ansgard; die Sonne ins Zimmer hereinschaut, als wäre sie eine gütige Fee; der Geruch nach frisch gebrannten Kaffeebohnen in alle Häuser eintritt, als wäre er ein Wandergesell. Wem das noch nicht reicht, den wird der Satz überzeugen: „Für eine Frau wäre eine Verfehlung ein berechtigter Grund gewesen, in die Weser zu gehen, auch sie selber hätte so gehandelt.“ Wer würde da nicht an Mittelalter und Hexenverbrennungen denken anstatt ans zwanzigste Jahrhundert, in dem kindbettgefiebert wird.

Spätestens wenn es an einer Stelle heißt, „der Schrei der Mutter hält Einzug in Friedas Kopf“, stellt sich die Frage: Und im Kopf des Lesers? Nun, da verstummt vielleicht ein Schrei, weil er durch unfreiwillig-märchenhafte, ungebrochene Kleinstadtidylle geschleift und am Ende so sediert wird, „bis eine Ruhe eintritt, dann wird die letzte Maus eingefangen, die mag schon nicht mehr fliehen, duckt sich in eine Ecke“.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Sabine Schiffner
Kindbettfieber
Roman
Frankfurt: S.Fischer 2005

Sabine Schiffner wurde 1965 in Bremen geboren und lebt in Köln. Studium der Theaterwissenschaften, Germanistik und Psychologie in Köln. Sie erhielt unter anderem das Bremer Literaturstipendium 2002, den Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz 2004 und das Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf 2004.

© 28.11.2005  Dorothea Gilde            

Dorothea Gilde
Interview