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Elfriede Czurda
Krankhafte Lichtung

Sprachvirtuose Genderpolitik

Elfriede Czurda | Krankhafte Lichtung
Elfriede Czurda
Krankhafte Lichtung
Verbrecher Verlag 2007
Nach Kurzgeschichten des ober-österreichischen Musikers Markus Binder editiert der Verbrecher Verlag Erzählungen der 1946 im ober-österreichischen Wels geborenen und nach Berlin-, Japan- und USA-Aufenthalten in Wien lebenden Sprachvirtuosin Elfriede Czurda.

In drei hochpoetischen, kammerspielartigen Prosaverdichtungen werden die geschlechtliche Überformung von Macht und stereotyp oktroyierter Rollenzuteilung dekonstruiert und wahnhafte Lieben behandelt. Weißer Geruch hängt über einer Kuppel aus Glas die sich spannt und bewegt im Wind und ein und ausatmet, unter der eine von schweren Verbrennungen gezeichnete Frau um ihr Bewusstsein und Überleben ringt. Politische Feuerherde, etwa des Justizpalastbrandes in Wien 1927 oder jener von Bagdad, und wiederkehrende – im Buch in Originaltönen eingewobene – Stimmen der Bombenopfer von Hiroshima bestürmen ihr Gedächtnis. In einem dramatischen, auch verwirrenden Wechselspiel aus Realitätsfetzen und Wahnphantasmen verantwortet sich die Protagonistin einerseits für politisch motivierte Anschläge und erinnert sich andererseits ermahnend an eine Verabredung und Rede in Amsterdam, in die schulische Diskriminierungserfahrungen einfließen.

Die lecke Rede begegnet dem lebens- und imaginativ dominanten, von Dichtung und Hass erfüllten Ehemann Hakn – er leiert herum zwischn wirklichm Abhebn und vorgeblichn irdischn Attraktionen – mit buchstäblicher Vokalauslassung, ehe Hannah all di. v.rschluckt.n . aus sich h.raus kotzt. Czurda zieht die Substantiva dekompositorisch entzwei, wie sich ihre Protagonistinnen zerrissen bis schizoide aufspaltend erleben. Interpunktionslose Sätze wechselt sie – je nach deren psychischer Befindlichkeit – mit arrhythmisch gesetzten, teils prädikatlosen Satzfragmenten, Worterfindungen mit Sprachzurechtrückungen. Drei weibliche Identitätsebenen werden in der dritten Erzählung in Richtung vermeintlicher Doppelgängerinnen aus-, dann ineinander geschoben: die Existenz der Künstlerin zwischen den komparativen Mühen des Alltags, Perfektionismus und (v)erdichteter Flucht ins Scheitern. Eine fabulierende wie herrschsüchtige Literaturkritikerin bejubelt mittels hohler Urteile und hartnäckiger Versprecher eine trivial dichtende Fabelhafte Anna, während es der angsterfüllten Anna Na nicht nur in diesen betriebssatirisch bissigen Passagen gruselt vor den Hyänen, die sich in den Leuten verstecken wie der Wolf im Schafspelz.

Die nicht zuletzt Gedichte und Hörspiele verfassende Autorin arbeitet mit der Sprache als Instrumentarium der Kritik derselben wie gegenüber sozialpolitischen Missständen und Diskriminierungsdiskursen. Das derart geöffnete und sezierte Vokabular komponiert Czurda zu neuem und offeriert insbesondere einer "gender consciousness" blickschärfende Sehweisen. Das Außergewöhnliche dieses schmalen und doch ergiebigen Bandes von in den 90ern entstandener Erzählungen liegt in der Präzision der Dechiffrierung hierarchischer Werthaltungen zwischen den Geschlechtern sowie der Opfer- und Täternarrative bei gleichzeitiger Repolitisierung der Unterschiede. Eine schwer zu erklimmende, dann aber sehr erhellende »Lichtung«.
Elfriede Czurda, geboren 1946 in Wels (Ö.), arbeitet seit 1974 als Schriftstellerin (Die Giftmörderinnen, Die Schläferin), wurde u.a. mit dem Hörspielpreis des ORF und dem oberösterreichischen Landeskulturpreis für Literatur ausgezeichnet, ist seit 1996 als Writer in residence und Universitätsdozentin in Japan und den USA tätig und lebt seit 2007 in Wien.
Die Autorin beim Verbrecher Verlag (Textprobe)

Roland Steiner   24.03.2008

Roland Steiner
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