|
|
Yorck Kronenberg
Ex voto
Gefangen im Nirgendwo der Freiheit
Kritik |
|
|
|
Yorck Kronenberg
Ex voto
Droschl 2011
188 Seiten, 19,- Euro
|
Man könnte Kronenbergs zweiten Roman als eine medien- und NGO-kritisch milde Version von Kathrin Rögglas literarischen Bemühungen lesen, doch täte man der Parabel rund um das Gefangensein in Sozialisation und Geschichte unrecht. Denn erstens haben wir hier den (gespaltenen) Protagonisten, der in Rögglas Prosa und Dramatik bewusst fehlt, und zweitens fokussiert der Roman stärker auf die Analyse des autonomen Subjekts.
In der Steppe einer Grenzregion, die im archaischen Mittelosten oder in Zentralasien liegen könnte, wird der deutsche NGO-Humanitätsarzt Robert Sieburg narkotisiert und entführt, seine beiden Begleiter verschwinden, die medizinische Ausrüstung samt Auto verbrennt. Die Entführer, ein vermutlich auch mit Bomben bewaffneter Trupp aus 40 Männern und Frauen, verschleppen ihn über steile Gebirgswege und dichte Wälder hoch zu einem kleinen Dorf, das sie okkupieren. Hier war, wie der Philanthrop über eine mitfühlende Dorfbewohnerin erfährt, bereits ein anderer Gefangener, ein spanischer Geschäftsmann, trotz Lösegeldzahlung erst weiterverkauft und dann ermordet worden. Auch jener musste seine Gedanken, Erinnerungen und Beobachtungen protokollieren. Harry, Sieburgs zwielichtiger Übersetzer, agiert aus einer hoch respektierten Rolle aus, mit seiner Tochter Samira hat er nicht unweit von Sieburgs Heimatdorf gelebt und spricht daher beide Sprachen. Als Grund für die Protokolle, die von einem Trupp-Priester okkulten Glaubens gedeutet werden sollen, gibt er an, dass durch den Gefangenen die Wahrheit käme. Der emotionale Grund hingegen, warum der ungefesselte Arzt nicht flieht, resultiert – wie der Autor in einem leicht kitschigen, etwas unnötigen Schlenker dramatisiert – aus der Attraktion der jungen Samira, die mit Sieburg in dessen Land rückkehren will. Seine verängstigte Frau Lisa dagegen darf er nur selten via Satellitentelefon sprechen und bisweilen wird er gefilmt. Erfahren also westliche TV-Zuseher etwas über jenes ferne Land, das der Medienöffentlichkeit in Ermangelung von Nachrichtenfaktoren egal ist, und das mystisch-gewaltige Treiben, so erhält der Trupp über Sieburgs Reminiszenzen seiner Kindheit, Jugend und seiner Beziehung Einblick in westliche Lebensstile. Der Vater des Entführten arbeitete als Psychiater, seine Mutter wurde statt Tänzerin leidende Alkoholikerin, die beider Unfalltod verursachte, welcher Robert mehr als seine Schwester traumatisierte. Nun, in schier undurchdringlicher Natur, fiebert er und phantasiert jenen undurchdringlichen Nukleus psychischer Bosheiten namens Familie nochmals durch.
Kronenberg alterniert in seinem Roman die erste und dritte Erzählposition. Dieser die Zerrissenheit des Gefangenen – zwischen Subjekt und Objekt, malträtiertem Opfer und sympathisierendem Mittäter – demonstrierende Kniff erfordert eine präzise Lektüre, mischt sich doch auch durch den Übersetzer, der (pathetisch wie politisch) etwa die Biographie des Priesters referiert, eine weitere Erzählstimme ein. In Sieburgs Fieberretrospektiven leistet sich Kronenberg die einzigen Manierismen, ansonsten fräst eine klare und scharf konturierende Sprache durch das Ungewisse zwischen Fremde und Fremdwerden, Archaismus und Medienglobalisierung, Stille der Natur und Lärm der Gewalt. Denn die Nachhut wird bereits erwartet, im Süden des Bürgerkriegslandes, das vom „Großen Kommandanten“ regiert wird, gibt es Kämpfe durch uneinige Rebellen. Im Dorf kommt es zu Friktionen zwischen Bewohnern und Besatzern, ein junger Einheimischer schießt auf Robert, den der Truppenarzt operiert und rettet. Kurzfristig verschwindet der aus Petschu, der Ruinenstadt der Rebellen, stammende, Feuer- und Tanzriten durchführende Priester. Schließlich verlässt die aus Ordensleuten bestehende Bande mitsamt deren unantastbarem, schweigendem Anführer mit Sieburg das Dorf, welches den Gefangenen bereits für den Begleiter des Befehlshabers hält. Sieburg sucht nun, ob der Schießerei sich schuldig fühlend, die Verständigung mit dem Trupp, der ihn auf einer Bahre transportiert; über seine Entführung hält er eine erste Rede in die Kamera. Hernach müssen sie in einen Wald fliehen, da ein Hubschrauber der Regierungstruppen sie verfolgt; der Gefangenenaustausch mit dem Priester wird jedoch abgelehnt.
Es sind dann Szenen und Andeutungen wie diese, welche die Verwirrtheit des Gefangenen auf den Leser überträgt: Eindeutige Antworten auf Fragen der Schuld gibt Kronenberg nicht. Auch liefert er keine Chronologie oder gar Motivik der Gewaltspirale. Osten böse, Westen gut – diese billigen Stereotype werden hier nicht abgespielt, der Protagonist oszilliert denn auch in Grau wie im Grauen. Robert kleidet sich fortan wie seine Wächter, jagt mit ihnen, isst wie sie und versucht sich gar an deren Liedern. Anstatt das Stockholm-Syndrom für sein Verhalten zu reklamieren, reflektiert er – auch via Kamera, dem Zerrauge der Medienrealität – aus seiner Biographie: Sein anerzogenes Misstrauen gegenüber der Welt und sein quasi sühnender Hass auf die Eltern, die den Jugendlichen nach einem psychotischen Anfall erst in psychiatrische Behandlung und dann in eine eigene Wohnung abgaben, führten ihn ins Land. So misstraut er auch den Fremden, die zum Trupp gestoßen ihm die Freiheit anbieten, glaubt ebenfalls weiterverkauft zu werden, doch in Wahrheit hat er sich schon zu sehr mit dem vermeintlich ziellosen Trupp identifiziert. Und so berichtet ihm auch Lisa, dass er laut den redaktionell manipulierten TV-Aufnahmen nun als Anführer gilt. In einem dramatischen Szenereigen zu Ende des Buchs werden der Priester als auch Sieburgs Vater identifikatorisch aneinandergereiht. Die Frage der Freiheit wird offen gelassen. Kronenbergs Epilog sieht Jahre später den Arzt in vermeintlicher Freiheit – ehe die zweite Stimme ihn als Gefangenen führt.
Yorck Kronenberg gelingt mit seiner personifizierten Votivgabe Ex voto eine Grenzen sprengende düstere Machtparabel zwischen individueller, bipolarer, sozialer und medialer Realität. Er dekliniert hierin die Stufen des Selbstverlusts und des Gefangenseins von der Kindheit bis zur Adoleszenz anhand den Autonomiebestrebungen eines mit humanitärer Philanthropie kaschierenden Arztes durch, dessen Psychogrammatik durch labile Sozialverbünde (Familie, Stamm) erst geprägt und dann zerrissen wurde. Das Misstrauen seines gespaltenen Protagonisten bleibt groß, das Vertrauen in den Autor Kronenberg dito.
Yorck Kronenberg, geboren 1973 in Reutlingen und in Berlin lebend, studierte Klavier und Komposition in Lübeck. Als Pianist gewann er 1998 den internationalen Klavierwettbewerb J. S. Bach in Saarbrücken und spielte CDs u.a. für Sony/BMG und Ars Medici ein. Seit seinem Debütroman Welt unter (2002) erschienen mehrere Anthologiebeiträge. Kronenberg nahm an der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin teil und war Stipendiat der Stiftung Niedersachsen und des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop sowie 2009 Stadtschreiber in Vöcklabruck/Ö.
|
|
|
Roland Steiner
Prosa
Lyrik
Gespräch
Portrait
|
|