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Nikolas Moret
Switch

Offenbarung ohne Verluste?
  Kritik
  Nikolas Moret
Switch
Roman
Weissbooks, Frankfurt am Main 2010
448 Seiten, 22,00 Euro


Glaubt man Nikolas Morets im Internet abrufbarem Berufsprofil, scheint es ihm nun gut zu gehen: Für 70 Euro die Stunde erteilt er in San Sebastián konzeptuelle Beratung von Firmen, denen er auch durch Krisen hilft. Seine eigene Krise im Jahr 2006 ist Gegenstand dieses Romans, der keiner ist; eines Debüts, das auf Spanisch geschrieben und doch in einem deutschen Verlag publiziert wurde.

Arcano, das Geheimnis, nennt Moret seinen erzählenden Alter Ego-Prota­gonisten, der nach Jahren als Berater in London und New York im März 2006 nach Buenos Aires zurückkehrt, wo er abwechselnd bei seinen Eltern und einem Adoptivbruder lebt. Seine eigene Familie, Frau Janet und die vier­jährige Tochter Daphne, hat er nach einem psychotischen, durch eine Synthetikdrogen-Hochdosis in Cordoba verursachten Anfall in London zurückgelassen. Von jenem Monat an reflek­tiert er über drei Romanteile, die mit „Oben“ (Manie), „Unten“ (Depression) und „Euthymie“ (Seelenruhe) betitelt sind, und insgesamt 620 Kapitel seine Tages­erleb­nisse, Eindrücke und Gedanken, Vergangen­heit und psychische Fragilität. Dass diese Insta­bilität, Arcanos Größenwahn und Ennui in Wechsel­wirkung mit seinem steten und gelegentlich exzessiven Ecstasy-, Marihuana- und Kokain­konsum steht, wird dem sonst klarsichtigen Egozentriker bis zum Krisen- und Buchende nicht bewusst.

Dabei wären alle Voraus­setzungen für ein Leben in Homöos­tase gegeben: Er wächst als deutsch-argentinischer Doppelstaatsbürger in einem liebevollen, wohlhabenden Elternhaus mit befruchtenden Geschwistern auf, wird in die Jeunesse dorée und Upper Class eingeführt, studiert in Oxford, geht anderthalb Jahre auf Weltreise und lernt in Paris die Galeristin Janet kennen, mit der er sich als Marke­ting­berater in London niederlässt. Doch bereits nach wenigen Jahren der Ehe schlägt ein inneres Pendel seiner Umwelt narzisstische Hybris und psychi­sche Gewalt entgegen. Liegt es daran, dass Drogen die Neuronen fressen und Marketing die Geisteskraft?

Nach dem psychotischen Schub nimmt er seine Therapie mit einer freudianischen Psychiaterin in Buenos Aires wieder auf, die er bisweilen fast täglich konsultiert. Dem Leser beschert dies eine ermüdende Zusammen­fas­sung seines psycho­diagnos­tischen Berichts, der genau jene vollmündigen Deskriptions­kaskaden enthält, die den alles andere als geheimnis­vollen Selbst­offenbarer mit über­lebens­notwendiger Wichtigkeit ummanteln. Hoch­assoziativ und elliptisch abschweifend, über weite Strecken mit nichtliterarischem Tage­buch­duktus referiert er seine Tage, die mit Poischwingen und Fußball, Rindergestüt- und Restaurant­besuchen, Partys und Vernissagen, Sitcom- und Drogen­konsum befüllt werden, um dem Ennui mangels Bodenhaftung zu entgehen. Die Angst vor Selbst- und Familien­verant­wortung, Lohn- und Bezie­hungs­arbeit federt die Psychiaterin ab, ein Cocktail aus Benzo­diazepinen, Neuroleptika und Antide­pressiva lässt den Bipolaren am Grad zwischen manischen und depressiven Phasen – dem titelgebenden Switch – stabilisieren. Freilich wird Arcano es seiner von ihm mit Schuld beladenen Frau verdanken, dass sie, die ihn eine Woche lang besucht und eine Co-Therapie absolviert, wieder den Weg zur Außerego-Realität weist. Auch sie kann nun, zumindest auf Deutsch, den Kampf ihres Mannes gegen und für sich selbst nachlesen und seiner postulierten Hoffnung vertrauen: „ich will mein Leben ohne die ständige Vor­stellung leben, dass es immer noch eine letzte Flucht­möglichkeit gibt.“

Die Hypertrophie der weinerlichen Schuld­projektion eines „Goldenen Kindes“ innert eines mit Romanlabel bestickten Therapietagebuchs ist das Eine, die offenbar wortwörtliche Über­setzung und mangelndes Lektorat das Andere, was an diesem ideell durchaus interes­santen Buch missfallen. Seine wie des Erzählers ständig wiederholte Grundbotschaft entsteht auch in der Rezeption des Lesers: „Ich weiß nicht.“ Ist dies bereits Literatur? Möge der Autor nun mehr wissen.

Nikolas Moret wurde 1973 in Buenos Aires als Sohn einer deutschen Mutter und eines argentinischen Vaters geboren, studierte in England und lebt heute in San Sebastián und Buenos Aires als Berater, Schrift­steller und Filmemacher. „Switch“ ist sein Buchdebüt.


Roland Steiner  06.01.2011   

 

 
Roland Steiner
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