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Johannes Weinberger

Das kleine Tao der Tiere

Angst im Rohrschachtest

Kritik
  Johannes Weinberger
Das kleine Tao der Tiere
Luftschacht 2009
144 Seiten | 16.50 €


Weinbergers jüngstes Werk legte dem Verlag wohl ein Etikettierungsrätsel auf: Welcher Gattung könnte man diese 50 Traum­sequenzen und Wirk­lichkeits­kader eines einzigen, weil ewig dauernden Tages zuordnen? Die Rezeption aber funktioniert auch ohne Label.

Der durch diese unfassbare Einheit erzählende „Held“ – eher ein frag­men­tiertes Ich als mehrere Protagonisten – ist ein vehement seine zuweilen schrullige Wirklichkeitsopposition auslebender, dabei äußerst per­zeptions­starker und blitz­gescheiter Welten­rand­gänger. Sich selbst gegenüber zu Sarkasmus und anderer Selbst­verletzung neigend und jedes Erd­partikel als seiend vorerst bestaunend, kommentiert er sich knappest durch die Registratur der Eindrücke und Emotionen, die ihn im kleinen Wohn- wie großen Welten­zimmer anfallen und motorisch wenig, sinnlich doch stark bewegen. Diese dann zu Situationen oder Tableaus gebündelten Zustände atmen bisweilen sinn­resistente Gewalt, enigmatische Verzweiflung oder latente Rücksichtslosigkeit. Dass die abgrund­offenen Prosa­miniaturen dennoch auch schmunzeln lassen, ist der Absurdität der Wirklichkeit und der Gabe des Autors zu verdanken, ihre feinnervigen Untergrundfäden hochpoetisch zu verknüpfen. In der Meister­schaft kleiner Formen arbeitet sich der 34-jährige Wiener – nach dem österreichischen Staatsstipendium 2008 jüngst mit einer weiteren Förderung ausgezeichnet – leise und bedächtig an die Spitze.

Weinberger ist in seiner eigenen Phäno­menologie ein alt­modischer Schrift­steller, der Wesen und Wirklichkeiten hinter dem Bewusst­sein ergründet, verzerrt und wieder entrückt, statt den Popanz vor der immer schön prekären Popkultur-AG-Tür zu überhöhen. In den fünfzig Da- und Irrseinsgeschichten von der „Erbsünde“ bis zur „Wieder­geburt“ wird anstelle jener Innensichten aus der doktrinären Ding(s)-ist-wichtig-Blase ein „ver­wirren­der, beängs­tigender und unver­geßlicher Traum“ durchgespielt. Offen und verletzlich, verachtend und verletzend, weil voll Furcht zu sein, ist hierin keine Schande, auch darf da mal die fremde und doch allzu eigene Mutter nieder­gestreckt, dem Vater das Genick gebrochen werden und der Wunsch eine tote Frau im Nebenbett sein. Denn „was man nicht beweisen kann, ist in jedem Fall wahr.“

Wahr ist vielmehr auch, dass Weinberger bewiesen hat, Prosa­miniaturen zu einem Roman modellieren zu können (Aus dem Beinahe-Nichts, 2007), Songs zu Hörspielen und Gedichte zu einer Erzählung. In der vorliegenden Sammlung psychopoetischer Petitessen obliegt es dem Leser, die Fixierung auf ein Genre pro Buch fallen zu lassen. Mathe­matische und physika­lische Erkenntnis­berichte gelten dem Genremixer gleich viel wie erotische Para­beln, mediale Legenden, Schul­aufsätze und Fabeln aus dem Gerichtssaal. Die Neben­darsteller in den manchmal nur halbseitenlangen Grotesken und Weltreduktionen sind entweder namenlos oder heißen Tao Schafhirt, Pia Brot oder Wehmut Babybrei, können 8000 oder acht Jahre alt sein. Als einzige Konstanten treten eine (zumeist seine) Frau, der er die Liebe verweigert, und sein Sohn, den er abgöttisch liebt, auf. Und die Tiere freilich: hellgrüne Kaninchen, vom Himmel regnende Rehkitze, genüsslich verspeiste Hornissen, unter Kinderlasten röchelnde Ponys, ein weltalltief enttäuschter Ozelot, „volks­schul­kinder­große Gelsen“, Froschmänner usw. Wie aus kleinformatig bunten Rorschachtestbildern blicken sie uns an, die wir ihnen vorschnell Namen geben und doch nur unsere Schmerzen meinen. Derer es in den auto­analytischen Stücken des „Tao“ viele gibt: Sei es im Mann, der am Fundamt nach einem leeren Kinderkörper sucht, „Ich will zu meinem Papa“ sagt und dann aufheult wie ein Wolf; sei es im Erzähler, der seiner Badewanne dankt, dass sie ihm die Gebärmutter ersetzt, und den Tabletten für ihre überzeugende Lüge, keine Angst haben zu müssen, oder sich für seine Eingeweiden entschuldigt. Immer wieder kehrt er durch die Tür der Unschuld in sein achtes Lebensjahr zurück, als es noch keine Nägel ans Fenster regnete und auf sich Liebende keine Zimmerdecken stürzten. Mal will er ein Wald, „das Haar der Welt“, sein, mal eine auslöschende Waffe. Und unter dem Kapitel „Erziehung“ vermerkt er: „In meinem Zimmer war ein Flüstern ohne Mund. Iß die Wirklichkeit ganz auf, flüsterte es mir ins Ohr. Ich habe keinen Hunger auf die Wirklichkeit, sagte ich.“ Schlussendlich wird er von ihr kosten …
Ist das Phantasmagorie, ein surrealer Trip oder Psychoanalyse?

Die „billige Geisterbahn der Wirklichkeit“ habe ihre Wirkung auf ihn verloren, bekundet der Erzähler mit einem milden Lächeln, aber „noch mehr als ich schon aufgewacht bin werde ich jetzt auch nicht mehr aufwachen.“ Dass Johannes Weinberger den Krisen der Realität nun mit analytischer Verve und metaphysischem Esprit gegenübertritt, gerät ihm gut, deren maßlose Plünderung wird er allerdings nicht anhalten können. Doch selten war den uns trennenden wie verbindenden Ängsten mit einem so tiefschürfenden Blick und in einer so poetisch flirrenden Visualisierung nachgespürt worden.
Johannes Weinberger, geboren 1975 in Niederösterreich, arbeitet als freischaffender Autor (Erzählung, Hörspiel, Lyrik, Prosa, Roman) und Sänger / Songwriter (Leeps Akam, Voyeur) in Wien. Zuletzt erschienen: Der Fluss / Sechs­und­dreissig­feld­zeichen (Literatur­edition Nieder­öster­reich, 2008), Aus dem Beinahe-Nichts (Luftschacht, 2007). Jüngste Auszeichnung: Öster­reichisches Staats­stipendium für Literatur 2008.
Der Autor beim Luftschacht Verlag
Kritik zu: Aus dem Beinahe-Nichts
Roland Steiner    03.11.2009   
Roland Steiner
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