Bereits zwei Monate nach ihrem Kreuzweg ähnlichen Beziehungsbeginn fühlt sich die groß gewachsene, schwarz gelockte Erzählerin „bis zur Unkenntlichkeit vernutzt“ und hofft dennoch, „dass er mich lebend nicht gehen lassen wird.“ Ivan erfüllt anfänglich ihr masochistisches Begehr über Gebühr: Haut-, Fleisch- und Gefäßrisse, ausgeschlagene Zähne, gebrochene Knochen, Verbrühungen und Brandmale sind das Resultat. Die ihm sich in dessen Kleinstadtrandhaus nahe eines Flusses ausliefernde Ich-Erzählerin kann erst siebzig Stunden lang nicht mehr schlafen, trinkt aus Pfützen, nickt dann für drei Stunden auf der bloßen Erde liegend ein und ergeht sich in der von Ivan als ihr Zuhause geschaffenen Schlammgrube in der Überlistung ihres Atemreizes und Weitung ihrer Augen. Sie – oder möglicherweise ihre psychisch stärkere Abspaltung – übersiedelt für kurze Dauer in ein kalkweiß reizarmes, fensterloses Zimmer im Haus und bleibt seiner Gewalt bedingungslos hörig. Dieses, im ersten Stock über gleich acht Schlafzimmer verfügende Haus allein lädt in der Textrezeption zu spekulativen Fantasien ein, Assoziationen zu ähnlichen Konstruktionen in Johannes Weinbergers Erzählung Hinter dem Sichtbaren, Robbe-Grillets Nouveau Roman oder gar Kafkas Schloss drängen sich auf. Eine Unmenge an Notizen auf Papier und Wänden scheint sich die Erzählerin zu machen, sie will Liebeslieder singen, die ihr verboten werden und fotografiert Ivans kalte Attacken. Falkner lässt an ihre Erzählstimme ein Gewirr an Gesprächspartikeln von nicht in die Tragödie eingreifenden, sich dafür in Mutmaßungen ergehenden Hausnachbarn prallen. Das Sozialgefüge ist ebenso wenig eines wie das Beziehungsgefüge mit Ivan ein ihr genehmes bleibt. Denn er verrät ihre – als solche bloß von ihr behauptete – Liebe, als er erst ein, schlussendlich drei Mädchen ihr zeugt. Die Schwanger- und Mutterschaft zeichnet Falkner mit immer drastischer werdenden Bildern, und nicht selten ist man geneigt, Vorstellungen über das Amstettener Familiendrama darüber zu loopen. Schön an der Schwangerschaft empfindet die sich als zu beherrschende Kreatur verstehende, damals noch minderjährige Erzählerin nur das Kotzen, der Geburtsvorgang sei unnatürlich und widerwärtig. Die erstgeborene Tochter Franziska bleibt ihr fremd und zugleich ein Ventil ihrer Verachtung für den sich immer stärker distanzierenden Ivan, der sich um Franziska kümmert. Ihre zwei Jahre später geborenen Zwillingstöchter Mathilda und Elisabeth – „Kinder haben nichts zu bedeuten“ – will sie bereits im Leib aushungern und wird darob im Krankenhaus zwangsernährt. Ihr Wunsch sie zu töten bleibt. Die auch psychisch eingekerkerte Einzelgängerin vegetiert emotional ausgedörrt fernab der Töchter, die mit Blumen aufwarten und erstaunt sind, überhaupt eine Mutter zu haben. Michaela Falkner schafft mit dieser Konstellation – dem liebevollen Vater und grausamen Geliebten, den „todmüde verstörte“ Töchtern und einer sich nach exzessiver Gewalt und Furcht verzehrenden Mutter – eine ungeheuerlich aufgeladene Reibefläche. War man zu Buchbeginn noch der Schreckensanbeterin mit auf Rettung abzielender Empathie nah, so schlägt man sich nunmehr auf die Seite der verschreckten Kinder, ihretwegen gar des schrecklichen Ivan. Die mit interpunktionslose an arhythmische Lyrik erinnernden, mal pathetisch wuchtigen, mal filigranen Sätzen und zwischen den großzügig gesetzten Zeilen mit Choranweisungen personenkongruent agierende Autorin hantiert am offenen Herz einer sozial noch immer normativ erwünschten idyllischen Frau-Mann-Kinder-Beziehung. Diese Normidylle ist – nicht nur im Buch – längst passé. Michaela Falkner zeigt in ihrem eisigen Kammerdrama des Schreckens einerseits, dass Devotion mit seelischer Verkrüppelung einhergeht und andererseits, dass diese Naturelldeformation zwar auch Kraft und indirekte Macht geben kann, letztendlich jedoch in Selbstverausgabung, gar vorzeitiger Todesunterwerfung mündet. „Das letzte ist am lächerlichsten“, schreibt Falkner am Ende ihres einzigartigen Schmerzopus, Cesare Pavese finalisierte sein Handwerk des Lebens (und sein Leben selbst) ebenfalls mit einer Geste.
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Roland Steiner
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