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Leopold Maurer
Miller & Pynchon

Humannumerik und wölfische Kommunikation

Leopold Maurer | Miller & Pynchon
Leopold Maurer
Miller & Pynchon
Graphic Novel
Luftschacht Verlag 2009
Rational bestimmte Obsessionen und unge­sunde Verlust­kompen­sationen schweiß­ten die Welt vermessenden Helden in diesem exzel­lenten Comic­roman zusammen, ein Werwolf­junge wird sie trennen. Die Helden, das sind Pynchon und Miller, ihre Helfer Hoffmann und Coraghessan. Freunde von literatur­geschicht­lichen Anspielungen und Quer­verweisen werden so denn ihre doppelte Freude an dieser in hart kontrastiertem Schwarz-Weiß gehaltenen Graphic Novel haben, doch auf den ersten Blick haben die beiden Titelfiguren nichts mit ihren Namens­vettern der Literatur zu tun. Pynchon ist ein mit Hut gar badender protestan­tischer Astronom und Mathe­matiker, dessen Lebens­gestirn vor zehn Jahren starb – seine Helene wurde von einem Rie­sen­käselaib über­rollt. Nun vermisst der darob trauma­tisierte und menschen­scheue Witwer zwecks Ziehens einer Demarkations­linie zwischen Süden und Norden beinahe menschen­leere Land­schaften. Seinen – von der hallu­zinierten Gattin und der ebenso toten Mutter abgesehen – einzigen Bezugspartner fand er im seines­gleichen vornamen­losen Miller, der unterschiedlicher nicht sein könnte. Der glatz­köpfige katholische Jung­geselle hatte die Ausbildung zum Priester dank seiner Fleisches­lust vergeigt und sich zum Absprung in den Suizid begeben, als ihn just die Faszination einer nicht-phallischen Mess­latte rettete und beruflich zur Zivil­technik trieb.

Mittels pointierter Dialoge und eines auf das Wesentliche reduzierten Zeiche­nstils betreibt der frei­schaffende Wiener Künstler Leopold Maurer eine gar berührende Schicksalsverzahnung zweier Manneskäuze, die gleichsam die Folie beider zahlenfixierten Berufsalltags bildet, der so eintönig nicht ist. Als studierter Soziologie mit der Weltentzauberung vertraut, setzt Maurer hier jedoch auf bizarre Nebendarsteller und skurille Episoden zur Infragestellung der vermessen(d)en Kosmosordnung.

Herr Hoffmann etwa, seines Zeichens in Versen sprechender Präsidenten­sprössling der Kanal­krokodile, wird zum Assistenten der Vermesser, nachdem er ihnen bei einem Bier seine Sehnsucht nach Afrika ausdrückte. Und nach Südafrika wird sie alle der nächstgrößere Auftrag auch führen. Doch zuvor gilt es, religiöse Holzfäller zum Schlagen einer Wald­schneise zu bringen, eine Haftstrafe wegen Erregung öffent­lichen Ärger­nisses abzuwenden und sich vor TV- und schießwütigen Zwillingen zu retten. Und dann ist da noch Millers Problem, in jeder Voll­mondnacht sich zum heulenden Werwolf verwandeln zu müssen. Genau diese Re-Animalisierung fokussiert Maurer, indem er den drauf­gängerischen Jung­gesellen mit einem vor fünfzehn Jahren gezeugten Sohn konfrontiert, dessen stummes Werwolf­dasein just bei Vollmond vermenschlicht wird. Diese in der realen Gesellschaft nicht unübliche, heute eher mit Waffen­kauf und Talkshow überbrückte Kommunikations­losigkeit einer Vater-Sohn-Beziehung wird ferner zum Wende­punkt der Geschichte.

Wohl auch Maurers zweitem Standbein, dem Animationskino, geschuldet sind die witzigen Über­zeichnungen und filmischen Elemente in einer ansonsten linear erzählten Story. In retrospektiven Neben­geschichten spult er das Leben eines heilig gesprochenen Mönchs ab, dessen abgeschnittenes Ohr seit Jahrhunderten in einem Reliquienschrein aufbewahrt wird, oder das gewesene Gramdasein der Pynchons Vater verfluchenden Mutter im Bade. Ein Herr Coraghessan – als Reminiszenz an T. C. Boyle? – schließlich übermittelt dem ungleichen Heldenpaar den Auftrag ganz nach Pynchons Tragweite: die Ver­messung des Venusdurchgangs, mit dessen Hilfe man die Entfernung der Erde von der Sonne bezif­fern könnte. Wenn da nicht der schießgeile Zwilling und der gigantisch spurende, weil genetisch über­propor­tionierte Krokodil­präsident wären, die das Gelingen stark beeinträchtigen…

Unbe­einträchtigt von Comicmoden bändigt Maurer dieses Hybrid aus melancho­lisch getöntem, von Surrealschleifen durchzogenen Roman und karg ästhetischer Bild­streifen­kunst auf vorzügliche Weise, da er beide Narrations­formen eng aneinander koppelt und ihnen gleichwohl Soli für die kleinen Lebens­katastrophen in kompakter Form überantwortet.
Leopold Maurer, geboren 1969 in Wien, studierte Soziologie an der Universität Wien sowie Malerei und Grafik an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Seit 1998 arbeitet er als freischaffender Künstler in den Bereichen Animation, Cartoon, Comic und Illustration. Er ist Mitglied der Comics in Automaten vertreibenden Künstler­gruppe mixer und lebt in Wien und Trautmannsdorf, Nieder­österreich.
Roland Steiner  31.03.2009   
Roland Steiner
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