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Michael Stavarič
Gespräch mit Roland Steiner für den poetenladen
Zeiten als Kulissen
Gespräch |
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Literatur und Zeit heißt das Gesprächsthema in poet nr. 11. Es geht um die Zeit des Schriftstelleralltags und ebenso um die Zeit, die es schreibend zu organisieren gilt. An dieser Stelle das Gespräch mit Michael Stavarič;.
Erschienen in poet nr. 11, Literaturmagazin, poetenladen, Herbst 2011
Michael Stavarič wurde 1972 in Brno geboren und emigrierte mit seinen Eltern 1979 nach Österreich. Nach dem Studium der Bohemistik und Publizistik lebt er heute als Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber in Wien. 2000 erschien sein Gedichtband »Flügellos« und 2005 sein Prosadebüt »Europa. Eine Litanei«. Der ein Jahr später folgende Roman »stillborn« verhalf ihm zum literarischen Durchbruch. Zuletzt erschienen die Romane »Böse Spiele« (2009, C. H. Beck) und »Brenntage« (2011, C. H. Beck). Michael Stavaric wurde mit dem Buch.Preis, dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis und dem Literaturpreis Wartholz ausgezeichnet.
Roland Steiner: Als du noch als Koordinator des P.E.N.-Präsidenten und Sekretär des tschechischen Botschafters in Österreich Jirí Gruša tätig warst, wirst du deine literarische Produktion wohl nach jenen anderen Dienstzeiten gerichtet haben. Zu welcher Tageszeit schreibst du nun als freiberuflicher Schriftsteller, der – von Übersetzungen, Herausgeberschaften und Medienbeiträgen noch abgesehen – in bloß elf Jahren unglaubliche 14 Bücher publiziert hat?
Michael Stavarič: Es ist natürlich eine Tatsache, dass man – wenn man berufstätig ist – weniger Zeit zum Schreiben hat. Andererseits hatte ich auch nie das Gefühl, dass meine Kreativität in der Botschaft erstickt worden wäre, es hat sich schon ganz gut ergänzt. Ich kenne das Phänomen von vielen Kollegen: Man schreibt jetzt nicht unbedingt so viel mehr, wenn man den ganzen Tag Zeit hat für die Literatur. Ich tat mir bislang relativ leicht, im »Auffinden« neuer Projekte – wobei diese, was den Umfang anlangt, doch oft recht überschaubar sind. Insofern ist die Zahl »14« eine relative. Was die Tageszeit anlangt, in der ich schreibe – nun, ich ritualisiere mein Schreiben noch immer nicht. So gesehen bin ich völlig unabhängig, ich schreibe dann, wenn gerade Zeit ist. Und auch dann habe ich das Gefühl, dass ich nur etwas niederschreibe, was ich längst in mir selbst notiert habe. Was mich zu der Antwort bringt: Man schreibt wohl als Autor immer. Und ab und zu nimmt man sich Zeit, dies auch zu Papier zu bringen. Und ja, ich schreibe tatsächlich noch auf Papier und tippe erst im Nachhinein alles in den Computer.
R. Steiner: Geschah dieser Schritt in die Freiberuflichkeit gerade ob des vormaligen Zeitmangels?
M. Stavarič: Der Schritt hatte mehrere Gründe. Zunächst wollte und brauchte ich dringend eine Veränderung; ich hätte einen neuen Posten in Berlin antreten können, habe mich dann aber relativ schnell dagegen entschieden. Und natürlich: Ich wusste, würde ich tatsächlich »Autor« sein wollen, dann würde dies schon auch Umstellungen im meinem Berufsleben erfordern. Und ich muss auch gestehen: Erst seitdem ich Freiberufler bin, benenne ich mich selbst als Autor. Das Ganze hatte auf jeden Fall auch etwas »Identitätsstiftendes«.
R. Steiner: Du publizierst seit dem Jahr 2000 in Buchform. Hat sich seitdem, in den so genannten »Nullerjahren«, etwas an zeitlichen oder anderen Schreibbedingungen geändert?
M. Stavarič: Das ist eine schwierige Frage – alles hat sich verändert, wenn man so will. Und zugleich nichts. Ich glaube, dass Schriftsteller in erster Linie gute Beobachter sind. Insofern sind sie davon abhängig, was sich in ihrer Umgebung tut. Es hat sich der »Zeitgeist« geändert, ich weiß spontan kein besseres Wort. Die Welt verändert sich, die Zeiten werden rauer, die Krisen etwa in Wirtschaft, Natur etc. »regelmäßiger«. Die Literatur in einer gewissen Art und Weise »postapokalyptischer« bzw. »belangloser«. »Heile Welt« versus »Was mag da noch kommen?«. Es ist gewiss auch nicht leichter geworden, Bücher zu publizieren. Die Verlage stehen immer mehr unter Druck und suchen ihr Heil in Bestsellern.
R. Steiner: Nimmst du dir für dein Schreiben ein Tages-Soll vor oder schreibst du eher phasenweise und dann konsequent?
Michael Stavarič: Ich nehme mir gar nichts vor – manchmal wundere ich mich selbst, wie viel dann immer noch »entsteht«. Wichtig ist es zu wissen, wie man denn schreiben möchte. Und diese »Sprache/Form« gilt es jederzeit abrufen zu können. Was man dann schreibt, na ja, ich finde, das ist relativ egal. Denn es geht immer um dieselben Themen, die uns bewegen – Liebe, Krieg, Krisen etc. Da muss ich nicht großartig darüber nachdenken, was denn thematisch andere Menschen interessieren könnte. Ich selbst schreibe am Anfang eines Projektes relativ viel in einem Stück. Danach lasse ich mir Zeit und schaue, wo es mich hinführt. Oft verwerfe ich dann alles wieder. Eigentlich muss das Ergebnis auch nur mir gefallen … was andere für eine Meinung haben, ist mir relativ egal. Einen Lektor sollte das Ganze vielleicht überzeugen, das schon. (lacht)
R. Steiner: Gibt es zeitliche Unterschiede in der Konzeption der verschiedenen literarischen Formen, die du bearbeitest?
M. Stavarič: Nein, zeitlich gibt es keinen Unterschied – und ich arbeite meist an mehreren Projekten gleichzeitig, die sich nach Möglichkeit sehr voneinander unterscheiden. Das finde ich normalerweise recht befruchtend … also ein Roman, ein Kinderbuch und dann noch ein experimentelleres Projekt. Oder eine Übersetzung. Bei Kinderbüchern ist es zudem schön zu wissen, dass man sie nicht alleine »stemmen« muss. Da arbeitet man ja zu zweit, mit einer Illustratorin.
R. Steiner: Gerade für Nicht-Bestsellerautoren sind Lesereisen ja eine notwendige Einnahmequelle und du gehst häufig auf ausgedehnte und zeitlich aufwendige Lesereisen. Kannst du währenddessen schreiben?
M. Stavarič: Früher konnte ich gut schreiben, wenn ich im Zug saß … mittlerweile ist dies schwieriger geworden, weil ich meist doch recht müde bin. Die Anzahl der Lesungen ist – im Vergleich zu früher – deutlich gestiegen. Ich setze mich heute in den Zug und schau mir lieber DVDs an, als zu schreiben. Aber es kommt schon noch vor, dass ich mir Notizen mache oder Texte am Computer bearbeite. Das Reisen selbst ist natürlich ein »Medium« – ohne Reisen mangelt es einem an Impulsen und Begegnungen, die sich günstig auf das eigene Schreiben auswirken. Wiewohl ich immer zu sagen pflege: Literatur ist Fiktion. Wer nicht in der Lage ist, alles zu »erfinden«, der hat einen gewissen »literarischen Level« noch nicht betreten.
R. Steiner: Ist Zeit schon zu einem Luxusgut geworden? Gerade für KünstlerInnen?
M. Stavarič: Je älter man wird, desto mehr wird »die Zeit« zu einem kostbaren Gut. Ich glaube aber, dass man immer noch genug Zeit hat, um all das zu tun, was man schon immer tun wollte. Der Rest sind Ausreden. Soll heißen: Das Leben (und das Werk) ist eben das, was man selbst und allein daraus gemacht hat.
R. Steiner: Wie wichtig ist es dir generell, dass die Figuren in eine gewisse Zeit eingebettet sind?
M. Stavarič: Zeiten und Orte sind bei mir nicht ganz so wichtig wie bei anderen Schriftstellern. Ich verwende sie mehr als »Kulissen«. Wobei es in meinem letzten Roman Brenntage durchaus wichtig war, eine »Zeitlosigkeit« darzustellen bzw. aufzuzeigen. Da habe ich mich durchaus literarisch mit dem Begriff Zeit auseinandergesetzt.
R. Steiner: Welche Wirkung hat diese Zeit dann auf die Geschichte?
M. Stavarič: Wie schon gesagt – ich glaube nicht, dass die Zeit in meinen Büchern eine so große Rolle spielt. Mir geht es mehr um eine »Melodie«, die die Leserin und den Leser auf etwas hinweist. Letztendlich entstehen all diese Zuordnungen erst im Kopf der Leserschaft und es bleibt eine Frage ihrer Deutungshoheit: Wie wichtig ist die Zeit, in der das Buch spielt? Wie wichtig ist mir die Zeit als strukturierendes Mittel? Und brauche ich unbedingt eine Zeit, um mich in der Welt zurechtfinden zu können?
R. Steiner: Bevorzugst du eine Momentaufnahme oder erzählst du eine Geschichte lieber gerafft? Und inwieweit denkst du hierbei die Erzählzeit für den Leser mit?
M. Stavarič: Ich denke schon, dass man beides tun kann … Momentaufnahmen und Geschichten, die durchaus einen Spannungsbogen haben; die also eine längere Konzeption erfordern. Mir selbst scheint die Momentaufnahme ein »wahrhaftigeres« Bild zu liefern. Unser aller Leben ist nicht gerade von einem »roten Faden« geprägt. Alles in so einem menschlichen Leben scheint mir eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, Sie ordnen sich zwar dann einigen »Lebensthemen« unter, bleiben aber dennoch Momentaufnahmen. Da kann man sein Schreiben auch assoziativer gestalten, denke ich. Und dies entspricht mehr der Welt, wie ich sie sehe.
R. Steiner: Wie sehr fühlst du dich selbst vom jetztzeitlichen Kontext geprägt?
M. Stavarič: Man lebt nun mal an einem gewissen Ort, in einer gewissen Zeit. Zu behaupten, dies hätte keine Auswirkungen auf einen selbst, wäre schlicht gelogen. Es gibt Ereignisse und Orte, die einen mehr interessieren als andere. Soll heißen: Ich glaube, da trifft ein jeder seine ganz persönliche Auswahl. So definiert sich auch ein ganz bestimmtes »Jetzt«, das nur für einen selbst gültig ist.
R. Steiner: Bereits in deinem zweiten Roman Terminifera (2007), dann in den Prosaminiaturen Nkaah. Experimente am lebenden Objekt (2008), und auch im aktuellen Roman Brenntage erfahren wir über Rückblenden eine vergangene Kindheit: Wie wichtig ist dieser biographische Zeitabschnitt in deinem Textschaffen?
M. Stavarič: Die Kindheit ist eine wunderbare Zeitspanne – sie ist die Basis unseres Denkens und Fühlens; die Art und Weise, wie man sozialisiert wurde, entscheidet alles. Insofern sind keine literarischen Figuren denkbar, ohne sich nicht in irgendeiner Art und Weise mit ihrer Kindheit auseinandergesetzt zu haben. Egal, ob diese jetzt im Buch aufscheint oder nicht. Ich merke, dass dies ein Umstand ist, der mich zusehends mehr interessiert. Vielleicht hängt dies auch mit der Tatsache zusammen, dass ich aufgrund meiner Kinderbücher viel mit Kindern zu tun habe. Was mich selbst betrifft, so habe ich bislang nur in kleinen Details etwas von meiner Kindheit in Bücher einfließen lassen. Vielleicht kommt aber auch mal der Zeitpunkt, wo ich dies vermehrt machen werde.
R. Steiner: Europa. Eine Litanei, dein Prosadebüt, und auf andere Weise auch der Roman Magma, boten einen augenzwinkernden Ritt durch die Geschichte von Urzeitaltern bis zur Jetztzeit: Wie organisiert beziehungsweise konstruiert man so einen Zeiten überspannenden Text?
M. Stavarič: Dies sind Bücher, die wirklich viel mit Recherchen zu tun haben – im Grunde geht es darum, dies und das zu sammeln. Je mehr Material, desto besser. Die Arbeitsleistung ist dann eher eine »Montage« beziehugnsweise »Collage«. Ich mag diese Arbeit sehr gerne, weil sie immer eine Parodie darstellt. Und es ist eine gute Möglichkeit, der Welt einen Spiegel vorzuhalten … und in diesem erkennt man Wahres und Falsches, Wichtiges und Unwichtiges, die Mischung hat einen ganz eigenen Reiz.
R. Steiner: In Magma surfst du – über einen in die Weltgeschichte diabolisch eingreifenden Zoohändler – vom Tertiär bis ins 21. Jahrhundert. Assoziativ verbindest du untergegangene Kulturen, historisch einschneidende Phasen, besondere Momente und Geschichten bzw. menschliche Ausnahmeerscheinungen. Pointiert gefragt: Alles gleich wichtig?
M. Stavarič: Genau, alles gleich unwichtig. (lacht)
R. Steiner: Geschlechterkriege rund um Liebe und Macht werden im Roman Böse Spiele über vier zeitgenössische Figuren mit archaisch anmutenden Menschheitskriegen konfrontiert: Sind Liebe und Krieg die Konstanten der Menschheitsgeschichte?
M. Stavarič: Mit anderen Worten – Krieg und Frieden? (lacht) Nein, völlig richtig. Liebe und Krieg sind zwei wesentliche Konstanten des Mensch-Seins. Und der Krieg beginnt nicht unmittelbar am Schlachtfeld, vielmehr früher. Der »Krieg« ist sozusagen auch Metapher, die vieles inkludiert. Die Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte der Auseinandersetzung zwischen positiven und negativen Gefühlen.
R. Steiner: In deinem aktuellen Roman Brenntage wurde der Ich-Erzähler in seiner Kindheit und Jugend durch Natur- und Glaubensmythen, die ihm sein erziehender Onkel erzählt, und durch die Dorfgeschichte als soziale Narrative geprägt. Sind es solche über Säkula und Dekaden mäandrierende Diskurse, die insbesondere in Krisenzeiten wieder auftauchen? Und was macht deren Faszination aus?
M. Stavarič: Ich glaube durchaus, dass solche Themen in Krisenzeiten vermehrt auftauchen – weil man sich nach Fluchtmöglichkeiten aus der Realität sehnt, nach einer heileren Welt. Doch muss ich hier auch entschieden von mir weisen, dass dies irgendwie ein Thema in Brenntage wäre. Ich wollte vielmehr dadurch eine Art »Zwischenwelt« schaffen, die es schafft, die Krise bis ins innerste Mark unseres Denkens »zu treiben«. Die Faszination liegt also nicht in der »Auffindung einer heileren, tribaleren oder sozialeren Welt«, sondern vielmehr in der Erkenntnis, dass das Grauen selbst dort innewohnt. Völlig richtig: Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang.
R. Steiner: Welche Zeiten willst du Kindern am liebsten »zumuten«? Bzw. anders gefragt: Ist in Kinderbüchern die Gegenwart – eventuell wegen der Persönlichkeitsentwicklung dieser Rezipienten – am wichtigsten?
M. Stavarič: Wenn ich so meine Kinderbücher betrachte, dann spielt die Zeit dort eine untergeordnete Rolle. Ich versuche bei meinen Kinderbüchern, gewisse Themen in den Vordergrund zu rücken. Allerdings – solche, die durchaus in jedem Erwachsenenbuch enthalten sind – Tod, Katastrophen, gesellschaftliche Phänomene … ich hoffe jedenfalls, Kinder schon recht früh für dieses oder jenes sensibilisieren zu können.
R. Steiner: Vielen Dank für das Gespräch
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