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Christoph Linher
Ungemach
Das beredte Schweigen der Sprache
Christoph Linher wagt sich an ein Paradoxon:
Er schreibt einen Roman über das Verstummen
Kritik |
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Christoph Linher
Ungemach
Roman
125 Seiten
Müry Salzmann Verlag
Salzburg, November 2017
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„Die Wolken“, heißt es zu Beginn dieses Buchs, „hingen wie geschichteter Schiefer.“ Dann zieht Nebel auf. Er verschluckt Fernach, das Bergdorf, in dem der Ich-Erzähler eben angekommen ist. In einem Brief hat ihm eine Großtante, von deren Existenz er bislang nichts gewusst hat, an ihr Sterbebett gebeten. Er ist ihrer Aufforderung wohl nur deshalb gefolgt, weil er nach dem Ende seiner Ehe beruflich in Schwierigkeiten geraten ist und das Haus der Tante ihm nach ihrem Tode zufallen soll. Der gebrechlichen alten Dame scheint es allerdings nicht wirklich um Kontakt zu ihrem Großneffen zu gehen, sondern eher darum, einen Adressaten für ihre Monologe zu haben. Immer wieder philosophiert sie über den Bergbach, der an ihrem Fenster vorbeifließt, nur ganz selten gibt sie etwas Persönliches preis. Auch zu den anderen Dorfbewohnern kann der Erzähler keine Beziehung aufbauen. Stumm und verstockt sitzen sie in ihren Häusern und scheinen ihr Sprechvermögen nur bei Gefahr von außen zu aktivieren, zum Beispiel wenn es um das Wolfsrudel geht, das sich bis an die Grenzen des Dorfes heranwagt.
Es gehört zu den Paradoxien der Sprache, dass es gerade für die Darstellung des Schweigens und der Sprachlosigkeit höchste Kunstfertigkeit braucht. Dieser Aufgabe zeigt sich der junge Autor Christoph Linher absolut gewachsen. Immer wieder schickt er den Ich-Erzähler auf lange Spaziergänge und lässt erst die herbstliche, dann winterliche Natur zur Metapher von dessen inneren Zuständen werden, ohne dass das im Geringsten abgeschmackt erscheinen würde. Einmal sagt die Tante, dass, gerade weil die Sprache „unerschöpflich an Wörtern und Wortkombinationen“ sei, sie ihre „eigentliche Unzulänglichkeit, ihre Vergeblichkeit“ damit tarne. Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb streut Linher immer wieder erstaunliche Wortneuschöpfungen ein: Einmal leert der Erzähler „erinnerungsmüde“ sein Glas, ein andermal trifft er auf einen Hund der ihn „mit dunkelstierem Blick“ anschaut, mit „Augen wie aus Schwarzglas“.
Der Tante tut die Anwesenheit ihres Verwandten sichtlich gut, bald blüht sie regelrecht auf. Während sie das Bett und später auch den Rollstuhl verlässt, fühlt sich der Neffe von Tag zu Tag erschöpfter und ausgelaugter, irgendwann schleppt er sich nur mehr mühsam durchs Dorf. Immer länger werden seine Ruhephasen, und zudem wird er von einer Kälte gepeinigt, die aus jeder Zeile dringt.
Wenn auch die Tante mit ihrer Bemerkung von der Unzulänglichkeit der Sprache recht haben mag, so gibt es doch jene magischen Momente, in denen Literatur nicht beschreibt, sondern verwandelt, in denen ein bestimmter Zustand vom Autor nicht nur geschildert wird, sondern vom Leser selbst erlebt werden kann. Dass dies dem jungen Vorarlberger Christoph Linher bereits in seinem schmalen Debütroman so oft gelingt, ist erstaunlich. Ungemach ist alles andere als ein leichtes, sonniges Buch, ein hochliterarisches ist es allemal.
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Christian Lorenz Müller
Lyrik
Prosa
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