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Rüdiger Görner
Klam
Marktforschung, Wurmfarne und In-vitro-Fertilisation
Rüdiger Görners skurriles Erzähldebüt
Kritik |
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Rüdiger Görner
Klam
Erzählung
120 Seiten
Sonderzahl 2013
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Wer Sybille Lewitscharoffs Dresdner Rede ganz gelesen hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass es ihr nicht wirklich darum geht, moderne medizinische Reproduktionsmethoden in die Nähe jener nationalsozialistischen Einrichtungen zu rücken, in denen für rassisch reinen Nachwuchs gesorgt werden sollte. Mit ihren missglückten Vergleichen wollte sie schlicht die unduldsame Abscheu, die sie vor allem gegen die „Zeugung per Katalog“ empfindet, illustrieren. Das eigentlich Erschreckende ist der weltanschauliche Furor, der aus diesem Abschnitt ihrer Rede spricht.
Anders als Lewitscharoff fehlt es dem Prosadebütanten Rüdiger Görner nicht an Distanz zum Thema künstliche Befruchtung. Sein Antiheld mit dem sprechenden Namen Klam ist alleinstehender „Wurmfarnliebhaber“ und schützt seinen Computer nach Gebrauch mit einem Spitzendeckchen vor Verunreinigungen. In der Regel nutzt er das Gerät, um Fragen für ein Marktforschungsinstitut zu formulieren; in seiner Freizeit allerdings „morpht“ er gerne, d.h. er synthetisiert sich aus verschiedenen Bildvorlagen weiblicher Körper auf „erregend hygienische“ Weise seine digitale Traumfrau zusammen. Als diese ihm schließlich in Gestalt von Ruth tatsächlich begegnet, ergreift er für seine Begriffe recht forsch die Initiative. Aber Ruth ist nicht das warmherzige, leidenschaftliche Wesen, das er sich vielleicht erhofft hat, sondern eine hyperneurotische Großstadtbewohnerin, die sich offenbar vor allem von „Klams traurigen Augen“ angezogen fühlt. Kollegen haben der erfolgreichen Fotografin den Spitznamen „Epiderma“ verpasst, weil sie sich auf Makroaufnahmen der menschlichen Haut spezialisiert hat. Details des männlichen Geschlechtsteils werden ebenso abgelichtet wie Krätze, Quaddeln und Nesselsucht. Ruth nun ereilt beim Anblick Klams weniger der Wunsch nach Liebe denn der Wunsch nach einem Kind. Den Maler, mit dem sie zusammenlebt, hält sie als Samenspender für ungeeignet; zudem kann sie sich nicht vorstellen, schwanger zu werden. Klam kommt Ruths Begehrlichkeiten erstaunlich schnell entgegen. Er bringt sie sogar mit Agne, einer professionellen, wenn auch ein wenig vulgären Leihmutter, zusammen.
Der Autor stellt gleich mehrere aktuelle Fragen: Verliert die menschliche Sexualität an Faszination, wenn sie völlig von der Fortpflanzung gelöst ist? Kann das Risiko, das die Geburt eines Kindes bedeutet, gegen Gebühr in einen externen Uterus ausgelagert werden, ohne dass dies Folgen für die Mutter-Kind-Beziehung hätte? Und wie sehen Kinder, die aus „Verbindungen“ wie jener zwischen Ruth und Klam hervorgehen, die Welt? Während Lewitscharoff sich geneigt sieht, Kinder, „die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen“, gerät die Frucht des Görner'schen Leihmutterleibes zu einer kleinen Autistin, die sich allein für vorgelesene Kochrezepte interessiert.
Rüdiger Görner, Jahrgang 1957, ist nicht nur ein weithin anerkannter Literatur- und Kulturwissenschaftler, sondern auch ein sehr produktiver Publizist, dessen Essays und Monographien (zuletzt über Stefan Zweig) durch Sach- und Sprachverstand überzeugen. Sein enormes Wissen, das im Hörsaal am besten zur Geltung kommt, wenn er sich von seinem Vorlesungstext löst und nachdenklich deklamierend auf und ab geht, hält er in Klam erstaunlich diszipliniert zurück. Manchmal nur tendiert er dazu, Sachverhalte, die sich dem Leser längst indirekt erschlossen haben, zu erklären, etwa wenn er ausführt, dass sein Held während des „Morphens“ zum „sterilen Liebhaber jeder digital erzeugten Frau“ wird.
Problematischer stellt sich die Figurenzeichnung dar. Görner hat zwar eine Erzählung mit überspitzter Handlung geschrieben und keinen Roman von mehreren hundert Seiten, dennoch wäre es wünschenswert gewesen, wenn er dem Leser ein wenig mehr Einblick in die Gefühlswelt seiner Figuren gegeben hätte. Klams Handlungs- bzw. Nichthandlungs-Motivationen bleiben besonders im dritten Teil des Buches oft unklar; Dinge geschehen mit einer Geschwindigkeit, die nicht recht zu dem gemächlichen Anfang des Buches passen wollen. Im ersten Teil nämlich sehen wir Klam vor allem damit beschäftigt, auf und ab zu gehen. Auf witzig- melancholische Weise reflektiert er während seiner Streifzüge durch London Details am Wegesrand oder bringt den alltäglichen Irrwitz der Großstadt auf den Punkt. Schade nur, dass Klam sich auf den hinteren Seiten immer seltener als schrulliger Peripatetiker zeigt. Der heimliche Widerstand gegen das monadische Großstadtleben, der sich in seinen altmodischen Gewohnheiten zeigen mag, verflüchtigt sich unter der Fuchtel Ruths leider fast völlig.
Görners Satire ist trotzdem lesenswert, weil man das Buch nach der Lektüre nicht schmunzelnd aus der Hand legt und es gleich wieder vergisst. In Erinnerung bleibt eine Art von unbeholfener und damit sehr zeitgenössischer Trauer, mit der die Hauptfigur auf der vergeblichen Suche nach verlässlichen Bindungen durch ihr Leben stolpert.
Schade, dass sich Sybille Lewitscharoff nicht der Ironie befleißigt hat, um ihr legitimes Unbehagen über die Auswüchse medizinischer Reproduktionstechniken auszudrücken. So werden von ihrer Dresdner Rede wohl nur die vielzitierten Vergleiche mit der Rassenauslese in Nazideutschland im Gedächtnis bleiben.
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Christian Lorenz Müller
Lyrik
Prosa
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